Missbrauch bei den Domspatzen: Im Internat der Angst

Jeder dritte Schüler wurde verprügelt, viele wurden Opfer sexueller Übergriffe. Die Zahlen weichen massiv von denen ab, die das Bistum genannt hat.

Das Kloster Pielenhofen an der Naab, im Bildvordergrund ist Wasser zu sehen

Von 1981 bis 2013 war in dem Kloster Pielenhofen die Domspatzen-Vorschule untergebracht. Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Der Prügel- und Missbrauchsskandal bei den Regensburger Domspatzen war offenbar um ein Vielfaches größer als bisher angenommen. Nach einem Zwischenbericht des Sonderermittlers Ulrich Weber, ein Regensburger Rechtsanwalt, soll knapp ein Drittel der Buben in der dem Domspatzen angehörenden Internat Etterzhausen/Pielenkofen von körperlicher Gewalt betroffen sein. Vielfach kam es auch zu sexuellem Missbrauch.

Weber wertet die damaligen Zustände in den katholischen Einrichtungen als ein „System der Angst“. Dies hat von 1945 bis 1992 angehalten, hauptsächlich in der Direktoratszeit von Johann Meier von 1953 bis 1992. Dieser wird immer wieder als Hauptverantwortlicher für die Gewalt ausgemacht. Er starb 1992 wenige Monate nach seiner Pensionierung im Alter von 68 Jahren.

Ermittler Weber liegen nach achtmonatiger Arbeit 231 Meldungen über körperliche Gewalt vor. Es gibt 42 Beschuldigte, neun von ihnen sollen die meisten Taten begangen haben. Über sexuellen Missbrauch existieren insgesamt 62 Meldungen über Straftaten, die 14 Täter verübt haben sollen.

Die Zahlen weichen massiv von denen ab, die das Bistum selbst vor knapp einem Jahr genannt hat: Da waren nur 72 Fälle aufgeführt worden. Die Opfer wurden mit je 2.500 Euro entschädigt. Mit den aktuellen Zahlen zeichnet sich für Weber ab, „dass rund 30 Prozent der Schüler bis 1992 von körperlicher Gewalt betroffen waren“.

Der Ermittler nennt erschütternde Beispiele: Körperliche Misshandlungen hätten in den Domspatzen-Einrichtungen aus Prügel bis zum „Blutigschlagen“, Schlagen mit dem Stock, Schlüsselbund oder dem Siegelring bestanden. Bettnässer wurden zur Schau gestellt, es gab Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug oder den Zwang zum Essen. Die sexuellen Übergriffe reichten von Streicheln bis zur Vergewaltigung.

Obwohl es immer wieder zu Beschwerden und Anzeigen kam, stellte sich das Bistum weitgehend taub. Für polizeiliche Ermittlungen hat Weber keine Hinweise entdecken können. Als ein Schüler 1966 durch die Gewalt erhebliche Verletzungen erlitt und die Mutter Anzeige erstattete, sollen Mitschüler dazu gezwungen worden sein, von einem Treppensturz zu berichten.

Ein ganzes Dossier mit Vorwürfen

Der Stiftungsvorstand der Domspatzen hatte 1987 ein ganzes Dossier mit massiven Vorwürfen vorliegen. Als Schuldirektor Meier damit konfrontiert wurde, stritt er nach Darstellung Webers alles ab. Der Anwalt: „Personelle Konsequenzen blieben aus.“ Auch nach 1992 wurden einzelne Briefe mit Schilderungen von körperlicher und sexueller Gewalt zurückgehalten. „Die Vorgänge waren sowohl intern bekannt als auch kritisiert“, so Weber. Es folgten jedoch keine Konsequenzen oder strukturellen Umbauten.

Die Domspatzen sind der international bekannte Knabenchor des Regensburger Doms. Kapellmeister war von 1964 bis 1994 Georg Ratzinger, Bruder von Joseph Ratzinger, dem zurückgetretenen Papst Benedikt XVI. Wusste Georg Ratzinger auch von den Missständen?, wird Opferanwalt Weber gefragt. „Davon gehe ich aus“, sagt er.

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