„Die Intimität des Todes verbindet uns alle“

Kino Wenn drei Mann eine Lampe tragen: Der dänische Regisseur Joachim Trier über Dreharbeiten in den USA, seinen Film „Louder Than Bombs“ und die Arbeit der Erinnerung

Isabelle Huppert (mit Gabriel Byrne) spielt eine Kriegsreporterin in „Louder Than Bombs“ Foto: MFA

Interview Toby Ashraf

taz: Herr Trier, „Louder Than Bombs“ ist stilistisch anders als Ihre vorherigen Filme. Wie kam es dazu?

Joachim Trier: „Louder Than Bombs“ ist wie ein Mosaik gedacht, da ich neue Dinge ausprobieren wollte und viel experimentiert habe. Können wir einen Off-Kommentar auch anders benutzen? Können wir Traumsequenzen einbauen? Natürlich können wir das. Ich wollte experimentieren, aber dabei die menschlichen Geschichten nicht aus den Augen verlieren. Normalerweise denken die Leute bei Experimentalfilm sofort an alte Schwarz-Weiß-Filme, aber für mich gehört Experimentieren zur Popkultur. Ich wollte eine Familiengeschichte erzählen und die Figuren ergründen, aber gleichzeitig auch formal für mich neue Wege beschreiten.

Sie haben zum ersten Mal in den USA gedreht.

Der Film entstand aus einer Erschöpfung heraus, nachdem ich zu viele amerikanische Drehbücher gelesen hatte. Nach meinem ersten Film „Auf Anfang – [:reprise]“ war ich eine Zeit lang in den USA und las zahlreiche Drehbücher, weil ich dort einen Film machen wollte, aber nichts davon interessierte mich. Ich fand es auch ermüdend, so viele Filme zu sehen, die meinten, einem bestimmten Schema folgen zu müssen. Durch meine Liebe zur Musik – sei es jetzt ­HipHop oder Punk – merkte ich, dass die Emotionen, die Musik auslöst, immer damit zu tun ­haben, dass jemand etwas auseinanderreißt, um es dann neu und anders zusammenzusetzen.

Warum haben Sie damals eigentlich so viele fremde Drehbücher gelesen? Immerhin sind Sie als Autorenfilmer bekannt.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich gerade mal einen Film gemacht und wusste noch nicht, was ich überhaupt will. Ich schrieb dann eine erste Version von „Louder Than Bombs“, bekam den Film aber nicht finanziert, also habe ich „Oslo, 31. August“ innerhalb nur eines Jahres gemacht. Danach habe ich mich wieder dem Drehbuch gewidmet und es umgeschrieben. So habe ich gelernt, wer ich als Filmemacher überhaupt bin.

„Louder Than Bombs“ hat ein wesentlich größeres Budget als ihre ersten beiden Filme. Haben Sie das nur als Vorteil gesehen oder sind damit auch Nachteile verbunden?

Ich hatte zwar diesmal ein größeres Budget, es war aber ziemlich schnell klar, dass dieser Film für das amerikanische Studiosystem zu unkommer­ziell ist. Außerdem wusste ich immer, dass die finale Schnittversion des Films sowie die Auswahl der SchauspielerInnen bei mir liegen müssen. Es mussten SchauspielerInnen sein, mit denen ich zusammenarbeiten wollte, und nicht Stars, die man mir vorsetzt, weil sie viel Geld machen. Diese zwei Grundvoraussetzungen schlossen dann alle herkömmlichen Finanzierungsmöglichkeiten aus. Das Geld kam also erst, nachdem ich genau wusste, was ich beschützen musste, und letztlich gab es nie den großen Produzenten, der die Entscheidungsgewalt hatte. Am Ende kamen viele Gelder aus Europa. In gewisser Hinsicht ist „Louder Than Bombs“ daher der amerikanische Film, den die Amerikaner nicht mehr machen dürfen.

Joachim Trier

Foto: Steffen Oftedal/Motlys

Der dänische Regisseur Joachim Trier, geb. 1974, erntete für seinen Filme „Auf Anfang – [:reprise]“ (2006) und „Oslo, 31. August“ (2011) viel Lob. Sein prominent besetzter Film „Louder Than Bombs“ handelt vom Umgang einer Familie mit dem Selbstmord der Mutter (gespielt von Isabelle Huppert).

Was verändert sich, wenn man plötzlich mehr Geld hat?

