Bei Anruf Spam

Spam, die Werbeseuche des Internets, hat jetzt auch das Telefon mit voller Wucht erwischt. Unerwartete Verkaufsanrufe bei Konsumenten boomen, obwohl sie gesetzlich verboten sind. Doch angesichts lukrativer Gewinne im Telemarketing scheren sich auch namhafte Unternehmen immer weniger um Kundenrechte

VON TARIK AHMIA

„Sie haben garantiert einen 3.000-Euro-Barpreis gewonnen! Es gibt keinen Haken! Um Ihren Preis zu erhalten, müssen Sie nur folgende Rufnummer jetzt anrufen: 01908…“

Tun Sie’s lieber nicht.

Wenn sich eine aufgezeichnete Stimme in diesen Tagen bei Ihnen telefonisch meldet, handelt es sich um einen Lockanruf einer neuen Betrugsmasche: Telefonspamming. Wie bei der E-Mail geht es beim Telefon-Spamming nicht mehr nur ums Verkaufen, sondern auch um knallharten Betrug. Erst in der vergangenen Woche ist in Düsseldorf eine Bande von Telefonbetrügern aufgeflogen, die tausende mit falschen Gewinnversprechen um mehrere Millionen Euro geschädigt hat. Ihre Masche: Computeransagen versprachen Traumpreise. Wer zurückrief, landete bei einer 0190-Nummer. Aber auch harmlosere Anrufe, die Konsumenten unerwartet mit Kaufangeboten belästigen, nehmen rapide zu. Es geht um Tiefkühlkost und Versicherungen, Reisen, Toner und Lotterielose. Fast alles lässt sich übers Telefon verkaufen. Doch viele Anbieter im „Direktmarketing“ scheinen sich um die Grenze zwischen Tüchtigkeit und Terror nicht mehr zu kümmern.

Kalt überrumpelt

„Cold Calls“ heißen diese Überrumpelungsversuche der virtuellen Drückerkolonnen. Dabei werden offenbar so viele Konsumenten kalt erwischt, dass sich das Prinzip des E-Mail-Spammings auch im Telekommunikationssektor rentiert: Die Masse macht’s, selbst wenn nur wenige Opfer auf die Tricks hereinfallen.

Die Voraussetzungen für die neuen Telefonmaschen liefern Rahmenbedingungen, die zwielichtige Geschäftsleute anziehen: Heerscharen eher schlecht qualifizierter und oft mies bezahlter Call-Center-Mitarbeiter, eine Rechtspraxis, die Raum für genügend Grauzonen bietet und technische Systeme, die es mit wenig Aufwand erlauben, vollautomatisch tausende auf Verdacht anzuklingeln. Hilfe leisten den Telefonterroristen moderne Wahlautomaten, die pro Minute bis zu 25.000 Anrufe absenden. Auch Adresshändler für die Rufnummern sind teilweise schon entbehrlich. Die Wahlautomaten klingeln stattdessen systematisch alle Zahlenkombinationen der Ortsnetze durch und stellen so fest, welche Telefonanschlüsse existieren.

Illegale Verkaufsgespräche

Dabei stellte der Bundesgerichtshof schon vor über 15 Jahren fest, dass selbst harmlosere Verkaufsgespräche illegal sind, wenn sie den Angerufenen überraschen. Im Jahr 2004 wurde dieses Verbot in das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) aufgenommen; danach dürfen Firmen und die beauftragten Call-Center zu Hause nicht anrufen, um Produkte zu verkaufen oder dafür zu werben. Eine Ausnahme gibt es nur, wenn eine Geschäftsbeziehung besteht und die Erlaubnis des Angerufenen vorliegt. „Wer dagegen verstößt, kann per einstweiliger Verfügung zur Unterlassung dieser Praktiken gezwungen werden. Wer trotzdem mit den illegalen Anrufen weitermacht, dem drohen Ordnungsgelder bis zu 250.000 Euro“, sagt der Hamburger Wirtschaftsanwalt und Ex-TV-Moderator Joachim Steinhöfel.

Illegale Telefonwerbung wird keineswegs nur von kleinen Klitschen betrieben. Auch große Firmen mit scheinbar grundsolidem Image geraten wegen ihrer Werbepraktiken in die Kritik. Immer wieder berichten Betroffene von telefonischen Belästigungen durch die Nordwestdeutsche und Süddeutsche Klassenlotterie (NKL/SKL). Es hat den Anschein, als würden Telefonagenten republikweit und ungefragt bei Haushalten anrufen, um halbe oder Viertellose der staatlichen Lotterie unters Volk zu bringen. Auf Beschwerden reagieren die Lottoveranstalter wie kaum anders zu erwarten. Ganz „Häschen Ahnungslos“ beteuern sie ihre Unschuld: „Wir haben niemanden beauftragt“, lautet die Standardauskunft der Unternehmen. Tatsächlich ist kaum nachprüfbar, ob ein Call-Center im Auftrag eines Dritten handelt oder nur auf die Provision schielt, die bei Vertragsabschluss fällig wird. Der Berliner Spamspezialist und Rechtsanwalt Christlieb Klages kennt die Beteuerungen aus seiner täglichen Arbeit: „Der Schuldige ist schwer zu überführen, denn zwischen Auftraggeber und Call-Center sind in der Regel Mittler eingeschaltet“, sagt Klages. Das größte Risiko bei illegalen Anrufen tragen sowieso die Call-Center, denn ihnen drohen bei „Cold Calls“ Unterlassungserklärungen und Geldstrafen. Deshalb sollten sich Opfer von Telefonspam bei unerwünschten Anrufen immer nach dem Namen des Anrufers sowie der Adresse und der Telefonnummer des Call-Centers erkundigen. Schon da legen viele Telefonagenten auf. Die Telefonagenten sind oft doppelt arm dran: „Viele Call-Center leben vom Arbeitsamt“, sagt Spamexperte Wolf-Dieter Roth. Der Journalist ist vom Betroffenen zum Telefonspam-Experten geworden. „Arbeitslose werden von den Arbeitsagenturen in die stressige Branche gedrängt. Wenn Telefonkosten und Gehälter die Provision für die Jobvermittlung langsam auffressen, macht man den Laden schnell wieder zu und einen neuen auf“, sagt Roth und fordert: „So etwas über das Arbeitsamt zu fördern, sollte gestoppt werden.“

