Drohende Räumung in Göttingen: DGB will Flüchtlinge rauswerfen

Seit November wohnen in einem besetzten Ex-Gewerkschaftshaus in Göttingen auch Flüchtlinge. Der DGB-Landeschef nennt das „Gutmenschentum“.

Altes Gewerkschaftshaus in Göttingen: Der DGB will lieber Studenten als Flüchtlinge. Foto: Swen Pförtner

GÖTTINGEN taz | Mit der Besetzung des ehemaligen Göttinger Gewerkschaftshauses soll es bald vorbei sein. Das hat Niedersachsens DGB-Vorsitzender Hartmut Tölle angekündigt – und sich dabei rechts-populistischen Vokabulars bedient. Nun erfahren die Besetzer breite Unterstützung von innerhalb und außerhalb der Gewerkschaft.

Aktivisten hatten das seit 2009 leer stehende, vierstöckige Gebäude am Rand der Göttinger Innenstadt Anfang November in Beschlag genommen. Sie richteten große Teile des Hauses wohnlich her, schafften Möbel herbei, installierten Duschen und verlegten elektrische Leitungen. Mehrere Dutzend wohnungsloser Menschen, die meisten davon Flüchtlinge, fanden dort vorübergehend oder länger Unterkunft.

Unterstützer machen sich fast jede Nacht auf den Weg zum nahen Göttinger Bahnhof, um gestrandete Asylbewerber mit heißem Tee zu versorgen oder zum Übernachten ins besetzte Haus einzuladen. Gleichzeitig forderten die Besetzer die Gewerkschaft zu Verhandlungen über die Zukunft des Gebäudes auf, das sich im Besitz der gewerkschaftseigenen Vermögens- und Treuhand-Gesellschaft (VTG) befindet.

DGB-Landeschef spricht von „Gutmenschentum“

Nach monatelangem Schweigen meldet sich jetzt DGB-Landeschef Tölle zu Wort. Nach seinen Worten sollen die Besetzer an der künftigen Nutzung „gar nicht“ beteiligt werden. „Diese Leute, die dort sind, haben das Haus widerrechtlich besetzt“, sagte Tölle der Lokalzeitung. Sie hätten „Flausen im Kopf“, dass der DGB für ein Wohnprojekt die „Kosten und die Verantwortung tragen könnte“. Angeblich plant die VTG selbst einen Umbau des Gebäudes zu bezahlbarem Wohnraum für Auszubildende und Studierende. Eine solche Nutzung schließe Flüchtlinge nicht aus, solange sie etwa immatrikuliert seien, erklärte Tölle. Wegen „Ärger mit Anliegern“ müsse man aber „bei allem Gutmenschentum, auch mal aussprechen, dass die Neigung, Flüchtlinge in der Altstadt zu haben, nicht so ausgeprägt ist“.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund nutzte das Gebäude als seine Göttinger Zentrale. Auch mehrere Einzelgewerkschaften hatten dort ihren Sitz.

Seit dem Umzug des DGB in eine andere Immobilie 2009 steht das Haus leer. Nur ein Raum im Erdgeschoss ist an ein Fan-Projekt des Fußballvereins Göttingen 05 vermietet.

Formeller Besitzer des Gebäudes ist die gewerkschaftseigene Vermögensverwaltungs- und Treuhand-Gesellschaft (VTG).

Am 5. November besetzten Aktivisten das Haus.

Viele Parteien, Initiativen und auch die Besetzer selbst sind empört. Die Grünen etwa kritisieren Tölles „ignorante Haltung den AktivistInnen gegenüber“ und konstatieren: „Einmal mehr werden hier Gruppen Wohnungssuchender gegeneinander ausgespielt.“ Auch Die Linke verteidigt die Besetzung. Die Aktivisten hätten Unterstützungsstrukturen für Flüchtlinge geschaffen, wo die öffentlichen Maßnahmen zur Versorgung und Betreuung gestrandeter Menschen nach wie vor versagten. „Wer kümmert sich um diejenigen, die nachts am Bahnhof ankommen, wer hilft ihnen weiter?“, fragt die Partei.

Die Göttinger Jusos fordern „interne Konsequenzen beim DGB“. Tölles Äußerungen seien „ungeheuerlich“. „Dass Refugees in der Altstadt nicht willkommen seien und das ,Gutmenschentum‘ für Tölle hier ein Ende habe, halten wir für absolut unangebrachte, verbale Entgleisungen, die gerade in Zeiten von brennenden Flüchtlingsunterkünften auch interne Konsequenzen beim DGB nach sich ziehen sollten.“

Besetzer: „Gebäude stand jahrelang leer“

Und in einer Stellungnahme der Besetzer heißt es: „Es ist schon erstaunlich, mit welcher Arroganz Herr Tölle an die Öffentlichkeit tritt, nachdem der DGB das Gebäude jahrelang leer stehen ließ.“ Mit der Besetzung sei in kurzer Zeit ein Projekt mit Vorbildcharakter entstanden, das große zivilgesellschaftliche Unterstützung erfahre.

Auch innerhalb der Gewerkschaften gibt es großen Unmut über die markigen Worte des Landesvorsitzenden. „In unserem Namen spricht Hartmut Tölle hier nicht“, sagte etwa der Geschäftsführer des Ver.di-Bezirkes Süd-Ost-Niedersachsen, Sebastian Wertmüller. Es sei höchste Zeit, das ehemalige Gewerkschaftshaus einer „dauerhaften, sozialen und zu Göttingen passenden Nutzung“ zuzuführen. Durch verbale Ausfälle werde das erschwert. Eine Richtigstellung und eine Entschuldigung für den Sprachgebrauch halte er für angebracht, so Wertmüller.

In einer am Wochenende initiierten Resolution verurteilen Göttinger Gewerkschaftsmitglieder die Verunglimpfung des ehrenamtlichen Engagements für Flüchtlinge und Hilfsbedürftige als „Gutmenschentum“ von Leuten „mit Flausen im Kopf“. „Solch eine Sprache erwarten wir von Pegida-RassistInnen und anderen Nazis, nicht von KollegInnen“, heißt es dort. Ähnliche Kritik findet sich auf der Facebook-Seite des DGB Niedersachsen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.