Von Öffnungen und Ausweichmanövern

Theaterverständnis Das Theater als „moralische Anstalt“ trifftauf neue Bedürfnisse: Diskussion in der Akademie der Künste

Auch möglich: der Zuschauerschlaf. Hier nach zwanzig Stunden Theater in Berlin, 2012 Foto: Braun/drama

von René Hamann

„Ich gehe nicht in Theaterstücke / grundsätzlich nicht/ etwas Widerwärtiges ist das Theater/ (...) Mir sind die Schauspieler zuwider / spricht ein Schauspieler / habe ich Kopfschmerzen / (...) Auch mein Vater hat die Schauspieler gehasst / Das Agieren auf einer Bühne / verursacht mir Übelkeit / tatsächlich ist mir nur der Dilettantismus auf dem Theater erträglich / die Vorstadtbühne / Liebhaberaufführungen in geschlossener Gesellschaft verstehen Sie / nicht aber ein Theater / als hohe Kunst ...“

Dieser theaterskeptische Text stammt von Thomas Bernhard (aus „Die Jagdgesellschaft“). Man könnte zustimmend fragen, wer braucht heute noch das Theater? Sind das nicht in erster Linie die Bühnentechniker, Beleuchter, Kulissenschieber und ein gewaltiger bürokratischer Apparat mit Intendanz an der Spitze? Und eine Handvoll passabler Regisseur*innen und ein bunter Haufen Schauspielender? Insgesamt, könnte man böse sagen, ist das Theater eine große Geldvernichtungsmaschine.

Andererseits: Es gibt heute, angesichts der Krisen der Welt – die Stichworte lauten: Finanzkrise, Globalisierung, Syrien, Migration, Rechtsruck – vielleicht mehr Bedarf an Reflexion und Diskussion als je zuvor. Das aufzugreifen, steht das Theater, besonders in Berlin, aber auch anderswo in Deutschland, derzeit eigentlich ganz gut da.

Um all diese Gründe sollte es auch am Sonntagabend am Pariser Platz gehen, da hatte die Akademie der Künste zur Diskussion über ein „gegenwärtiges Theaterverständnis“ geladen. Und, um es gleich vorwegzu­nehmen, das Angebot fand tatsächlich großen Anklang, die obere Etage der AdK war gut gefüllt, bis die vier Diskussionsrunden allmählich den Saal leerspielten.

Was durchaus an der Performance lag. Denn die Eingangsfragen, die Ulrich Matthes, „Direktor der Sektion Darstellende Kunst“ der AdK und landesweit bekannter Schauspieler, in seiner kurzen Einführung stellte, lauteten genau so: Was soll das Theater? Warum gehen angeblich immer weniger Leute hin? Beantwortet wurden sie aber leider nicht. Nicht wirklich.

In der Folge befleißigten sich vier Panels mit je drei bis vier Mitgliedern – Männer insgesamt eindeutig in der Überzahl –, die Fragen wortreich zu umgehen und sich lieber in „interessanten Detailfragen“ zu verlieren. Die Diskutanten sprachen zu sehr aus ihren Funktionen heraus; lediglich Matthes selbst versuchte, hinsichtlich diverser Ansätze Offenheit zu demonstrieren. Ansonsten sprachen die Theaterkritiker, darunter Christine Wahl vom Tagesspiegel, über Probleme der Theaterkritik, über Reisebudgets und Zeilenhonorare, über Beschimpfungen in den Kommentaren im Netz; während sich die Teilnehmenden der Runde „Wie viel Literatur braucht Theater“ über Texttradition und Autorschaft ausließen. Tenor: Das Theater öffnet und wandelt sich und das ist auch gut so – auch wenn es hier und da in Sachen Diversität und Gleichberechtigung noch durchaus Verbesserungsbedarf gibt, wie dieser Abend ja auch zeigte.

In der Folgebeflei­ßigten sich die Panels, die Fragen wortreich zu umgehen

Abstieg und Spartrieb

Über den gefühlten Abstieg des Theaters in Sachen sozialer Relevanz aber kaum ein Wort – dabei fielen die Stichworte ja doch, nur eben in vermeintlichen Nebensätzen: abnehmende Subventionen für die Theaterhäuser oder die Kultur generell, abnehmende Akzeptanz dieser Subventionen seitens der Politik und auch unter der nicht rechten Wählerschaft; neoliberal motivierte Sach- und Renditezwänge, überhaupt der allumgreifende Spartrieb in Zeiten des sich immer weiter beschleunigenden Turbokapitalismus. Wenn man will. Wollte nurniemand so sagen. Und natürlich: die Konkurrenzmedien, wobei es schon fast wieder interessant war, dass das Fernsehen und das Kino überhaupt nicht genannt wurden. Nur das Internet.

Wie es gehen kann, stellte beispielsweise der Intendant des Staatsschauspiels Dresden, Wilfried Schulz, heraus. Wobei er auch betonte: Er könne gerade gar nicht anders. Die Stadt Dresden muss sich mit Pegida und all dem anderen Übel auseinandersetzen, denn ein städtisches Theater ist eben als Diskursinstanz, als Bedeutungsproduktionsstätte, ja, als die vielzitierte „moralische Anstalt“ im Sinne Friedrich Schillers gefragt. Und ebenso als Definitionsmacht „nationaler Kultur“; gerade weil kaum etwas sich so sehr ändern wird.