Die gelben Würfel im Bernauer Forst

BAUHAUS Die ehemalige Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Bernau soll Welterbe werden. Die Bauhaus-Stätten in Weimar und Dessau würden damit zur Trias erweitert, und ein Schweizer Architekt könnte rehabilitiert werden

Das Gewerkschaftsensemble in Bernau ist das einzige Bauhaus-Gebäude von Rang in Berlin und Umgebung Foto: Patrick Pleul/ dpa

von Rolf Lautenschläger

Hinter Bernau, im Norden von Berlin, liegen ein paar schöne Klötzchen im Wald. Die Quader leuchten in hellem, gelbem Backstein. Hinzu kommen lange und runde Glaskörper, welche die wie in die Landschaft hineingewürfelten eckigen Blöcke verbinden und damit zusammenhalten.

Der geometrische Komplex – eine Abfolge gestaffelter Bauten – gehört zu den eindrucksvollsten Architekturen, die im Stil sowie im Geist des Bauhauses einmal errichtet worden sind. Von 1928 bis 1930 realisierten die Architekten Hannes Meyer, damals auch Direktor am Dessauer Bauhaus, und sein Partner Hans Wittwer dieses moderne Ensemble als Schule für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), das Vorbild für viele nachfolgende Schul-, Internats- und Seminargebäude werden sollte.

Dass man heute die ehemalige ADGB-Schule zwischen dichter Vegetation und weiteren Schulbauten aus DDR-Zeiten suchen muss, hat sowohl mit der abseitigen Lage im Bernauer Stadtforst als auch mit der Geringschätzung der Architektur und ihrer Architekten zu tun. Dies soll sich in diesem Jahr ändern. Das Bauhaus-Denkmal im Norden Berlins wird im Sommer 2016 für das Unesco-Welterbe nominiert werden. „Mit der Entscheidung über den Status rechnen wir voraussichtlich 2017, zwei Jahre vor dem Jubiläum 100 Jahre Bauhaus“, sagt Friedemann Seeger, Architekt und Vorstand des Fördervereins Baudenkmal Bundesschule Bernau, zu dem Vorhaben, das der Verein seit fast 25 Jahren befeuert.

Für das Bauwerk im Dornröschenschlaf wäre dies ein wichtiger Schub, es bekannter zu machen, so Seeger. Dass der Antrag erfolgreich sein dürfte, ist man sich in Bernau sicher. Denn zu den Beteiligten des Verfahrens für die frühere Gewerkschafterschmiede und für weitere Bauten Meyers in Dessau-Törten zählen das Auswärtige Amt, die Länder Brandenburg und Thüringen, die Landesämter für Denkmalpflege und die Stiftung Bauhaus Dessau, für welche die ADGB-Schule „von außeror­dentlichem universellen Wert“ ist.

Die Handwerkskammer Berlin, die 2005 das leer stehende Gebäude übernommen hatte und es als Internat und Bildungsstätte für 110 junge Handwerker betreibt, sieht sich als möglicher Nutzer eines Welterbes ebenfalls in der Pflicht. „Das wäre für uns eine große Herausforderung, der wir uns gern stellen“, erklärt Gregor Schöning, Leiter der Bildungsstätte. Bis 2008 hatte die Handwerkskammer mit über 8 Millionen Euro aus Eigenmitteln und mit öffentlichen Geldern die heruntergekommene Schule saniert. Weitere 2 Millionen Euro sollen zukünftig in die Gestaltung der Außenanlagen fließen, zudem soll die Wildnis rund um die Bauten beseitigt werden.

1927: Der ADGB beschloss, eine zentrale Gewerkschafts­schule zu errichten.

1930: Nach der Eröffnung besuchten über 4.000 Gewerkschafter die Einrichtung.

1933: Die Nazis schlossen die ADGB-Schule.

1947: Der FDGB, Gewerkschaftsbund der DDR, übernahm bis 1989 das Areal und erweiterte es.

1990: Zahlreiche Nutzer wechselten mit Leerstand.

2005: Die Berliner Handwerkskammer saniert die Gebäude.