Die Situation am Set ist anders. Die Teams waren extrem professionell, es gibt aber auch zahlreiche Gewerkschaftsregeln. Statt einer Person gibt es dann drei, die eine Lampe tragen, und dagegen darf man nichts sagen. Das sprengt natürlich das Budget, und so wird ein Film dann teuer. Morgens kam ich ans Set und war von 200 Leuten umringt, von denen ich viele nicht kannte. Wir hatten wenig Zeit, mehr Druck und viel mehr Menschen, die am Film beteiligt waren als bei so einem kleinen norwegischen Film wie „Oslo, 31. August“. Das führt natürlich zu anderen Spannungen.

Im Film arbeiten Sie viel mit Found Footage, aber auch mit visuellen Überhöhungen wie den surreal anmutenden, extremen Zeitlupen. Hat die Geschichte diese Form vorge­geben?

Die Geschichte hat es mir ermöglicht, einen eher heterogenen Stil auszuprobieren und eine eher variierende und fragmentierte Version der Realität zu erzählen. Sie zeigt den Kampf der Figuren um Repräsentation. Wie zeigen sie sich einander? Wie erinnern sie einander? Die Form des Films sollte die Zerrüttung und Fragmentierung der Familie spiegeln. Zudem geht es im Film viel um Erinnerung und darum, wie Erinnerung und Bilder mit der Zeit ihre Bedeutung verändern. Ich wollte filmisch weiter erkunden, was man „geistige Bilder“ nennen könnte – also Erinnerungen, Träume, Ideen, und wie man dadurch die Figuren besser verstehen könnte.

Die von Isabelle Huppert gespielte Figur, um die sich der Film dreht, arbeitet als Kriegsfotografin im Ausland. Warum war Ihnen dieser Beruf wichtig?

Ich hatte mich mit Kriegsfotografen wie James Nachtwey und Don McCullin beschäftigt und war sehr beeindruckt. Mich interessierten solche Menschen als filmische Figuren. Andere Regisseure hätten vielleicht den Beruf der Polizistin gewählt, die nicht bei ihrer Familie sein kann, weil sie das Verbrechen bekämpft – eine gängige Metapher dafür, wie die extreme Arbeit das Familienleben gefährdet. Mich interessierte aber eher jemand, der Geschichten abbildet. Mich bewegte die Frage, was einen guten Kriegsfotografen ausmacht. Ist es das Bild? Eigentlich nicht. Ist es die Vermittlung von etwas Menschlichem? Vielleicht. Ist es die Unaufrichtigkeit des Bildes? Vielleicht. Kriegsfotografie und Kino verbindet viele Herausforderungen.

„Mich bewegte die Frage, was einen guten Kriegsfotografen ausmacht. Ist es das Bild? Eigentlich nicht. Ist es die Vermittlung von etwas Menschlichem?“

Joachim Trier

Der Selbstmord der Mutter ist zentrales Moment des Films. Mit Themen wie Verlust, Tod und Selbstmord haben Sie sich schon in „Oslo, 31. August“ beschäftigt. Eignet sich das Medium Film Ihrer Meinung nach besonders gut, um solche Dinge zu bearbeiten?

„Oslo, 31. August“ und „Louder Than Bombs“ kann man tatsächlich als komplementär betrachten. Die Filme kommunizieren miteinander. Der erste ist auf sehr subjektive Art mit dem Tod, der Sterblichkeit und dem Suizid der Hauptfigur beschäftigt. „Louder Than Bombs“ beschäftigt sich mit den Folgen eines ganz ähnlichen Todes – dem Tod einer quasi süchtigen Mutter, die in einem schwierigen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Job steht. Der Tod ist eines der großen Themen der Kunst, das mich auch selbst stark beschäftigt.

Inwiefern?

Seit meiner Kindheit mache ich mir über meine eigene Sterblichkeit Gedanken. Das Thema ist ein Teil unserer Kultur, mit dem sich alle befassen müssen, und ich komme aus einer Kultur, in der der Tod aus deiner Wahrnehmung in die Krankenhäuser verschwindet und gewissermaßen entfernt wird. Trotzdem werden wir mit unserem Körper, unserem Altern und unserer eigenen Verletzlichkeit alleingelassen. Die Intimität unseres eigenen Todes ist etwas, das uns alle verbindet, denn es ist unsere einsamste Erfahrung. Ich denke, man sollte in der Kunst ehrlich mit den Dingen umgehen, die einen beschäftigen, und weder vor Dingen zurückscheuen noch Ausreden suchen, weshalb man sich nur mit angenehmen, schönen und leichten Dingen beschäftigen sollte.

„Louder Than Bombs“. Regie: Joachim Trier. Mit Isabelle Huppert, Gabriel Byrne u. a. Dänemark u. a. 2015, 108 Min.