Michelangelo der Postmoderne

Rundblick Mit seinen monumentalen Panoramabildern wie dem zur Mauer am Checkpoint Charlie beschäftigt Yadegar Asisi eine ganze Malwerkstatt in Kreuzberg. Derzeit hat er zum Reformationsjahr Luther im Blick

Yadegar Asisi steht an der Mauer: der Meister und sein Werk Foto: David Oliveira

von Marcel Laskus

Eines Abends, als Yadegar Asisi durch die Gänge der Berliner Beuth-Hochschule läuft, denkt er so intensiv über sein Leben nach, dass ihm die Aktentasche aus der Hand fällt. Asisi ist damals Anfang 50 und hat keine Lust mehr. Sein halbes Leben verbrachte er an Hochschulen, erst als Student und Tutor, später als Dozent für räumliches Zeichnen. Bürokratie und Beamtentum waren ihm schon immer ein Graus, also Schluss damit. Am nächsten Tag hat Asisi die Kündigung in der Tasche, sein Präsident versucht ihn noch zu überreden, sagt. „Sie sind doch einer meiner besten Leute.“ Er geht trotzdem.

Wenn der heute 61-Jährige davon spricht, wie er sich vor sieben Jahren aus dem akademischen Apparat löste, klingt das wie die geglückte Flucht aus dem Knast. Nun steht Yadegar Asisi mit wachem Blick in seinem Unterschlupf, einem kleinen Atelier in Kreuzberg, und sagt: „Der Freiheitsgrad, den ich heute habe, ist kolossal.“ Manchmal sitzt er hier bis drei Uhr nachts, Familie und Freunde haben sich daran gewöhnt. Hinter ihm stapeln sich Geschichtsbücher, vor ihm breitet sich auf zwei großen Bildschirmen die Ansicht einer mittelalterlichen Stadt aus. Es ist Rouen in Nordfrankreich, wie es 1431 ausgesehen hat. Irgendwo auf dem Wimmelbild verbrennt gerade Jeanne d’Arc auf dem Scheiterhaufen.

Erst wenn Asisi nach Monaten der Recherche und Detailarbeit fertig ist, sind die Dimensionen seines Werks greifbar. Dann wird aus der Photoshop-Datei ein kreisrundes Riesenpanorama auf Stoff: 30 Meter hoch, 100 Meter breit, ausgestellt in Bauwerken, die fast so wuchtig in der Stadt liegen wie das Kolosseum in Rom. Wer hineingeht, betritt eine Illusion – im Maßstab 1:1.

Sein erstes Panorama stellte Asisi 2003 in Leipzig aus, wo er in zwei Jahren 450.000 Besucher auf den Mount Everest mitnahm. Weitere Asisi-Häuser entstanden in Dresden, Berlin, Pforzheim, Rouen. Die Städte werben damit, die Besucher schwärmen. Asisi illustriert den Amazonas und das Great Barrier Reef, er unternimmt Zeitreisen ins alte Rom und wühlt in den Schicksalstagen der deutschen Vergangenheit. In Dresden zeigt er den Moment, als die Stadt 1945 von den Briten bombardiert wurde, in Leipzig den Tag, an dem Napoleon die Völkerschlacht 1813 nach Leipzig brachte. Es ist Geschichtsunterricht, bei dem die Augen dem Kopf die Arbeit abnehmen.

Asisi legt beide Hände auf das Touchpad und zoomt an einen Häuserblock heran. Ein paar Griffe, dann bekommen Schieferdächer ein kräftigeres Braun und Bauern einen neuen Stellplatz auf dem Markt. Blind tippt und wischt er auf dem Touchpad, die Technik war schon immer sein Partner.

Zuletzt testete er für eine Fachzeitschrift das neueste iPad und pries es wie einst Steve Jobs. „Wer weiß, was da Vinci damit angestellt hätte“, sagt er. Seit sieben Jahren hält Asisi keine Vorträge mehr vor Studenten, doch er lehrt noch immer. Heute, und das ist der Unterschied, gibt er das Wissen über Bande weiter, mit seinen Bildern. Und erreicht damit mehr als in jedem Hörsaal, eine Million Menschen sehen seine Werke pro Jahr. Einmal kam Michelle Obama in Berlin für eine Stunde vorbei, um sich von Asisi das Panorama zur Mauer zeigen zu lassen. Er erzählt davon und ist sich sicher: Was die First Lady dort sah, machte ihr Eindruck.

Fünf Spazierminuten vom Atelier entfernt hat die Asisi GmbH ihren Sitz. Bier- und Limo­flaschen stapeln sich im Kühlschrank, Mittdreißiger in witzigen T-Shirts starren lässig konzentriert auf Displays. 15 Texter, Grafiker und Historiker ermöglichen die Panorama-Produktion im Akkord.

Seit September 2012 ist in einer Rotunde am Checkpoint Charlie „Die Mauer“ von Yadegar Asisi zu sehen. Das Panorama zeigt einen Blick auf die Anlagen der Berliner Mauer an einem grauen Novembertag in den 1980er Jahren. Geöffnet ist täglich von 10 bis 18 Uhr.

Derzeit plant Asisi zum Reformationsjubiläum 2017 ein Riesenpanorama zu Luther in Wittenberg. Optisch soll es sich vor allem an den Ereignissen der Reformation in Wittenberg vor 500 Jahren orientieren. Das Rundbild, für das eigens eine Rotunde gebaut wird, soll Ende 2016 eröffnet werden.

Hier, sagt Asisi, fühle er sich wie in einer Malwerkstatt der Renaissance, wo er derjenige sei, der am Ende alles zusammenführt. Wenn Asisi, der Michel­angelo der Postmoderne, einmal pro Woche im Studio vorbeischaut, drehen sich die Köpfe nach ihm um. Dann schlendert er mit lila Hermès-Schal und schwarzem Mantel über den weiten Gang und kommt rasch ins Gespräch. Es geht ums Wesentliche, für Smalltalk fehlt die Zeit. Asisi redet kaum, er hört zu und lässt sich erklären, woran seine Leute gerade arbeiten. Ist ihm etwas wichtig, streckt er die Hand aus und sagt: „Das mache ich dann selbst.“

Asisi kippt den dampfend heißen Tee hinunter, er ist in Eile. Und eine Frage treibt ihn immer um: Was kommt als Nächstes? Ganz oben auf der Liste stehen der Untergang der Titanic, das Luther-Jubiläum und die Anschläge vom 11. September. Was irgendwann einmal geschah, lässt sich auch auf die Leinwand bringen, ganz einfach. „Würden wir hier sitzen bei einer Flasche Wein, hätten wir schnell noch ein paar mehr Ideen“, sagt Asisi.

80 Millionen Deutsche bezeichnet er als seine Zielgruppe, eigentlich will er die ganze Welt. Ohne Probleme könne Asisi in wenigen Jahren fünf bis zehn weitere Häuser eröffnen, die Nachfrage sei gigantisch. „Aber“, schiebt er so überzeugt hinterher, dass man es fast glauben muss, „Expansion ist nicht mein Ziel.“