Debatte Umgang mit der Flüchtlingskrise: Geld gegen Miesheit und Hysterie

Die Flüchtlingskrise ist eine Überforderungskrise. Dagegen gibt es ein Hausmittel: Geld. Schön, dass wir gerade so viel davon haben.

Menschen stehen mit Deutschlandfahnen auf einem Platz in Dresden

Wir müssen die kartoffeligen Rassisten und die Kölner Sexisten mit Geld zuscheißen Foto: dpa

Täusche ich mich – oder ist in die Diskussion über das Einwanderungs-, das Zukunftsland Deutschland ein mutloser, ja ein defätistischer Ton eingezogen? Sind es wirklich die 10 oder 15 Prozent AfD-Wähler, die bestimmen, wo es langgeht? Oder die drei Dutzend CSU-Landtagsabgeordneten, die aus ihrem Dauerheerlager in Kreuth Brandbriefe schreiben und definieren zu können meinen, was Deutschland verkraften kann?

Wollen wir ein Land, in dem in den Schulbüchern oder ihren digitalen Äquivalenten 2050 zu lesen wäre, dass mutige Männer – und ein paar Frauen – Deutschland im Jahr 2016 vor dem Kollaps bewahrt haben, indem sie – ja was eigentlich: „geltendes Recht“ durchgesetzt haben? Mit Mauern und Zäunen, mit Soldaten (und ihren Gewehren) und im Schlamm versinkenden Dschungelcamps für Flüchtlinge im Vorfeld – ob das nun Türkei, Mazedonien oder Österreich heißt?

Werden künftige Generationen in einem Geist erzogen, dessen Bezugspunkt nicht die konkrete Vision einer offenen Gesellschaft sein wird, sondern der eher an den Albtraum einer zum ständigen Abwehrkampf gegen die Horden aller Länder gedrillten Volksgemeinschaft gemahnt? Außer einem Kern von harten Nazis will so ein Land niemand.

Selbst wenn man unterstellt, dass die Meldungen von am Strand von Lampedusa oder Lesbos angeschwemmten Kinderleichen einen nicht unbeträchtlichen Teil der deutschen Bevölkerung kalt lassen – jedenfalls sehr viel kälter als die vorübergehende Belegung der Turnhalle vor Ort mit Flüchtlingen –, dann gibt es immer noch eine Mehrheit in dieser Republik, die eine zumindest grobe Vorstellung davon hat, dass wir in einer Epoche der globalen Migration leben: von Menschen, die wie im Märchen schlicht etwas Besseres als den Tod suchen.

Naive Gutmenschen, angstbeißende Gartenzwerge

Diese Mehrheit muss sich verständigen. Und sie muss das politisch über die Institution tun, die sie sich gegeben hat: den Staat. Es ist schön und verfehlt bzw. freudlos und schlapp, wenn die einen weiterhin bis zum Umfallen Teddybären verteilen und in der unbezahlten Freiwilligenarbeit abtauchen, während die anderen wie Thilo Sarrazin den Kontrollverlust fürchten und bestenfalls die Leserbrief- und Kommentarspalten füllen; und sich dabei wechselseitig als naiven Gutmenschen oder angstbeißenden Gartenzwerg beschimpfen.

Der Staat und sein Parlament: Was es jetzt ganz konkret braucht, ist kein Misstrauensvotum gegen Merkel, gegen die EU, keine Gespensterabstimmung über den Schießbefehl an den EU-Ausgrenzen. Abgestimmt werden muss über etwas sehr Einfaches. Über Geld. Über die 12,1 Milliarden Euro Haushaltsüberschuss, die Deutschland dank Globalisierung und EU und der Arbeit seiner Bürgerinnen und Bürger erwirtschaftet hat.

Wir müssen die Rassisten und Sexisten mit Geld zuscheißen, so wie Helmut Kohl das immer getan hat

Und diese Milliarden jetzt ausgeben muss – und am besten gleich noch mal das Doppelte und Dreifache. Wir brauchen in der aktuellen Situation keine Schuldenbremse. Wir brauchen eine Schäublebremse. Wir müssen die kartoffeligen Rassisten und die Kölner Sexisten mit Geld zuscheißen, so wie der gute alte Helmut Kohl das immer getan hat, wenn Not an Mann war. Denn nur das lindert ihre Furcht.

Und wenn wir schon mal dabei sind, können wir auch gleich den Hartz-IV-Satz deutlich erhöhen und den Mindestlohn sowieso. Und von mir aus auch die Autobahnbrücken erneuern. Von mir aus: Auch für Dinge, die einen kalt lassen, muss Geld ausgegeben werden, vor allem aber für die Menschen und ganz besonders für die Kinder und für die, die sie bilden, im umfassenden Sinn. Damit wird dann nicht gleich alles gut. Aber von der inzwischen erreichten Obergrenze der Miesheit und der Hysterie würden wir doch einigen Abstand gewinnen.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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