Aus Prinzip Quälgeist

Er kam, sah nicht ins Publikum und krächzte: Fast heitere Stunden mit Bob Dylan in der Arena

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Bob Dylan hatte pünktlich um acht angefangen, als draußen vor der Arena noch tausende im Regen Einlass begehrten. So stand man plötzlich durchnässt, die aufgeweichte Karte in der Hand, in der großen Halle, überrumpelt von der Erscheinung da vorne, den sechs Musikern vor dem roten Vorhang. Dylan selbst hatte sich ganz gut im Halbrund seiner Band versteckt, aber das musste er sein, es war die Stimme, es waren die Songs.

Songs, die einen das ganze Leben begleitet haben: im Radio, auf Partys, am Baggersee, in den Gitarrenschulen und Liederheften, am Lagerfeuer, auf Platten, auf Mixcassetten im Auto, auf CDs, als Cover-Version, als Zitat, als Referenz, in Gesprächen.

Es ist ja eine gute Zeit für Dylanologen: Letztes Jahr erschienen seine Erinnerungen, Martin Scorsese drehte einen Dokumentarfilm über ihn, der im November als DVD erscheint, und der Musikkritiker Greil Marcus untersucht in seinem Buch „Like a Rolling Stone“ den gleichnamigen Song gleich 250 Seiten lang.

Dabei liegt sein größtes Verdienst vielleicht darin, dass er der Rockmusik eine zuvor nie da gewesene sprachliche Komplexität gegeben hat. Dylans Texte sind voll von Metaphern und literarischen Verweisen, er verarbeitet Drogenerfahrungen genauso wie Bibelzitate, die gewaltigen Wortkaskaden verfasst er in einer Art „Stream of Consciousness“, man könnte es auch als eine Technik des Sich-Hineinsteigerns bezeichnen, als gesteuerte Wortraserei.

Wer zum ersten Mal zu einem seiner Konzerte geht, ist durch die Berichterstattung der letzten Jahre vorgewarnt: Dylan zerstört seine Lieder durch die eigene kaputte Stimme, heißt es da. Außerdem scheut der wunderliche Kauz sein Publikum. „Na und?“, denkt der verständnisvolle Fan: Ist es nicht allzu verständlich, wenn einer die Lieder, die er 40 Jahre gespielt hat, nicht mehr hören kann? Ist es nicht auch cool, wie sich der Weltstar Dylan griesgrämig allem verweigert?

Hört man aber live die lang geliebten Songs wie „Just like a Woman“, dann kommen doch auch Trauer und Bedauern auf. Es ist ja nicht die krächzige Stimme. Klar klingt Dylan zwischenzeitlich wie eine fauchende Katze oder der Erschrecker aus der Geisterbahn. Grundsätzlich wird die Strophe vernuschelt oder lächerlich übertrieben geraunt. Viel gravierender ist, dass er jede Melodie verändern muss; er zieht die Töne am Versende künstlich nach oben und richtet so die Schönheit der Melodie zu Grunde.

Die Kriegsindustrieanklage „Masters of War“ verliert so alles Schneidende, Gefährliche. Schnellere Stücke wie „Highway 61 Revisited“ gewinnen dagegen durch das dichte Gitarrenarrangement an Drive. Banjo, Geige und Steel Guitar sorgen für countryeske Momente, und gerne lässt man die Songs mit einem klassischen Blues-Schluss enden. Manche Stücke erkennt man erst am Refraintext, so kann das Publikum „Erkennen Sie die Melodie?“ spielen und sich aufgeregt Songtitel zuflüstern.

Bob Dylan nimmt an diesem Abend keine Gitarre in die Hand, er steht am Elektropiano und wendet das Gesicht grundsätzlich ab vom Publikum. Erst als er ein gefürchtetes Instrument ergreift, wird er munter – und tänzelt fast heiter als Quälgeist an der Mundharmonika vor dem Schlagzeug herum. Zur Zugabe gibt es den Jahrhundertsong „Like a Rolling Stone“, und die Menge in der ausverkauften Arena wogt im Glück. Dann folgt das immer noch magisch-rätselhafte „All along the Watchtower“ und die Show ist zu Ende.

Zum Schlussbild zuckeln die Herren Musiker in manieriert- dandyesker Körperhaltung zum Bühnenrand, bleiben da wackelnd stehen, blicken freundlich nickend ins Publikum. Fast klein und zierlich wirken sie aus der Ferne, Männer mit Hüten und interessant zerfurchten Gesichtern schauen einen an und man schaut zurück, und plötzlich scheint es so, als habe man zum ersten Mal an diesem Abend eine Sekunde der Intimität mit Bob Dylan erfahren.