„Oh, welche Tiefe ist das“

OPER Ein wahres Kleinod an Witz und stilistischer Eleganz von Rimski-Korsakow verbinden Elisabeth Stöppler und Max Renne in „Mord an Mozart“ mit Grundfragen der Menschheit. In der Werkstatt der Staatsoper

Roman Trekel (Salieri), Stephan Rügamer (Mozart), hier schon in der Phase der Verlängerung Foto: Vincent Stefan

von Niklaus Hablützel

Eigentlich besteht die Oper „Mozart und Salieri“ von Nikolai Rimski-Korsakow nur aus zwei Szenen und dauert etwa 45 Minuten. Genau das ist das Pro­blem. Sie ist viel zu kurz für einen richtigen Opernabend und wird deswegen kaum je aufgeführt. Puccini war schlauer. Er hat gleich drei Kurzopern geschrieben, die sich zusammen als „Il Trittico“ bis heute glänzend verkaufen.

Aber die Staatsoper ist mutig und hat Erfahrungen mit kurzen Formen. In der Werkstatt ohnehin, wo die Regisseurin Elisabeth Stöppler und der Allrounddirigent Max Renne bisher hauptsächlich gearbeitet haben. Nun also sollte es Rimski-Korsakows Kriminalkomödie von 1898 sein, die noch einmal die schon damals längst widerlegte Legende kolportiert, Antonio Salieri habe seinen genialeren Konkurrenten Mozart vergiftet. Milos Forman hat sie 1984 mit seinem Film „Amadeus“ auf 160 Minuten ausgewalzt, wahr ist sie trotzdem nicht.

Die beiden Komponisten waren in ihrer Zeit gleichermaßen berühmt und gut befreundet. Das wusste natürlich auch Alexander Puschkin, der 1830 den Stoff in seine Sammlung von Einaktern unter dem ironischen Titel „Kleine Tragödien“ aufnahm. Rimski-Korsakow hat den Text nahezu wörtlich vertont und daraus ein wahres Kleinod an Witz und stilistischer Eleganz gemacht. Es lohnt sich sehr, im Schiller Theater Roman Trekel zuzuhören, wie Salieri, vor Selbstmitleid triefend, in seiner großen Eröffnungarie das „Unrecht“ beklagt, wie Gott die Talente verteilt habe.

Verblüffend stilsicher lässt Rimski-Korsakow dazu die große Opera seria des 18. Jahrhunderts erklingen. Dann torkelt Stephan Rügamer herein. Jetzt wird es buffo. Rügamer-Mozart hat aus der Kneipe einen blinden Straßengeiger mitgebracht, der sein „Voi, che sapete“ aus „Figaro“ grausam zu Tode fidelt. Mozart lacht begeistert dazu, hat aber noch etwas anderes im Gepäck, das er seinem geschätzten Kollegen mal zur Prüfung vorspielen will. Rügamer setzt sich ans Klavier. Rimski-Korsakow beginnt mit Mozart für Klavierschüler. So was kann auch ein Sänger spielen, aber schon bald muss er Adrian Heger, dem Korepetitor des Opernchores, Platz machen, denn unmerklich verwandelt sich das Stück in eine Virtuosennummer mit Orchester, die ungefähr bei Rachmaninow endet.

Absurd pathetisch

Das ist der extrem seltene Fall einer Musik, die in sich selbst komisch ist. Das Klavier donnert mit vollen Akkorden und rasenden Tonleitern so absurd pathetisch in eine samtene Orchesterwolke der triefendsten russischen Romantik hinein, das man unweigerlich lachen muss – denn natürlich ist die musikalische Substanz nur die Mozart-Imitation des Anfangs. Salierei aber ist platt und singt in einem etwas verwackelten Rezitativ der Opera seria „Oh, welche Tiefe ist das!“. Allein schon diese wundervolle Parodie auf die Romantik seiner eigenen Epoche rechtfertigt sämtliche Kosten einer Aufführung dieses Meisterwerks.

Es lohnt sich sehr, im Schiller Theater Roman Trekel zuzuhören, wie Salieri, vor Selbstmitleid triefend, in seiner ­großen Eröffnungs­arie das „Unrecht“ beklagt, wie Gott die Talente verteilt habe

Aber es ist einfach zu kurz. Man muss also etwas tun für diese Perle. Elisabeth Stöppler hat sehr viel getan. Der Abend beginnt mit Mozarts „Sechs Variationen über ein Thema von Salieri“, sehr reizvoll arrangiert für Metronome, Tasteninstrumente, Akkordeon und Vibrafon.

Nach Mozarts Bühnentod spielt Sophie Heinrich, als Einstein kostümiert und geschminkt, mit Adrian Heger zusammen den langsamen Satz aus Mozarts Sonate für Violine und Klavier, Köchelverzeichnis 378. Zum Sterben schön, aber die Hauptrolle übernimmt ab jetzt Angela Winkler. Zuerst liest sie aus dem Briefwechsel zwischen Einstein und Freud von 1932 vor (beide Mozart-Verehrer), danach Passagen der Rede des Großinquisitors aus den „Brüdern Karamasow“ von Dostojewski. Dazu spielen Mitglieder der Staatskapelle Teile aus dem Opus 110 von Dmitri Schostakowitsch. Sehr bedeutende, lastende Musik, am Ende stehen vom Hauskomponisten David Robert Coleman hübsch verfremdete Teile aus Mozarts Requiem.

Trekel und Rügamer dürfen noch einmal singen (echten Mozart), stumm bewacht von Angela Winkler mit Hut, Anzug und Hirtenstab als Josef Beuys erkennbar. Es geht um die letzten Fragen der Menschheit nach Gott, Krieg und Frieden, Gewalt und Liebe. Neues gibt es darüber nicht zu berichten, aber sie sind allesamt sehr schön in Szene gesetzt. Die tiefere Bedeutung ist im Programmheft nachzulesen, sichtbar ist sie nicht, auch wenn sich Angela Winkler ehrlich große Mühe gibt. Es ist schön, sie auf der Bühne zu sehen, aber es ist nur die Verlängerung. Im Fußball sollte das Spiel nach 90 Minuten entschieden sein. Eigentlich, aber Puschkin und Rimski-Korskaow haben ja nicht einmal das geschafft.

Wieder in der Staatsoper im Schiller Theater am 30. Januar, 2./4./7. + 13. Februar