Befreit den Sport aus dem Griffder Funktionäre und Oligarchen!

Die taz-Sportdebatte (3) Warum es an der Zeit ist, die Supermächte des Sports zu zähmen. Die Fifa könnte jetzt einen Prozess der Demokratisierung einläuten, wenn sie in Zürich einen Präsidenten wählt, aber die Hoffnung auf einen Neuanfang ist nicht groß

So sehen sie, von links nach rechts, aus, die neuen Hoffnungsträger, wenn am Freitag in Zürich ein neuer Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa und Nachfolger von Joseph Blatter gewählt wird. Ins Rennen gehen der jordanische Prinz Ali bin Al Hussein (40), Uefa Generalsekretär Gianni Infantino (45) aus der Schweiz, der südafrikanische Geschäftsmann Tokyo Sexwale (62), der frühere Fifa-Offizielle Jerome Champagne (57) aus Frankreich und der Chef des asiatischen Kontinentalverbandes, Scheich Salman bin Ibrahim Al Khalifa (50) aus Bahrain. Letzterem werden beste Chancen eingeräumt Foto: ap

von Claus Leggewieund Daniel Cohn-Bendit

Der Sport ist einer der wichtigsten Treiber von Weltmarkt und Weltgesellschaft. Der Sport ist aber weder „eine neue Variante des Totalitarismus“, wie Robert Redeker in der taz behauptet hat, noch ist diese Freizeitbeschäftigung Vorschein „eines immer weniger entfremdeten individuellen und kollektiven Lebens“, wie die Replik von Hans Ulrich Gumbrecht lautete.

Wir bekennen, ein unzerstörbares Faible für schönen Sport zu haben, auf dem Platz wie vor der Glotze. Was uns seit Längerem den Spaß verdirbt, ist die Neigung großer Sportorganisationen (Fifa, Uefa, Internationales Olympisches Komitee etc.), sich von Autokraten vor den Karren spannen zu lassen und deren Regimen durch globale Sportinszenierungen Glanz zu verleihen. Mehr als eine „geistige Macht“ (Redeker) ist der Sportkomplex eine politische Supermacht, und die steht derzeit eindeutig nicht auf der Seite der Demokratie.

Globale Sportorganisationen, darunter milliardenschwere Vereinsmannschaften, agieren als willfährige Handlanger autokratischer Regime (Putin in Sotschi) und Kollaborateure einer gegen die lokale Bevölkerung gerichteten Ausbeutung und Unterdrückung (Katar, Brasilien). Auch die Verbände selbst sind oligarchisch aufgebaut – siehe das absurde System Blatter, ein intransparenter Männerbund, dessen Amateurhaftigkeit bei keinem Fünftligaklub geduldet würde und dessen kriminelle Energie unter dem Deckmantel der Völkerfreundschaft kaum zu fassen ist. Am Freitag wird in Zürich ein neuer Präsident gewählt. Aber ändert sich etwas?

Nach außen schirmen sich die Verbände hermetisch ab, sie sind niemandem rechenschaftspflichtig, wodurch sich eine endemische Korruption ausbreiten konnte. Unter dem Banner der Fairness decken, unterstützen oder animieren viele Verbände Doping, mit ihrer Finanzmacht erpressen sie nationale Regierungen. Fernsehrechte und Sponsoren haben den einst klammen Mitgliederverbänden gewaltige Ressourcen eröffnet, und das wiederum verleiht ihnen Medienmacht und eröffnet Kontakte in Unternehmen und Regierungsapparate, mit denen die Sportgewaltigen auf Augenhöhe verkehren.

Die globalen Sportverbände agieren damit wie Nichtregierungsorganisationen, die sich, anders als die meisten, jeder Verpflichtung aufs Gemeinwohl und jedem kritischen Einblick in ihr Innenleben entziehen. Die nach Nationenproporz bestellten und nach Gutsherrenart waltenden Geronten verspielen gerade das gewaltige Ansehen des Sports, das auf der Begeisterung beruht und auf dem Renommee aufgestiegener Athleten wie Sebastian Coe und Franz Beckenbauer, deren Korrumpierbarkeit Redeker zu Recht beklagt. Wer mit besten Absichten in diese Nomenklatura eintrat, wurde auch als Grüner selbst zum Autokraten.

