Nach der Wahl in Spanien: Jubel und Ratlosigkeit

Podemos wird wohl nicht regieren, doch die Newcomer sind die eigentlichen Sieger der Wahl. Noch in der Nacht schnürten sie ein ehrgeiziges Reformpaket.

Pablo Iglesias an einem Rednerpult

Und jetzt? – Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias am Montag in Madrid. Foto: ap

MADRID taz | Aus den Lautsprechertürmen dröhnt Ghostbusters, während Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias mit seiner Mannschaft die Bühne betritt. Tausende Menschen aller Altersgruppe, auch ganze Familien, haben am Sonntag geduldig bis Mitternacht auf dem Platz neben dem Madrider Kunstmuseum Reina Sofia ausgeharrt, um den Erfolg ihrer Partei zu feiern.

„Präsident, Präsident!“ und „Ja, ja, ihr vertretet uns“, jubeln sie Iglesias zu und erinnern damit an jenen 15. Mai 2011, als die Empörten erstmals auf die Straße gingen. „Nein, nein, sie vertreten uns nicht“ lautete damals das Motto. 20,6 Prozent erzielte Podemos auf Anhieb und liegt damit auf Platz 3. Die Partei, die vor knapp zwei Jahren gegründet wurde und sich den Kampf gegen Korruption und Sparpolitik auf die Fahnen geschrieben hat, ist damit der unumstrittene Sieger der Wahl.

„Heute wurde ein neues Spanien geboren, das eine neue politische Epoche eröffnet“, erklärt Iglesias. „Die Geschichte gehört uns, es sind die Völker, die sie machen“, zitiert er unter tosendem Applaus den ehemaligen chilenischen Präsidenten Salvador Allende.

Das Ergebnis von Podemos ist die Niederlage des spanischen Zweiparteiensystems, das seit über 30 Jahren die Politik dominiert. Die bisher mit absoluter Mehrheit regierende Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy erzielte nur noch 28,7 Prozent und 123 Parlamentssitze. Die Konservativen wurden für ihre Korruptionsskandale und für die Austeritätspolitik im Dienste der Bankenrettung abgestraft.

Die sozialistische PSOE konnte davon nicht profitieren. Sie büßte ebenfalls knapp sieben Prozent und 20 Sitze ein und erzielte mit 22 Prozent und 90 Abgeordneten ihr historisch schlechtestes Ergebnis.

Podemos liegt nur 1,4 Punkte dahinter, hat allerdings nur 69 Abgeordnete, was dem ungerechten Wahlrecht zuzuschreiben ist.

Spaniens Wahlrecht ist völlig unproportional, das zeigt das Ergebnis vom Sonntag. Die Sozialisten erzielen mit 22 Prozent 90 Abgeordnete, Podemos mit 20,6 Prozent 69 Abgeordnete. Das liegt daran, dass die 350 Sitze auf Provinzebene vergeben werden.

Dort wird mit dem D'Hondt-Verfahren ausgezählt. In manchen Provinzen, wie zum Beispiel in Guadalajara, werden nur 3 Sitze vergeben. Podemos erzielte dort 17,5 Prozent und erhält dennoch keine Abgeordneten. 100 der 350 Sitze werden in solchen kleinen Provinzen mit 3 oder 5 Abgeordneten vergeben, das kommt den großen Parteien zugute.

Wer auf Platz 3 oder 4 liegt, wenn auch noch so knapp, geht meist leer aus. Dividiert man die erhaltenen Stimmen durch die erzielten Sitze, wird die Ungerechtigkeit besonders deutlich: Die PP erzielte mit 55.000 Stimmen einen Abgeordneten, die PSOE mit 57.000, Podemos brauchte 71.000, Ciudadanos 80.000 und die kleine Vereinigte Linke erzielte insgesamt knapp 900.000 Stimmen, wird aber nur 2 Abgeordnete stellen.

Enttäuschend verlief die Wahl für die ebenfalls erstmals landesweit präsente rechtsliberale Partei Ciudadanos unter Albert Rivera. Umfragen sahen Rivera lange auf Platz 2, gar mit der Möglichkeit Rajoys PP gefährlich zu werden. Letztendlich wurde es nur 13,9 Prozent und 40 Sitze.

