Autobiografie eines Opernsängers: „Türke, aber trotzdem intelligent“

Selcuk Cara singt auf internationalen Bühnen und promoviert über Wagner. Doch er wird immer wieder von Deutschen rassistisch abgewertet.

Ein Mann mit dunklen Haaren und schwarzem Mantel steht vor einem blauen Himmel.

Der Sänger, Regisseur und Drehbuchautor studierte bei Habermas und promoviert über Wagner Foto: Privat

An einem Nordseestrand bei Jever läuft heute einer, der kaum zu fassen ist. Weil er aussieht wie ein Künstler, sich aber bewegt wie ein Kämpfer: Der Baumwollschal liegt Selcuk Cara in Akademikerschlaufe um den Hals, der dunkle Mantel ist von Boss, das schwarze Haar fließt in Wellen auf die Schultern. Aber der Gang ist breit wie der eines Boxers, jeder Schritt greift weit in die Welt, Eroberungen des nassen Sandes.

Auch hinter Caras dunkelbraunen Augen ist immer etwas in Bewegung. Arbeitet, als müsste der Kopf von der Märzsonne bis zum verbarrikadierten Eisstand alles registrieren. Obwohl er den Strand doch in- und auswendig kennt: Cara lebt seit vier Jahren hier an der Nordseeküste, die Route läuft er jeden Tag mit Tochter und Hund.

Selcuk Cara ist 46, diplomierter Opernsänger, der erste türkischstämmige auf internationalen Bühnen im deutschen Fach. Hat aber auch den dritten schwarzen Gürtel in der koreanischen Kampfkunst „Kyek-Too-Ki“. Außerdem besuchte Cara Seminare bei Jürgen Habermas und absolvierte ein Regiestudium an der FH Dortmund. Dreht Filme, schreibt Drehbücher und an einer Doktorarbeit über den Ring des Nibelungen.

Jetzt hat er eine Autobiografie verfasst: 192 lebendig-absurde Seiten über sein Leben in Deutschland. Das klingt nach Wunderkind, nach einem, der jede Schublade sprengt. Von Außen betrachtet hat Caras Leben alle Zutaten für eine klassische Heldengeschichte über Integration. Ein Außenseiter, der es allen zeigt, dem niemand etwas zutraut und der alle, die ihm mit Vorurteilen begegnen, Lügen straft. „Klassischer Türkenkomplex“, sagt Cara.

Prägende Gegensätze

Bei dem Sohn eines türkischen Gastarbeiters, der sich in Langen mit einer Textilfabrik selbständig machte, lief abends immer der Fernseher. Bücher lasen seine Eltern nicht. Es ist dieser Gegensatz, der ihn prägt. Dieses „trotzdem, obwohl“. Er schaffte es zum Opernsänger, obwohl er einen Vater hatte, der Beirut und Bayreuth verwechselte. Oder, so funktionieren Heldengeschichten halt, gerade deshalb.

In der elften Klasse behauptete ein Musiklehrer, Cara könne Mozart nicht verstehen, weil er aus einem anderen Kulturkreis stamme. „Ich hatte noch nie eine Oper betreten, aber beschloss in diesem Moment, Sänger zu werden“, sagt Cara. Vier Jahre später stellte ihn seine Klavierlehrerin bei einem Hauskonzert mit den Worten vor: „Er ist Türke, aber trotzdem intelligent.“ Dieser Satz wurde zum Titel seiner Autobiografie. Bei der Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule fragte eine Professorin: „Hat der überhaupt Abitur?“

„Sie haben nichts gegen intellektuelle Türken. Wenn es nicht wehtut“

Ein paar Jahre später sang Cara mit der NDR-Radiophilharmonie in Wagners Götterdämmerung den Hagen und Beethovens Ode an die Freude; näher am deutschen Hochkulturkern mit all seinen Schattierungen kann einer kaum sein. Cara sagt, wenn er vor sechs Jahren zu „Deutschland schafft sich ab“ mit Thilo Sarrazin in einer Talkshow gesessen hätte, hätte er ihn auseinandergenommen. Weil der Goethes „Wandrers Nachtlied“ permanent als Beispiel für deutsches Kulturgut zitierte, aber im falschen Rhythmus vortrug. Cara kennt das Deutsche besser als die, die sich anmaßen, in dessen Namen zu sprechen.

Boxen zum Selbstschutz

„Für die Deutschen bin ich das Paradebeispiel für Integration, für die Türken das Paradebeispiel dafür, dass man es zu etwas bringen kann“, sagt Cara. Häufig fragt ihn das Goethe-Institut für Veranstaltungen an. Cara sagt dann meistens ab. Die Heldengeschichte, die man über Cara erzählen könnte, wäre an diesem Punkt vorbei. Er wäre dann ein Gewinner, der ab und an den Spiegel vorhält, wenn mal wieder einer von der Bahn abkommt. Happy End, glatter Cut, gutes Gefühl und Abspann. Aber so einfach ist es nicht.

Cara sagt, im Grunde fühle er sich weder als Türke noch als Deutscher. Er formt seine Hände zu Fäusten, die rechte ist Deutschland und Türkei zusammen. Die linke, ist er, Selcuk. Alleine, zwei Armlängen entfernt von den anderen.