2016: International Sommer School will das Bauhaus-Erbe wiederbeleben. Info: www.summerschool-bernau.de (taz)

Die Standorte der berühmten Architektur- und Designschule Bauhaus konzentrieren sich bis dato auf Weimar und Dessau. 1919 hatte Walter Gropius in Weimar die Reformschule gegründet. 1925 siedelte das Bauhaus nach Dessau über. Dort entstanden die schnittig gestalteten und gläsernen Bauhaus-Werkstätten sowie das Internat. Im Dessau wurden die Meisterhäuser, die Büro- und Siedlungsbauten hochgezogen, die zu Ikonen der Moderne avancierten.

Die „Bauhausstadt Berlin“ konnte an dieses Erbe nicht baulich, sondern nur museal anknüpfen. Und das, obwohl hier bis 1933 Ludwig Mies van der Rohe als letzter Direktor die Einrichtung leitete, bis sie von den Nazis geschlossen wurde. Das Berliner Bauhaus-Archiv beherbergt seit 1960 mit seiner großen Sammlung zwar Kunstwerke und Design, Grafiken und Nachlässe von Architekten und Künstlern, darunter Arbeiten von Gropius, Feininger, Itten, Klee, Kandinsky, Moholy-Nagy oder Schlemmer. Architekturen aus der Zeit der klassischen Moderne stehen aber an der Spree und in der Region nur in einem mittelbaren Verhältnis zum Bauhaus. Einzige Ausnahme ist die Gewerkschaftsschule von Hannes Meyer, die zu den klarsten Symbolen gehört, die im Stil sowie im Geist des Bauhauses errichtet worden sind.

Berlin, Weimar und Dessau

Dem Antrag und ihren Antragsstellern ist diese „Bauhaus-Trias“ besonders wichtig. „Neben den Bauhaus-Standorten in Weimar und Dessau, die bereits Teil des Welterbes sind, versprechen wir uns mit dem dritten Standort die Komplettierung und Erweiterung der Bauhausstätten“, betont Seeger. Denn die ADGB-Schule sei eines der „herausragendsten und wichtigsten Zeugnisse der Bauhausarchitektur überhaupt und ein Beispiel für deren soziale Ausprägungen“.

Was stimmt. Meyer und Wittwer, inspiriert vom russischen Konstruktivismus und den sozialistischen Idealen jener Zeit, hatten 1927 den Bauwettbewerb gewonnen. Ihr Entwurf für die Gewerkschafts-Bundesschule in Bernau sollte ein „biologisches“ Gebäude werden, das die Funktionen des Lebens und Arbeitens der Schüler funktional und technisch abbildete.

Das „biologische“ Gebäude sollte das Leben und Arbeiten abbilden

Tatsächlich wurde es ein Geniestreich. Meyer und Wittwer realisierten auf der zu einem See abfallenden Waldlichtung eine Abfolge von zwei- und dreigeschossigen Studien- und Wohnbauten mit 62 Internatszimmern samt Aula, Kantine, Sporthalle und Bibliothek. Die hellen Klinkerbauten passen sich der Topografie der Landschaft an, als wären sie ein Teil von ihr. Als Material setzten die Architekten nur Klinker und Holz, Glas und Stahl ein und verliehen dem Ensemble damit einen sachlichen-funktionalen Ausdruck, welcher der Devise Meyers – „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ – entsprach.

Hannes Meyer selbst, den Gropius als Nachfolger geholt hatte, war bei der Eröffnung der Schule nicht mehr Direktor des Bauhauses. Seine „brauchbar-funktionale“ Architekturauffassung und seine politische Haltung waren im Bauhaus auf Widerstand gestoßen und hatten seinen Rauswurf zur Folge. Meyer emigrierte in die Sowjet­union. Auch darum ist Meyer bis heute ein fast Unbekannter geblieben. Er starb 1954, kaum beachtet, weil zur Persona non grata geworden, in der Schweiz.

Wie für die Handwerkskammer würde die Eintragung der Schule in die Welterbeliste auch für den Förderverein eine Rehabilitation Meyers und seines sozialen Bauhaus-Geistes bedeuten.