Moskaus Kioske werden abgerissen: Schönheit durch Einöde

Kioske sorgten in der russischen Hauptsadt für Leben. Aber Autoritarismus bevorzugt Übersichtlichkeit und Weite – deshalb müssen sie weichen.

zwei Bagger hinter einem Schuttberg

Das war mal ein Kiosk im nördlichen Zentrum Moskaus Foto: dpa

MOSKAU taz | Sergei Sobjanin ist kein charismatischer Politiker. Wenn Moskaus Bürgermeister doch mal vor Publikum auftreten muss, hält er sich knapp und schnörkellos. Letzte Woche ließ die Stadt Moskau in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an die hundert Cafés, Kioske und Geschäfte von Baggern niederwalzen.

Mieter und Besitzer waren außer sich vor Wut. Sie wedelten mit Papieren, Beglaubigungen, Gerichtsentscheiden und Lizenzen, die einst die Stadt ausgestellt hatte. Noch in der Nacht kommentierte der 57-jährige Sibirier nüchtern, es mache keinen Sinn, „sich hinter Eigentums-Papierchen zu verstecken, die unverkennbar auf betrügerischem Weg erworben wurden“.

Dass Eigentümer noch in letzter Minute Gerichte einschalteten, die ihnen die Rechtmäßigkeit des Besitzes bescheinigten, half auch nichts. „Wir geben den Moskauern Moskau zurück“, meinte Sobjanin und wich keinen Schritt von der Abrissbirne zurück. Manches kleine Geschäft wurde mit gesamtem Sortiment eingestampft. Die Besitzer hatten sie nicht leer geräumt, in der Annahme, die Verwaltung würde sich an Rechtsvorgaben halten.

Dass der Stadtvorsteher die Echtheit der Dokumente anzweifelte und den „Beamten Nachsicht und Mithilfe“ bei der Errichtung „von Bauten, die potenzielle Gefahren darstellen“, unterschob, werten viele aufgebrachte Moskauer schon als Ungeheuerlichkeit. Dass nun aber den Besitzern auch noch das Eigentum entrissen wird und die vermeintlich korrupten Beamten ungeschoren davonkommen, sendet ein Signal ins Land.

Eigentümer haben keinen leichten Stand

„Werden wir demnächst aus unseren Wohnungen vertrieben? Sind die Kaufverträge plötzlich nicht mehr gültig? Jeder kann jetzt behaupten, dass wir uns nur hinter Verträgen verstecken wollen!“, raunt es in den sozialen Medien.

Woher kommt unsere Sprachlosigkeit gegenüber Populisten? Ein Essay von Arno Frank in der taz.am wochenende vom 20./21. Februar. Außerdem: Schanna Nemzowa ist die Tochter des russischen Politikers Boris Nemzow, der vor einem Jahr ermordet wurde. Sie lebt in Deutschland im Exil. Ein Gespräch. Und: Ein glitzerndes Kapitel Popgeschichte – ein Besuch bei den Caufner-Schwestern, einem One-Hit-Wonder aus der DDR. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Eigentümer haben ohnehin in Russland keinen leichten Stand. Melden einflussreiche Kreise Interesse an Fremdbesitz an, kommt es schon vor, dass der widerspenstige Eigentümer im Gefängnis landet. Irgendetwas findet sich immer.

10.000 Kioske und Läden gab es noch vor einem Jahr. 3.500 sollen in diesem Jahr weichen. Aus dem Rathaus verlautete, Sobjanin peile die Kioskdichte in sowjetischer Zeit an. Zwei Drittel der zugelassenen Verkaufsstellen sollen wie damals wieder Presseerzeugnisse, Eis oder Theaterkarten verkaufen.

Sobjanin verspricht eine lebenswertere, weil ordentlichere Stadt. Die wird jedoch auch eintöniger, wenn der Tadschike um die Ecke, der der russischen Küche mit Würze aushalf, endgültig verschwindet.

Viele der 90er-Jahre-Bauten sind in der Tat keine architektonischen Kleinode. Aber sie versahen die Stadt mit Leben und Liebenswertem. Russlands Autoritarismus bevorzugt wieder Weite und Übersichtlichkeit.

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Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.

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