In seiner Biografie schildert er eine Kindheit voller Kontakte, aber ohne Freunde; weder türkische noch deutsche. Und sich selbst als einen, der auf dem Schulhof sitzt und die anderen analysiert. Der seiner deutschen Kleinstadt misstraut, weil in den achtziger Jahren jedes Jahr an Hitlers Geburtstag Neonazis durch die Stadt marschierten. Der als Zweitklässler einen Film über den Holocaust sieht, Leichenberge in Schwarz-Weiß, und danach die Angst vor den Großeltern seiner Mitschüler nicht mehr los wird. Der mit dem Boxen anfängt, weil die Polizei ihm als Türken nicht hilft, als er in eine Nazidemo gerät. Der sich aber auch aufregt, dass viele Türken in Langen den Naziauflauf nicht verstehen, sondern ihn für ein Volksfest halten. Im Buch schildert Cara diese Situationen skurril-pointiert, aber der Leser ahnt auch etwas Dunkleres zwischen den Zeilen.

„Türke, aber trotzdem intelligent. Mein vollkommen verrücktes deutsches Leben“. Edel Germany, 192 Seiten, 14,95 Euro

Freunde hat er auch heute nicht, sagt er, nur Bekannte, er stellt das nicht ohne Bedauern in der Stimme fest, aber doch ganz sachlich. „Ein Türke hat fast überall Verwandte“, sagt Cara. Er hat heute keinen Kontakt mehr zu seiner Familie in der Türkei. Nur mit seiner Mutter spricht er noch türkisch. Seine Tochter wächst nicht mehr zweisprachig auf. Soll sie mit einer Eindeutigkeit leben, die ihm verwehrt blieb? Cara überlegt. Dann sagt er: „Sie wird es noch lernen.“

Besser als die Deutschen

Cara sagt, er sieht sich nicht als Rocky, sondern eher als Forrest Gump. Das Leben ist aus dieser Perspektive keine Aufstiegsgeschichte, sondern eine Reise von Zufällen und Umständen. Cara, scheint es, stürzt sich alle paar Jahre in neue Lebenswelten. Bereichert sich und jeden, der mit ihm spricht, durch Querverbindungen: kann die Beziehung von Horkheimer zu Adorno analysieren, genauso wie die Ästhetik des Sterbens bei den japanischen Samurai. „Ich könnte die AfD als Künstler betrachten, als Türke, als Deutscher, als Kämpfer“, sagt Cara und hat sicherlich recht. Aber die andere Seite dieser Offenheit ist auch eine Geschichtslosigkeit; als wolle hier ein Mensch seine Wurzeln selbst pflanzen und suche noch nach dem richtigen Ort, weil er sich nirgends zugehörig fühlt.

Auch nachdem Cara im Wagnerjahr 2013 den Hagen sang, blieben die „Er ist Türke, aber“-Sätze, die besonders perfide Kränkungen sind. Weil sie sich als Kompliment tarnen. Der, der sie ausspricht, aber ist in Wirklichkeit zu faul, sich selbst zu fragen, warum Türke und Hochkultur in seinem Kopf nicht zusammengehen. Also muss einer wie Cara eine Ausnahme sein.

Vor wenigen Jahren bekam Cara ohne Grund von einer österreichischen Oper Sprachtraining verordnet; zusammen mit einem neuseeländischen Sänger, der kein Wort Deutsch konnte. Cara spricht glasklar mit einer Stimme, so dunkel und voll, dass man sich beim Zuhören hineinlegen will, rollt das r tief, ein runder Triller, der extralang sein muss, damit er überall im Konzertsaal zu hören ist.

Auch so ein „Aber“-Moment: Immer wieder kommen Zuschauer zu ihm und wollen ihm Wagner erklären, auch dann noch, wenn er darauf hinweist, dass er über den Komponisten promoviert. „Selbst die, die immer ganz weltoffen tun. Sie haben nichts gegen intellektuelle Türken. Aber nur, wenn es nicht wehtut, wenn man nicht mehr schafft als der Deutsche.“

Was ein echter Rassist ist

Cara sagt, er merke sofort, ob da ein echter Rassist vor ihm stehe oder nur ein Dumpfer, der nicht nachdenkt. Er habe da eine Antenne. Einer, in dem der Nazi lauert, habe einen Blick wie ein Zollbeamter, der einen anweist, den Koffer zu öffnen. „Einen Blick, der den anderen immer als Ohnmächtigen sieht, weil er nicht deutsch ist.“

Cara mag es nicht, von vielen Menschen umgeben zu sein. Er geht immer nur dann an den Strand, wenn die Tage noch kalt sind. Heute spazieren auf dem Deich nur wenige Paare mit Funktionskleidung, vereinzelte Hundebesitzer. Fast nichts stört den weiten Blick auf das Meer, der das Gemüt ins Gleichgewicht bringt. Cara überlegt, noch weiter weg zu ziehen, mit seiner Frau und Tochter nach Spiekeroog; vorher hatte er schon mal ein Haus auf einer der Halligen angefragt, den Mini-Inseln, die vor der Küste Schleswig-Holsteins alleine mitten im Wattenmeer liegen.

Ein Haar löst sich aus der Künstlermähne, die Stirnlocke wird rebellisch, Cara versucht noch zu richten, aber der Wind ist stärker. Dann zitiert er Liedverse, in denen er sein Leben gespiegelt sieht: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“. Es ist der Beginn von Schuberts „Winterreise“, die einen verlorenen Wanderer begleitet. Cara singt kurz an. Hinter ihm brummt der Motor eines Lasters, der Krabben direkt von einem Fischerboot einlädt. Cara hört nicht auf zu singen, versucht sich vom Störgeräusch des Lasters nicht drausbringen zu lassen.

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