Kino-Thriller „Mittwoch 04:45“: Koks gegen die Müdigkeit

Die Griechenlandkrise mit den Mitteln des Neo-Noir inszenieren: der Thriller „Mittwoch 04:45“ und sein zahlungsunfähiger Held.

Mann auf einem Treppenabsatz hält eine Pistole in die Höhe

Perfekte Spannung: Stelios Mainas als bankrotter Barbesitzer Stelios in „Mittwoch 04:45“. Foto: Neue Visionen

Ein Film, der einen verschuldeten Griechen zum Helden hat, ist dazu verdammt, als Gleichnis auf die Gegenwart verstanden werden zu wollen. Für den Jazzklub-Besitzer Stelios (Stelios Mainas) könnte diese Verantwortung für den Gesamtzusammenhang aber das eine Gewicht zu viel sein, das ihn endgültig zu Boden drückt.

Die Daseinsmüdigkeit scheint dem 50-Jährigen bereits fest ins Gesicht gewachsen. Seine Miene erhellt sich auch nicht, wenn er zu Beginn von der Bühne seines Clubs ins spärliche Publikum hinein von dem Lebenstraum erzählt, den er sich vor 17 Jahren mit der Eröffnung dieses Ladens erfüllt hat. Man habe ihn für verrückt gehalten, beschwört er die eigene glorreiche Vergangenheit als Nonkonformist.

Doch so trostlos die Lage an diesem Abend auch aussehen mag, irgendetwas an Stelios verrät, dass es da unter der Schicht des Lebensüberdrusses noch einen eisernen Willen gibt. Stelios möchte an etwas festhalten, nur scheint ihm selbst nicht ganz klar zu sein, welches es sein könnte von all den Fellen, die ihm sprichwörtlich davonschwimmen.

Seinem zahlungsunfähigen Helden zum Trotz nutzt der griechische Regisseur Alexis Alexiou das Thema Griechenlandkrise in seinem zweiten Langfilm „Mittwoch 04:45“ in etwa so, wie ein notorischer Verführer den Dimmer in seinem Schlafzimmer einzusetzen weiß: als atmosphärische Einstimmung auf Aktionen im Zwielicht. Woran sich Alexiou abarbeitet, sind nicht Staatsverschuldung und Austeritätspolitik, sondern diverse Genrevorbilder im Noir und Neo-Noir, wobei die hochgetunten Männerdramen von Michael Mann sichtlich ganz oben auf seiner To-do-Liste stehen.

Alexiou zeichnet einen Zustand von allgemeinem Niedergang und Verhängnis

Innerhalb der fesselnd-düsteren Welt des Neo-Noir nämlich sind Stelios’ Probleme die genretypischen eines Mannes um die 50: Er hat eine Geliebte, die ihm außer für Sex nichts bedeutet, eine Ehefrau, die eine einzige Anklage gegen ihn ist, und zwei Kinder, um die er sich beständig ab morgen endlich kümmern will. Und er hat Schulden. Wie es sich beim Genre gehört, nicht bei einer Bank, sondern bei einem Mafioso. Weshalb sie inzwischen auch die für Stelios astronomische Höhe von 148.000 Euro erreicht haben.

Ein letztes Aufbäumen

Der Mafioso, seiner Herkunft wegen schlicht „der Rumäne“ genannt, ist eigens nach Athen gereist, um das Geld einzutreiben. Wenn er bis morgen nicht zahlen kann, soll Stelios ihm seinen Club überschreiben. Aber obwohl nichts an Stelios für eine Kämpfernatur spricht und er in geschulter Feigheit und Resignation die Demütigungen des Rumänen und seiner Schergen über sich ergehen lässt, gibt es etwas an ihm, was auf ein letztes Aufbäumen hindeutet.

Es ist denn auch die Leistung des Schauspielers Stelios Mainas, die aus „Mittwoch 04:45“ trotz der vertrauten Genreversatzstücke einen fesselnden Thriller macht. Obwohl man nie viel über die Figur erfährt, bleibt sein Gesicht mit minimalistischen Regungen endlos interessant. Auch hält Mainas die perfekte Spannung aufrecht zwischen den „guten“ und den „bösen“ Anteilen seiner Rolle.

„Mittwoch 04:45“. Regie: Alexis Alexiou. Mit Stelios Mainas, Adam Bousdoukos u. a. Deutschland/Griechenland 2015, 116 Min.

Der seine Müdigkeit mit Koks bekämpfende Stelios ist keineswegs nur Opfer und scheint sich der Mitschuld an seiner Lage sehr bewusst. Und natürlich sind da auch die schlechten Zeiten, in denen jeder bei jedem geliehen hat und niemand seine Schulden begleichen kann, während auf den Straßen das Chaos wächst: öffentlich aufgestellte Christbäume werden in Brand gesetzt, und am Straßenrand erschlägt eine Horde Jugendlicher mal eben einen Kleindealer.

Niedergang und Verhängnis

Überhaupt ist es bald die Atmosphäre an sich, die in „Mittwoch 04:45“ den Suspense ausmacht. Kunstvoll, geradezu erlesen zeichnet Alexiou einen Zustand von allgemeinem Niedergang und Verhängnis. Seien es die Luftaufnahmen, die Athen als grauen Moloch zeigen, oder das beständig schlechte Wetter samt malerisch tristen Regengüssen, sei es das Wechselbad aus aufbrüllenden Mitmenschen oder dumpf-gleichgültigen Passanten: Athen im Winter ist alles andere als eine Wohlfühlstadt.

Hinzu kommen Verfremdung und Zerrissenheit, wenn etwa ein anderer verschuldeter Clubbesitzer seine Osteuropäerinnen gegen Afrikanerinnen ausspielt und selbst in eine lange Tirade darüber ausbricht, dass er als Albaner auch nach Jahrzehnten in Griechenland nicht wirklich akzeptiert wird. Oder der in Hamburg geborene und mit den Filmen von Fatih Akin bekannt gewordene Adam Bousdoukos, der seinen schießwütigen Mafiafahrer immer mal wieder ins Deutsche fallen lässt.

Die Schwächen seines Drehbuchs, das nie ganz zur gewollten existenzialistischen Tiefe findet, gleicht Alexiou mit erstaunlich sicherem Stilgespür aus. Gekonnt rhythmisiert er seinen von Montagabend bis Mittwochfrüh spielenden Film durch willkürlich gesetzte Uhrzeiten und pointierte Dialogzitate, vernetzt seine Figuren durch symbolträchtige Motive wie aufgehende Schnürsenkel und lässt sie in Profilansichten ins Nichts jenseits des Bildausschnitts starren. Mit dem Stil übernimmt der Subtext die Erzählung, und der handelt von einer Krise, die tiefer geht als die der Währung.

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