Linkspolitiker Gallert in Sachsen-Anhalt: Der Anti-Populist

Wulf Gallert will Ministerpräsident einer rot-rot-grünen Regierung werden. Der Linksparteimann klingt im Wahlkampf manchmal wie Merkel.

Wulf Gallert hält seine Hand an die Wange, als hätte er Zahnschmerzen

Der „Frauenversteher“ aka. Wulf Gallert. Foto: dpa

WITTENBERG taz | Der Auftritt im Mehrgenerationenhaus „Harold und Maude“ in Wittenberg ist für Wulf Gallert ein Heimspiel. Das Publikum ist eher über als unter 70 Jahre – Rentner sind eine verlässliche Klientel für die Linkspartei. Man kennt und duzt sich. Der Leiter des Hauses hat eine kleine Bühne für den Auftritt arrangiert. Allerdings in einer Ecke, ziemlich weit weg vom Publikum. Gallert steht ein paar Sekunden unschlüssig herum, zieht eine Augenbraue hoch und schweigt. Er ist der Gast. Da ist es unhöflich, als Erstes das für ihn hergerichtete Arrangement, wenngleich unbrauchbar, zu verwerfen. Ein Mitarbeiter rettet die Situation und platziert den Kandidaten in der Mitte des Raums.

Gallert redet eine Viertelstunde über die Malaise in Sachsen-Anhalt. Über Abwanderung und mangelndes Wirtschaftswachstum. Er beleuchtet die Schwächen der Großen Koalition, die außer Sparen nicht viel zuwege gebracht habe. Die CDU plakatiert „Keine Experimente“ – ein kurioser Rückgriff auf Adenauer im Wirtschaftswunder.

Gallert sagt wenig über die Rente, das Thema, mit dem sich hier gewiss punkten lässt. Er meidet das schnelle Einverständnis. Als jemand mehr politische Bildung fordert, als Heilmittel gegen den Rechtspopulismus, widerspricht er. „Die quantitative Ausweitung politischer Bildung“ bringe nicht viel. Demokratie lernten die Leute im Alltag, in der Schulen. Und in denen gehe es in Sachen-Anhalt noch immer viel zu autoritär zu. Die Debatte hat eher etwas von einem Nachmittag in einer evangelischen Akademie als von dampfendem Wahlkampf.

Gallert, groß gewachsen, trägt einen Unteroffiziersschnäuzer. Er ist kein Paradiesvogel wie Ramelow, nicht brillant, eher zurückhaltend. Die Plakate, die ihn als „Frauenversteher“ anpreisen, haben ihn endgültig zur Projektionsfläche für Metropolenarroganz gemacht. Osten! Provinz! Peinlich!

Aller guten Dinge sind drei

Gallert versucht zum dritten Mal Ministerpräsident zu werden. Falls Linkspartei, SPD und Grüne am 13. März eine Mehrheit bekommen, hat er gute Chancen, dass dies gelingt. Falls, wenn.

Ein Wahlplakat von Gallert mit dem Text: Frauenversteher

Sein bekanntes Wahlplakat. Foto: dpa

„Diese Wahl ist eine für oder gegen Flüchtlinge geworden“, seufzt er. Mit Landespolitik komme man kaum noch durch. In Wittenberg dauert es eine Stunde, bis das Thema kommt. Ein Mann echauffiert sich, dass die Asylbewerber beim Arzt bekommen, was die Kassenpatienten nicht kriegen. Überhaupt: Wie viele kommen noch? 80 Millionen? „Das Volk sagt: Das kann nicht sein“, so der Mann leicht heiser. Das Volk, die Flüchtlinge, die Panik.

Gallert neigt sich ein wenig nach vorne, umfasst seine Knie und sagt: Hm. Und noch mal Hm. Dieses Hm schwingt unbestimmt zwischen einer Geste der Zuwendung und schierer Ungeduld. Er hat sich unter Kontrolle. Er antwortet, ohne die Stimme zu heben. Er erläutert, dass Asylbewerber eine Gesundheitskarte bekommen sollten, das wäre billiger für die Kommunen. Leider blockiere die CDU dies, weil sie die Lage für Asylbewerber möglichst unattraktiv machen wolle. Langfristig würden die Flüchtlinge, weil jung und gesund, die Renten- und Krankenkassen füllen, sagt er. „Horrorszenarien bringen nichts.“ Manchmal klingt er wie Angela Merkel.

Ulf Künemund ist ein bulliger Mann mit Ohrring. Er ist Unternehmer in Gräfenhainichen, einer Kleinstadt bei Wittenberg, und steht wider Willen in der Zeitung. Künemund hat die Initiative „offen, bunt und anders“ gegründet, die Flüchtlingen hilft. Seitdem wird er von Rechtsextremen bedroht. „Wir wollen diese Schlagzeilen nicht“, sagt Künemund.

Die Stimmung ist gegen Flüchtlinge

Was er berichtet, hat nichts mit Antifa-Rhetorik und viel mit handfestem Lokalpatriotismus zu tun. Gräfenhainichen schrumpft. Wer kann, geht. „Wir wissen, dass die Flüchtlinge nicht die Elektriker von morgen sind. Aber die von übermorgen“, sagt er. Gallert schaut den Unternehmer an und sagt: „Es wird zu viel über die Rechten geredet und zu wenig über die, die helfen.“

Gallert weiß, dass es bei den Genossen ein paar gibt, die gern markige Worte zu den Flüchtlinge hören würden. Aber er gibt nicht nach. Keinen Millimeter.

Und die AfDler? Bei Debatten, so Gallert, treten die „fast defensiv auf. Die haben mehr Angst vor uns als wir von ihnen“, sagt er. Aber diese Wahl wird nicht auf Debattenforen gewonnen. Laut einer Studie haben in Sachsen-Anhalt 55 Prozent der Wähler keine eindeutige Bindung an eine Partei. Im Westen sind es nur 40 Prozent. Diese frei flottierende Gruppe wählt nach Stimmung. Und die Stimmung ist gegen Berlin, gegen Merkel, gegen Flüchtlinge. Und für AfD.

Man könnte versuchen, die AfD mit AfD-Mitteln bekämpfen. Mit Polemik, Populismus, Lautstärke. Aber das ist nichts für Gallert. Er taugt nicht zum Volkstribun. Das ist ein Effekt der DDR, noch immer. Es gibt bei den Ost-Reformern ein tief wurzelndes Misstrauen gegen Brandreden und Gut-Böse-Bilder. Es ist kein Zufall, dass Ramelow, der auch das Grobe, Drastische beherrscht, aus dem Westen stammt.

Manchmal beschleicht Gallert das Gefühl, dass „wir die Letzten sind, die noch gegen eine Obergrenze sind“. Sichere Grenzen, sagt er, gibt es nur, wenn man die Flüchtlinge tödlich bedroht. Ende der 80er Jahre war er NVA-Grenzsoldat. „Ich weiß“, sagt Wulf Gallert, „wie eine Grenze aussieht, die Flüchtlinge wirklich abschreckt.“

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