ADAC und Allianz

Die eigentlichen Auftraggeber und Adressenhändler, die mit Millionen Kundendaten handeln, kommen oft ungeschoren davon, da die Beweispflicht und das volle Prozessrisiko bei den Opfern des Telefonspammings liegen. Juristische Erfolge gibt es trotzdem. Die Liste der wegen illegaler Telefonpraktiken belangten Firmen erinnert an das Who’s who der deutschen Industrie: ADAC und die Allianz-Versicherung gehören zu den Abgemahnten. DaimlerChrysler und die Deutsche Post AG haben Unterlassungserklärungen unterschrieben. Arcor, BHW, Telekom und Mannesmann wurden wegen illegalen Telefonmarketings vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) erfolgreich verklagt. Erst kürzlich reichte der vzbv eine weitere Klage gegen die Telekom ein. „Nach unserem Eindruck hat die Deutsche Telekom die Kontrolle über ihre Call-Center verloren“, resümiert Fachbereichsleiter Patrick von Braunmühl vom vzbv den Stand der Dinge. Jüngster Auslöser sind anscheinend Tarifwechsel, die Telekomkunden untergeschoben wurden. Die Call-Center der Telekom, so der Vorwurf, hätten anstatt des versprochenen Infomaterials gleich die Vertragsänderung verschickt.

Genervte kaufen nicht

Allerdings wäre es unfair, die Telefonmarketing-Branche pauschal unseriöser Praktiken zu bezichtigen. Immerhin gehört die Branche mit ihren etwa 3.000 Call-Centern und gut 300.000 Angestellten zu den wachstumsstärksten Dienstleistungsbereichen in Deutschland. Patrick Tapp bemüht sich dann auch um Schadensbegrenzung. Er ist Vizepräsident des Deutschen Direktmarketing Verbands (DDV), des mit etwa 860 Mitgliedern größten Branchenverbands. Davon arbeiten 112 Mitglieder im Telemarketing.

Tapp weiß, dass Telefonmarketing auf Dauer nur funktioniert, wenn die Kundschaft nicht allzu genervt ist. So plädiert er für die Durchsetzung von Qualitätsstandards in Call-Centern, für die es bereits ein TÜV-Zertifikat gibt. Telefonagenten sollen als geprüfte „Kaufleute für Dialogmarketing“ ihr Handwerkszeug bald besser beherrschen. Der DDV verwaltet auch eine Kartei, in der sich alle kostenlos eintragen können, die keine Werbepost erhalten wollen. Seit 34 Jahren gibt es diese so genannte „Robinsonliste“. Seriöse Direktvermarkter löschen diese Nummern und Namen aus ihren Adresslisten. Im nächsten Jahr will der DDV seine Robinsonliste auf das Telefonmarketing ausdehnen. Dann soll auch das Anmeldeverfahren einfacher werden, das bislang nur relativ mühsam per Brief oder Telefax möglich ist. Allerdings gibt es bereits alternative Robinsonlisten.

Jochen Diebel, Vorstand der Info- und Schutzgemeinschaft der Internetuser in Deutschland, bietet seit Jahren solche Listen gegen E-Mail-, SMS- und neuerdings auch Telefonspam an. „Allein in den letzten 14 Tagen haben 25.000 Menschen ihre Telefonnummer auf unserer Antispamliste registriert“, sagt Diebel nicht ohne Stolz. Der Erfolg ist aber wohl nur bescheiden, denn halten muss sich an die Liste nur, wer will. „Die Robinsonlisten sind völlig witzlos, denn die Direktvermarkter nutzen sie nicht“, findet dann auch Spamfachmann Wolf-Dieter Roth. Ein wenig erinnern die Robinsonlisten deshalb an Plakate mit Adressen, bei denen man bitte nicht einbrechen soll. Es wäre ein prima System, wenn sich die Verbrecher nur daran hielten. Wirkungsvoller erscheint es, die Telefonmafia technisch auszutricksen. Aktuell empfehlen Experten gegen Telefonspam, die heimische ISDN-Telefonanlage so einzustellen, dass sie nur Anrufe mit einer „geheimen“ letzten Ziffer durchstellt. Wer dann nur die normale Anschlussnummer kennt, wird – wie bei einem Spamfilter – gar nicht erst durchgelassen.