Wirtschaftsnotstand in Venezuela

Krise Präsident Maduro redet drei Stunden, ohne Gegenmaßnahmen zu nennen. Bevölkerung leidet

CARACAS taz | Venezuelas Präsident Nicólas Maduro hat den wirtschaftlichen Notstand ausgerufen. Am Freitag unterzeichnete er ein entsprechendes Dekret. Danach fuhr er zur Nationalversammlung, um den Rechenschaftsbericht für das vergangene Jahr zu vorzustellen. Eigentlich ein von der Verfassung vorgesehener Routinevorgang. Doch bei der im ganzen Land mit großer Spannung erwarteten Sitzung traf mit Maduro erstmals nach 17 Jahren wieder ein Präsident auf eine oppositionelle Mehrheit im Parlament. Amtsvorgänger Hugo Chávez hatte stets die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich. Seit dem 5. Januar verfügt die Opposition aus konservativen und Mitte-links-Abgeordneten über eine Zweidrittelmehrheit. Die Verhängung des wirtschaftlichen Notstands ist zunächst nur ein formaler Akt. Der Präsident hat 60 Tage Zeit, um Maßnahmen zu Verbesserung der Wirtschaftslage zu erlassen. Aber in seiner gut dreistündigen Rede vor den Parlamentariern ließ er nichts Konkretes durchblicken.

Venezuelas Wirtschafts- und Versorgungslage ist verheerend. Seit der Preis für Venezuelas wichtigstes Exportprodukt, Öl, eingebrochen ist, hat sich die Situation in dem von Importen abhängigen Land dramatisch verschlimmert. Der Abwärtstrend hatte im September 2014 begonnen, als der Preis für das Fass bei knapp über 90 US-Dollar lag. 2015 lag der Durchschnittspreis noch bei 46,07 Dollar pro Fass, jetzt ist er auf etwa 25 Dollar gefallen.

Die langen Schlangen vor den Supermärkten und Geschäften sind der sichtbare Ausdruck der Misere. Sie zeigen die Knappheit von Waren, die die Grundbedürfnisse der Bevölkerung abdecken sollen, wie Maismehl, Milch, Fleisch, Geflügel, Reis, Speiseöl oder Zucker. Der Import von Ersatzteilen für Fahrzeuge oder Maschinen ist zum Erliegen gekommen, Autoreifen oder -batterien sind kaum zu bekommen.

Am Freitag hatte die Zentralbank erstmals seit langer Zeit wieder Zahlen vorgelegt. Denen zufolge schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal 2015 um 7,1 Prozent. Die Inflationsrate kletterte auf 141,5 Prozent. Private Analyseunternehmen schätzen die Lage jedoch weitaus schlimmer ein. Nach den Angaben von Ecoanalítica ging die Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr um 9,2 Prozent zurück, während die Inflationsrate auf rund 220 Prozent kletterte. Die Kaufkraft der Reallöhne brach um 35 Prozent ein. „Das ist der größte Kaufkraftverlust in den letzten 20 Jahren“, so Ecoanalítica-Direktor Asdrúbal Oliveros.

In seiner Erwiderung ermahnte Parlamentspräsident Henry Ramos Allup den Präsidenten, aktiv zu werden. „Die Menschen sind es leid, immerzu von Plan A, B, C oder D zu hören, sie wollen konkrete Maßnahmen.“ JÜRGEN VOGT