Instrumentalisiert wird dabei der transnationale Charakter des Sports, der einfacher und selbstverständlicher „grenzenlos“ agiert als andere gesellschaftliche Systeme. Die Spiele der „Top 20“ im internationalen Fußball- oder Basketballgeschäft, Großereignisse im Tennis und im Golfsport, im Eishockey und im Baseball, beim Segeln, Rugby und Triathlon, aber auch Begegnungen der zweiten bis siebten Liga bieten eine spielerische Variante der Globalisierung. Die Fans können sich mit Nationalmannschaften genauso identifizieren wie mit transnational zusammengesetzten Vereinsmannschaften.

Kreolisierung und Lokalpatriotismus halten sich im Sport die Waage. Wo zu viele Legionäre mitspielen, machen die Anhänger Probleme. Als Manchester United durch den fußballfernen US-Tycoon Malcolm Glazer übernommen wurde, hagelte es wütende Proteste und es gab Absetzbewegungen unter Fans, von denen einige den „authentischen“ FC United of Manchester (in der siebten Liga!) unterstützten. Aber das war vergebliche Liebesmüh – die Premier League ist fester denn je in der Hand von Oligarchen aus den Erdöl- und Erdgasregimen.

Unter dem Banner der Fairness decken, unterstützen oder animieren viele Verbände Doping, mit ihrer Finanzmacht erpressen sie nationale Regierungen. Fernsehrechte und Sponsoren haben den einst klammen Mitgliederverbänden gewaltige Ressourcen eröffnet, und das verleiht ihnen Medienmacht

Sport haftet noch eine gewisse Widerständigkeit gegen die Gleichmacherei und Vaterlandslosigkeit der „Einen Welt“ an, und wahrscheinlich besteht in dieser patriotischen Reservekapazität exakt die Rolle des Sportsystems im transnationalen Austausch. Denn obwohl die Nationalität der Stars relativ wurde, blieb der Reiz des nationalen Kräftemessens auch in multiethnisch zusammengesetzten Teams erhalten.

Es gibt eine gleichläufige, aber eben nicht ganz identische Logik der Subsysteme Sport, Politik und Wirtschaft, die allesamt auf Wettbewerb, auf Inszenierung und auf Profitabilität ausgerichtet sind. Ökonomisierung und Politisierung haben das Faszinosum Sport nie ganz aufzehren können. Es ist einfach spannender, die deutschen Handballer gegen Spanien, Angelique Kerber gegen Serena Williams oder den FC Barcelona gegen Bayern München siegen zu sehen, als General Motors über Volkswagen, Airbus gegen Boeing und Merkel über Schröder.

Sportereignisse, die erwartbare und überraschende Aspekte besonders gut kombinieren, führen überdies aus der Routine und Normalität alltäglicher Erfahrung heraus. Dabei eignen sich Wettbewerbsspiele bestens für diskursive Aufbereitung, bei der sich die Akteure und Zuschauer über die Kriterien für die Einordnung des Endstandes als „Sensation“ oder „Reinfall“ verständigen. Was ein gutes oder schlechtes Spiel (gewesen) ist, entscheidet sich bekanntlich erst, während darüber auf der Tribüne diskutiert und danach im Fernsehen, im Netz und in maßgeblichen Zeitungen gefachsimpelt wird – und solche Bewertungen können noch nach Jahren wechseln. Diese geradezu romantische Atmosphäre bietet auch im aktuellen Krisengeschehen für ein paar Minuten Ablenkung.

Sport ist aber nicht auf eine kompensatorische Funktion zu beschränken. Denn die Wahrheit liegt nach einer alten Fußballweisheit aufm Platz: Wenn die D- oder A-Jugend trainiert, wenn sich Frauen auch vor leeren Rängen über Tore und Treffer in den Armen liegen, wenn Musliminnen das staatliche Leibesübungsverbot überschreiten, wenn Menschen aller Altersgruppen zusammenkommen und das Sportabzeichen machen, zeigt sich Sport von seiner besten Seite. Sicher, solche naiven Freuden nutzen die Verbände schamlos aus. Also wird es Zeit, den Sport aus dem Griff der Oligarchen und Funktionäre zu befreien.

Am 17. Januar eröffnete der französische Denker Robert Redeker die taz-Sportdebatte mit einem Text über den allgegenwärtigen „totalitären“ Sport. Hans Ulrich Gumbrechts Replik über die „Erhabenheit“ des Sports erschien am 30. Januar; Gumbrecht ist Professor für Literaturwissenschaften an der Stanford University. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, Daniel Cohn-Bendit Publizist und Politiker der Grünen.