Südkoreanische Insel: Die Insel der Meerfrauen

Auf der subtropischen Vulkaninsel Jeju herrschte das einzige Matriarchat Südkoreas. Die tauchenden Frauen der Insel zeugen noch immer davon.

Frau mit Octopus

Eine Seefrau nach erfolgreichem Fang. Foto: imago/Xinhua

Über keinen Landstrich haben die Koreaner so viele Volksweisheiten zu erzählen wie über ihre Vulkaninsel südlich des Festlands. Die bekannteste lautet, auf Jeju gebe es drei Dinge im Überfluss: Stets wehe ein kräftiger Wind vom Meer über das Landesinnere; die unzähligen pechschwarzen Steine rühren von der erloschenen Lava der Vulkaninsel; und obendrein sei das Eiland überaus reich an Frauen. Eine von ihnen heißt Ho Seon-oh – und für die aussterbende Inselkultur ist sie nicht weniger als ein lebendes Wahrzeichen.

In schwarzem Taucheranzug steht sie an der Felsklippe, blickt zufrieden auf die Brandung. Jeden zweiten Morgen steigt die 62-Jährige in die dunklen Wellen hinab, schwimmt einen halben Kilometer ins Meer hinaus, wo sie dann – ohne Sauerstofflasche – die Seeohren, Meeresschnecken und Tintenfische vom felsigen Grund kratzt.

Erst am Nachmittag wird sie wieder festen Boden betreten, sich mit heißem Wasser abduschen und sich gemeinsam mit den anderen Frauen über den gemachten Fang freuen. Seit mehr als vier Jahrzehnten führt Ho Seon-oh nun schon das beschwerliche Leben einer Haenyeo. So werden die „Seefrauen von Jeju“ auf Koreanisch genannt. „Auch mit 80 werde ich mit Sicherheit noch tauchen können“, sagt die Inselbewohnerin.

Die Touristeninsel

Für Südkoreaner gilt Jeju als geradezu paradiesische Insel. Der größte ihrer Berge, der 2.000 Meter hohe Hallasan, thront in deren Mitte, und auf dessen Gipfel ein majestätischer Kratersee. Strahlend weiße Sandstrände lassen sich hier finden, saftig grünes Hügelland, und bis in den späten Herbst bläut der Himmel wie aus einem Kindermalkasten. Die Winter sind milder als auf dem Festland, aber auch der schwüle koreanische Hochsommer lässt sich auf Jeju besser ertragen.

Tatsächlich erinnert nur wenig daran, dass die Insel ihren Einwohnern lange Jahrhunderte nur ein bitterarmes Leben bieten konnte: Selbst die Bäume verkümmerten vor lauter Meereswind, und für viele koreanische Herrscher diente Jeju vor allem als Gefängnisinsel. Wer konnte, flüchtete damals vor dem kargen Inselleben – und das waren vor allem die Männer, die ihre Mütter, Ehefrauen und Töchter für ein Leben auf dem Festland zurückließen.

Fortbewegung: Auf Jeju ist es fast unerlässlich, sich ein Auto zu mieten, am besten direkt am Flughafen. Mehr Spaß macht es noch, sich auf der vergleichsweise verkehrsarmen Insel mit einem Scooter fortzubewegen.

Unterkunft: Wer einmal in einem traditionellen koreanischen Gasthaus übernachten will – und auf Meerblick verzichten kann –, sollte das familiär geführte Kasan Tobang wählen, DZ ab 50 Euro.

Nationalpark: Ganz in der Nähe befindet sich der Eingang zum Nationalpark Hallasan, von dem aus man den höchsten südkoreanischen Berggipfel in einer Halbtageswanderung erklimmen kann – Kratersee inklusive.

Strände: Sucht man sich am besten beim Fahren entlang der Küstenstraße aus, vor allem im Süden findet man leicht wunderschöne Plätze für sich alleine. Frühaufsteher können den besten Sonnenaufgang vom Seongsan Ilchulbong, einem Kraterberg und ein Unesco-Weltkulturerbe, direkt am Meer erleben.

Zu beachten: Nicht zu den chinesischen Hauptferienzeiten zu reisen, es sei denn, man möchte das Gefühl haben, an einer Völkerwanderung teilzunehmen.

Empfehlenswert:Das Café Mulgogi wird von dem mittlerweile zurückgezogen lebenden, einst rebellischsten Filmemacher Südkoreas geführt: Jang Sun-woo.

Ebenso viele starben bei den zahlreichen Invasionen oder auf hoher See. Bereits während der ersten Volkszählung von 1873 kamen in Jeju auf 100 Frauen gerade mal 83 Männer. So oblag die Fürsorge in vielen Familien allein den Müttern und Töchtern, die ihre Lebensgrundlage tagein, tagaus vom Meeresgrund kratzen.

Bittersüße Balladen wurden über das Schicksal der Seefrauen von Jeju geschrieben. Dort heißt es über die Haenyeos, sie „schwimmen mit einem Grabstein auf ihrem Kopf“ und „quälen sich in der Unterwelt, um ihren Familien das Leben in dieser Welt“ zu ermöglichen. Allein in den letzten fünf Jahren sind über 50 Haenyeos beim Tauchen umgekommen.

„Vor nichts habe ich so viel Respekt wie der Dunkelheit des Meeres“, sagt auch Ho Seon-oh. Und doch erzählt das vormals traurige Schicksal der Inselbewohnerinnen auch von einer Utopie. Als letzte Vertreter zeugen sie vom einzigen, allmählich aussterbenden Matriarchat Koreas.

Während im streng konfuzianischen Staat Frauen nur eine untergeordnete Rolle im öffentlichen Leben spielten, waren es auf Jeju die Männer, die eine Mitgift an ihre künftigen Bräute zahlen mussten, und aufgrund der wirtschaftlichen Unabhängigkeit lassen sich diese auch heute noch öfter scheiden als anderswo in Südkorea. Ein Blick auf die Welt der Haenyeos wirft unweigerlich die Frage auf, wie eine Gesellschaft aussehen würde, deren Traditionen und Werte vornehmlich von Frauen geprägt sind.

Die neue Generation und der Tourismus

Ganz sicher wäre es eine solidarische Welt: So gingen die einst über 30.000 Seefrauen stets in Kollektiven auf Tauchfang, ließen die flachen Gewässer den alten und schwachen Frauen und teilten ihre Ernte gemeinschaftlich. Auch beim Aufbau der Insel halfen sie durch den Bau von Straßen und Schulen.

„Die Seefrauen leben sehr nah am Tod – deshalb wissen sie, dass sie nicht alleine auskommen können. Ihr Leben wird von einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl geprägt“, sagt Kang Kwon-yong vom Haenyeo-Museum.

Längst hat der Tourismus den Inselbewohnern satten Wohlstand gebracht. Die jüngste der 4.000 Seefrauen ist bereits in ihren Dreißigern, die meisten jedoch sind bereits über 70. Deren Kinder haben längst Arbeit in den Hotels oder Restaurants der Insel gesucht, genau wie die drei Sprösslinge von Ho Seon-oh. Verstehen kann sie, warum die nächste Generation ein leichteres Leben wählt. Und dennoch muss die Inselbewohnerin nicht lange überlegen, um das Beste an ihrer Arbeit zu nennen: „Als Frau das Geld für die Familie heranzuschaffen ist unbezahlbar.“

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