Sexuelle Übergriffe: Bestohlen und begrabscht

Silvesternacht: Polizei fasst zwei weitere mutmaßliche Täter. Hamburger Bundesratsinitiative will Hürden für Strafverfolgung senken.

Klare Ansage: Demo in Hamburg Foto: Bodo Marks/dpa

HAMBURG taz | Der Hamburger Polizei liegen mittlerweile 243 Anzeigen aus der Silvesternacht vor. „In fast allen Anzeigen geht es um den Tatbestand der sexuellen Nötigung – mittlerweile sind fast gar keine Anzeigen mehr dabei, wo Sexualdelikte keine Rolle spielen“, sagte Polizeisprecher Jörg Schröder der taz. Anfangs hätten viele Frauen lediglich angegeben, bestohlen worden zu sein. In den Vernehmungen habe sich dann aber herausgestellt, dass fast alle Vergehen mit Beleidigungen auf sexueller Basis, sexueller Nötigungen oder Vergewaltigungen einhergegangen waren.

Im Stadtteil St. Pauli sowie in der Hamburger City war es zu erheblichen Übergriffen auf Frauen durch Männer gekommen – ähnlich wie zur selben Zeit in Köln, aber nicht im gleichen Ausmaß. Insgesamt hätten 403 Frauen sich als Betroffene der Übergriffe gemeldet, sagte der Sprecher. Manche waren gemeinsam Opfer von Übergriffen geworden und hatten dann auch zusammen Anzeige erstattet: So erklärt sich, dass es mehr Opfer gibt als Anzeigen.

Die Polizei konnte bisher 23 Verdächtige ermitteln und sieben vorläufig festnehmen. Am gestrigen Donnerstag erst vermeldete die „Ermittlungsgruppe Silvester“ des Hamburger Landeskriminalamts, sie habe einen 21-Jährigen in einer Zentralen Flüchtlings-Erstaufnahme in Bremen festgenommen sowie einen 25-Jährigen in einer Unterkunft in Hamburg. Vorausgegangen waren dem die Durchsuchung von fünf Wohnunterkünften und Wohnungen in Hamburg, Bremen, Seevetal und Stade; weitere Wohnungen seien am Mittwoch bereits im nordrhein-westfälischen Düsseldorf durchsucht worden. Dabei wurden nach Polizeiangaben fünf Handys gefunden, die in der Silvesternacht im Hamburger Stadtteil St. Pauli gestohlen worden waren.

Drei Verdächtige sitzen bereits seit Tagen in Untersuchungshaft. Zwei von ihnen wird Vergewaltigung vorgeworfen, dem dritten sexuelle Nötigung. Zwei zuvor Festgenommene ließ die Polizei wegen mangelnder Beweise wieder laufen. Insgesamt seien die Ermittlungen sehr zeitintensiv, sagte Polizeisprecher Holger Vehren. Es seien so viele Hinweise eingegangen, dass es eben dauere. Zu der Festnahme des 25-Jährigen in Hamburg war es gekommen, nachdem ein Zeuge das Bild des mutmaßlichen Täters bei der Sendung Aktenzeichen XY gesehen hatte.

Beleidigung auf sexueller Grundlage: Eine Person fühlt sich aufgrund sexueller Handlungen beleidigt, wenn sie etwa „unsittlich angefasst“ wird – also begrapscht.

Sexuelle Nötigung: Eine Person wird gegen ihren Willen unter ihrer Kleidung angefasst.

Vergewaltigung: Eine Person wird gegen ihren Willen penetriert.

Mit diesen drei Straftatbeständen bleibt das deutsche Sexualstrafrecht hinter EU-Recht zurück. Denn die sogenannte „Istanbul Konvention“ gibt vor, ausnahmslos „nicht einverständlich sexuell bestimmte Handlungen mit einer anderen Person“ zu bestrafen.

Derzeit läuft eine Bundesratsinitiative für eine Reform des Sexualstrafrechts, die Hamburg mit den Ländern Niedersachsen und Rheinland-Pfalz angestoßen hatte. Auch Nordrhein-Westfalen und Thüringen haben sich angeschlossen. Bei der Gesetzesreform geht es darum, Sexualdelikte besser verfolgen zu können, indem die Hürden für den Strafbestand niedriger gesetzt werden. Zuvor hatte der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) die Sorge geäußert, viele der Silvester-Anzeigen könnten ins Leere laufen, weil sie keinen Straftatbestand erfüllten. Mit anderen Worten: Grapschen ist ja nicht strafbar.

Diese Sorge dürfte im Fall der Hamburger Silvesternacht unbegründet sein – alle Vorfälle, die zur Anzeige gebracht wurden, gelten auch als Straftaten. Die Vorwürfe der Frauen wiegen schwer genug: Sie schilderten, von einem Mob wilder und gewalttätiger Männer umringt, beschimpft, zu Boden gebracht, unter der Kleidung begrapscht und im Schritt befingert worden zu sein.

Frauenorganisationen kritisieren seit Jahren die Unzulänglichkeit des Sexualstrafrechts. Für die Organisation Terres des Femmes stellt die angedachte Reform eine Verbesserung dar – reiche aber nicht aus.

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