Türkei

Harte Zeiten für die letzten regierungskritischen Medien: Wer nicht auf Erdoğan-Kurs ist, wird unter Druck gesetzt

Lobet und preiset Erdoğan!

Zeitung Die Behörden beschlagnahmen ein kritisches Blatt, das der islamischen Gülen-Bewegung gehörte. Nun singt es Loblieder auf den Präsidenten. Die alte Redaktion bleibt nicht untätig. Sie blickt „auf morgen“

Tränengas gegen Demonstranten vor dem Gebäude der Gülen-Zeitung Zaman in Istanbul am Samstag Foto: ap

Von Jürgen Gottschlich

BERLIN taz | Am Sonntagmorgen sind in Istanbul statt der gewohnten Zaman (Die Zeit) gleich zwei neue Blätter erschienen. Beide wollen das Erbe der Zeitung antreten, die der türkische Staat zwei Tage zuvor beschlagnahmt hatte: Eine heißt weiterhin Zaman, hat aber mit den Inhalten der früheren Zeitung nichts mehr zu tun. Die andere nennt sich Yarina Bakis („Der Blick auf morgen“) und vertritt nun die Positionen, hinter denen die Redaktion der Zaman bislang gestanden hat.

Auf Anordnung eines Gerichts war die alte Zaman am Freitag unter treuhänderische Verwaltung des Staates gestellt und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der Polizei und staatlichen Treuhändern besetzt worden. Begründung: die Zeitung verbreite Propaganda für eine terroristische Organisation.

Was sich so gefährlich anhört, bedeutet nichts weiter, als dass die alte Zaman das Zentralorgan der islamischen Gülen-Bewegung war. Mit dieser Gruppierung ist die türkische Regierung – und vor allem Präsident Recep Tayyip Erdoğan – seit drei Jahren bitter zerstritten. Erdoğan glaubt, dass der islamische Prediger Fetulah Gülen, der in den USA im Exil lebt, ihn von seinem damaligen Posten als Ministerpräsident stürzen wollte.

Entsprechend brutal erfolgte in der Nacht von Freitag auf Samstag die Übernahme von Zaman: Die Polizei trieb Hunderte Gülen-Anhänger mit Tränengas und Wasserwerfern auseinander. Die frisch eingesetzten Zeitungsmacher wurden unter Polizeischutz in die Redaktion gebracht. Dort kündigten sie der alten Chefredaktion und Belegschaft auf der Stelle.

Seit 2013 werden alle Gülen-Anhänger im Staatsapparat ­gnadenlos verfolgt

Die neue Truppe produzierte sogleich die Sonntagsausgabe – und siehe da: Auf den Titel setzten sie ein großes Foto von Erdoğan. Der Text dazu huldigt dem Präsidenten, wie er die 3. Bosporusbrücke besucht. Doch auch die ursprüngliche Mannschaft von Zaman blieb nicht untätig. Sie hatte die feindliche Übernahme der Zeitung seit Monaten erwartet – und im Geheimen bereits alternative Produktionsräume für ein neues Blatt vorbereitet. Stolz verbreitete sie Sonntag früh Fotos im Netz, wie sie ihre neue Yarina Bakis auf Lkws verluden und unter die Leute brachten.

Tatsächlich könnte es der Gülen-Bewegung gelingen, ihr neues Zentralorgan am Leben zu halten, denn die islamische Organisation ist nicht arm: Schon die alte Zaman war hoch subventioniert. Die offizielle Auflage von zuletzt knapp 700.000 Exemplaren wurde überwiegend als Freiexemplare an sogenannte Abonnenten verschickt. Nur ein kleinerer Teil, nach Angaben von Medien-Insidern rund 50.000, wurde tatsächlich am Kiosk verkauft.

Trotzdem waren Zaman und die englischsprachige Today’s Zaman seit ihrem Bruch mit Erdoğan wichtige Stimmen der Opposition – obwohl viele Erdoğan-Kritiker sie bis zuletzt skeptisch sahen. Schließlich hatte Gülen mehr als zehn Jahre lang zu den größten Unterstützern der Regierung gehört.

Was letztlich zum Bruch geführt hatte, ist bis heute unklar. Im Dezember 2013 machten Staatsanwälte, die der Gülen-Bewegung nahestehen und mittlerweile ins Ausland geflüchtet sind, ein ganzes Netz von Korruptionsfällen in unmittelbarer Umgebung von Erdoğan öffentlich. Seitdem werden alle Gülen-Anhänger im Staatsapparat gnadenlos verfolgt.

Die Zaman-Affäre soll den ­EU-Gipfel nicht überschatten. Diesen Schluss legen die Stellungnahmen der EU und der Bundesregierung nahe.

Zwar beeilte sich die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, den Eingriff in die Pressefreiheit zu kritisieren. Von einer Verurteilung war jedoch keine Rede,von Konsequenzen für den Türkeigipfel schon gar nicht. Sehr zurückhaltend fielen auch die Stellungnahmen aus dem Europaparlament aus. „Die Türkei ist dabei, eine historische Chance der Annäherung an die Europäische Union zu verspielen“, so Parlamentschef Martin Schulz (SPD).

Von der Bundesregierung gab es keinen Ton der Kritik.„Wir sollten nicht der Schiedsrichter beim Thema Menschenrechte für die ganze Welt sein“, hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) noch kurz vor der Stürmung der Zeitung geäußert. Dazu sagte Grünen-Chef Cem Özdemir via Twitter empört: „Die Bundesregierung macht sich mitschuldig, wenn sie einfach ­zuschaut und weiterhin schweigt.“ (ebo)

Die Übernahme von Zaman ist aber nicht nur eine Privatfehde zwischen Erdoğan und Gülen, sondern Teil umfassender Repression gegen sämtliche regierungskritische Medien in der Türkei. Dem Chefredakteur der linken Cumhuriyet, Can Dündar, droht in einem am 25. März beginnenden Prozess eine lebenslange Haftstrafe. Die linke Birgün wird mit dauernden Geldstrafen wegen Beleidigung des Präsidenten überzogen und ist deshalb fast pleite. Und das größte Verlagshaus, das noch nicht auf Erdoğan-Kurs ist, die Doğan Holding, wurde ebenfalls so massiv unter Druck gesetzt, dass die wichtigsten Erdoğan-kritischen Journalisten mittlerweile gefeuert wurden.

Rund 70 Prozent aller Zeitungen und TV-Anstalten drucken und senden nur noch das Loblied auf Erdoğan. Nach Ansicht des Präsidenten sollten es 100 Prozent sein.

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