Kommt jetzt die Minderheitsregierung

Ratlosigkeit machte sich in der Wahlnacht breit. Denn egal, wie man rechnet gibt es keine stabile Mehrheit im neuen Parlament. Weder PP und Ciudadanos noch Podemos und PSOE bringen die nötigen 176 Abgeordneten zusammen. Bleibt die Möglichkeit einer Minderheitsregierung, die mit wechselnden Bündnispartnern ihre Programm umzusetzen versucht.

„Ich werde versuchen eine stabile Regierung, wie sie Spanien braucht, zu bilden“, beteuerte Mariano Rajoy in seiner Bewertung des Ergebnisses, wohl wissend, dass eine der Bedingungen von Ciudadanos für eine Unterstützung der PP sein Rückzug sein wird.

Die Presse spekuliert bereits, ob Rajoy seiner Vizepräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría den Vortritt lässt. „Spanien will links, will den Wandel“, meldet auch der Sozialist Pedro Sánchez seine Ansprüche an. Nur mit dem schlechten Ergebnis der PSOE und den innerparteilichen Kritiken, denen Rajoy nach einem denkbar schwachen Wahlkampf mit drei verlorenen Fernsehdebatten ausgesetzt ist, hat er es nicht leicht, sich zur Führungsperson zu machen.

Podemos schnürte noch in der Wahlnacht ein ehrgeiziges Paket aus Verfassungsreformen, das – so die Forderung – noch vor eigentlichen Bündnisverhandlungen im Parlament verabschiedet werden soll.

„Spanien hat für einen nicht aufschiebbaren Systemwandel gestimmt“, verkündete Iglesias und fordert die Verankerung sozialer Rechte wie ein Ende von Zwangsräumungen in der Verfassung. Außerdem verlangt er ein proportionales Wahlrecht. Eine neuer Paragraph soll zudem festschreiben, dass – falls eine Regierung wie die von Mariano Rajoy in den vergangenen vier Jahren – ihr Programm nicht erfüllt, per Referendum zur Halbzeit der Legislatur des Amtes enthoben werden kann.

Streit über Vielvölkerstaat

Ein Punkt mit dem sich alle anderen landesweit angetretenen Parteien schwer tun dürften, ist die Forderung Iglesias‘ nach einer „Verankerung des Plurinationalismus“ in der Verfassung. Podemos ist die einzige dieser Parteien, die Spanien als Vielvölkerstaat definiert und den Regionen mit eigener Sprache und Kultur das Recht auf eine Abstimmung über Unabhängigkeit oder Verbleib einräumen möchte.

„Nur wir können einen solchen Prozess anführen“, erklärt Iglesias, der klar macht, dass er im Falle solcher Abstimmungen für den Verbleib bei Spanien eintreten wird. Dies kommt an. Podemos ist stärkste Kraft in Katalonien und dem Baskenland, und Zweiter im Land Valencia, Navarra, den Balearen, Galicien und selbst in der Hauptstadtregion Madrid.

Im Parlament selbst wird Podemos der Vielfalt Spaniens Ausdruck verleihen. In Katalonien, Valencia und Galicien ist die neue Partei im Bündnis mit regionalen Kräften angetreten. Diese Listen werden eigene Fraktionen erhalten. Podemos wird somit nicht einmal, sondern viermal im Kongress vertreten sein.

Druck aus Brüssel und Berlin

So mancher in Wirtschaft, Medien und unter den historischen Führern der PSOE – unter ihnen der ehemalige, langjährige Regierungschef Felipe González – sehen nur einen Ausweg aus dem Dilemma eines aufgesplitterten Parlaments: eine große Koalition.

Auch Brüssel und Berlin dürften hinter den Kulissen Druck in diese Richtung ausüben, denn im kommenden Jahr will die Troika weitere Einsparungen von rund 10 Milliarden von Spanien.

PP und Ciudadanos stehen einer großen Koalition wohlwollend gegenüber. „Der Ball liegt bei Pedro Sánchez“, erklärt Ciudadanos-Chef Rivera. Und Rajoy verlangt „Verantwortungsbewusstsein“ von den Sozialisten. Sánchez freilich ziert sich. Denn er fürchtet, dass dies weitere Wähler in die Arme von Podemos treiben könnte.

Wie schnell das gehen kann, hat Griechenland bewiesen. Dort liegt die Schwesterpartei der PSOE, die Pasok – einst eine der beiden großen Parteien des Landes – nach einer Großen Koalition bei nur noch acht Prozent. Die Schwesterpartei von Podemos, Syriza, profitierte davon.

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