Kommentar Dauerkrise der Koalition: Unter Angsthasen

Seehofer und Gabriel zerstören Merkels Autorität – und ihre eigene: Die rechtspopulistische AfD steht lachend daneben.

Angela Merkel sieht überrascht aus

Von allen Seiten unter Druck – und manchmal sieht man ihr das auch an: Angela Merkel Foto: dpa

Von einem professionellen Umgang kann in der Koalition schon lange keine Rede mehr sein. Aber das Dauerfeuer der CSU gegen den liberalen Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik bekommt eine neue Qualität.

Neuerdings feuert auch SPD-Chef Sigmar Gabriel mit. Der Schaden, den sie mit ihrer überdrehten Kritik anrichten, ist immens. Seehofer und Co. zerstören nicht nur Merkels Autorität, sondern auch ihre eigene – und die rechtspopulistische AfD steht lachend daneben.

Seehofer geht an keinem Mikrofon vorbei, ohne die Kanzlerin zu maßregeln. Verkehrsminister Dobrindt lästert, es reiche nicht mehr, der Welt ein freundliches Gesicht zu zeigen. Vizekanzler Gabriel glaubt nicht mehr recht an eine europäische Lösung. All das sind offene Versuche, die Kanzlerin und ihre Richtlinienkompetenz zu demontieren. Wer solche Freunde am Kabinettstisch hat, braucht keine Feinde mehr.

Dass Merkel zu alldem schweigt, zeigt, wie sehr ihre Macht erodiert. Es ist nicht lange her, da feuerte Merkel eine Bildungsministerin, weil diese in ihrer Doktorarbeit geschummelt hat. Und heute? Normalerweise müsste Merkel Seehofer in einer ruhigen Minute erklären, dass die CSU Teil der Regierung ist. Sie müsste dem Dampfplauderer Dobrindt den Stuhl vor die Tür stellen.

Dass Merkel zur Kritik von Seehofer und Co. schweigt, zeigt, wie sehr ihre Macht erodiert

Und Gabriel, der Merkels Kurs einer europäischen Lösung stützt und sich zugleich von ihm absetzt, sollte sich fragen, ob er in der richtigen Regierung sitzt.

Seehofer, Dobrindt und Gabriel streiten nicht mehr produktiv über das Jahrhundertthema, dass die Flüchtlinge darstellen. Sondern sie instrumentalisieren die Schwächsten, weil sie die Skepsis der Bevölkerung fürchten. Sie demütigen die Kanzlerin, obwohl sie verpflichtet wären, zu führen. Ruhig, besonnen und ja: gemeinsam.

Vielleicht gibt Merkel dem Druck nach, vielleicht gewinnen die Ängstlichen. Aber im Moment wirkt sie in der großkoalitionären Hysterie wie ein Vollprofi unter Angsthasen.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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