Doku über nie gezeigten KZ-Film: Bedrohliches Lachen

Die ARD-Doku „Der Clown“ nähert sich der unveröffentlichten Tragikkomödie „The Day The Clowns Cried“ von Jerry Lewis.

Ein Mann zeigt seine mit Zement bedeckten Hände und streckt die Zunge heraus. Es ist US-Komiker Jerry Lewis

Witzigkeit kennt keine Grenzen? Oh doch! Lewis stieß an seine beim Dreh zur Tragikkomödie „The Day The Clown Cried“. Foto: dpa

Die größten Filme aller Zeiten sind vielleicht die, die nie gedreht oder vollendet wurden: Orson Welles’ „Heart of Darkness“. Henri-Georges Clouzots „L’Enfer“ mit Romy Schneider. Stanley Kubricks „Napoleon“, aus dem dann „Barry Lyndon“ wurde. Niemand hat sie je gesehen, und so wurden sie zu Mythen der Filmgeschichte.

Jerry Lewis’ „The Day The Clown Cried“ gehört zu jenen Mythen. Der Film wurde 1972/73 gedreht, aber nie gezeigt. Jerry Lewis hat seitdem kein Wort mehr darüber verloren, jedenfalls bis zu dieser Dokumentation.

Kein Tag vergehe, sagt Lewis darin, an dem er nicht an ihn denke: „Irgendwann am Tag fällt er mir ein und ich versuche, ihn aus meinem Kopf zu bekommen. Ich erinnere mich, wie ich 65 Kinder in die Gaskammer führte.“

Moment mal: Jerry Lewis, der Jerry Lewis, der so sinnfrei komische, unfassbar tollpatschige Slapstick-Figuren wie „Cinderfella“ oder „The Nutty Professor“ verkörpert hat? Dieser Jerry soll in einem Film, in dem er Hauptdarsteller und Regisseur war, Kinder ...?

Dokumentation „Der Clown“, 3. Februar, 22.45 Uhr, ARD.

Das ist die Geschichte: Der deutsche Clown Helmut Doork beleidigt im Suff den Führer und kommt dafür ins KZ, wo er den jüdischen Kindern ihr Los mit seinen Fertigkeiten ein kleines bisschen erträglicher macht. Die SS-Männer wollen das erst verhindern, machen ihm dann aber einen Vorschlag. Sie versprechen, ihm sein Leben zu lassen, wenn er die Kinder in die Gaskammer führt. Ein moderner Rattenfänger von Hameln. Am Ende greift ein Mädchen nach seiner Hand. Und der Clown geht mit den Kindern in den Tod.

40 Jahre verschwiegen

Der Film sollte kein Drama werden, sondern eine Tragikomödie, die vom Triumph des Komikers über die Mörder handelt – über jene Mörder, deren Geschäft die Angst ist und für die es nichts Bedrohlicheres gibt als das Lachen.

„Bei meinem Versuch, dieses große Menschheitsverbrechen von der Realität in die Fiktion hinüberzubringen, besetzten die Gräuel mein ganzes Denken und Fühlen. Und bis ich merkte, dass ich keinen Abstand mehr dazu hatte, war es zu spät. Ich war so betroffen, dass Comedy völlig unmöglich war und die eigentliche Idee des Films mir entglitt.“ Jerry Lewis will sich das gedrehte Material nur ein einziges Mal angesehen haben: „Ich habe mich zutiefst geschämt.“

Also hat er 40 Jahre lang geschwiegen. Und so ist es ein veritabler Coup, dass der deutsch-australische Dokumentarfilmer Eric Friedler ihn jetzt, kurz vor seinem 90. Geburtstag, für ein TV-Interview gewinnen konnte und außerdem Ausschnitte aus dem Film zeigen darf.

Zumal Lewis bemerkenswerte Dinge von sich gibt. Etwa über den von ihm engagierten Berater, einen ehemaligen SS-Mann – und offenbar tausendfachen Mörder: „Ich sagte, Karl, du hast doch nichts falsch gemacht. Du hast nur getan, was man dir befohlen hat.“

Für seinen Dokumentarfilm hat Friedler die inzwischen 40 Jahre ältere schwedische Filmcrew wieder zusammengetrommelt und sie Szenen nachspielen lassen. Szenen von einer Zeit vor der globalen medialen Aufarbeitung des Holocaust. Friedler spricht mit dem Regisseur Jean-Jacques Beineix, mit dem Starclown Pierre Étaix und mit etlichen anderen Beteiligten.

Zum Scheitern des „Clowns“ gibt es in Friedlers Film noch eine zweite Erzählung, die er unkommentiert neben jene von Lewis stellt. Sie ist sehr viel profaner. Dem Produzenten ist das Geld ausgegangen.

25 Jahre nach Lewis drehte Roberto Benigni seine in einem KZ spielende Tragikomödie. „La vita è bella“ wurde mit drei Oscars ausgezeichnet. Dazu Lewis: „Er hat es gestohlen. Benigni stahl mir die Idee.“

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