Pseudomedizin von rechtsaußen

NeoNazis Die Germanische Neue Medizin hat im Norden einige Anhänger. Schuld am Krebstod sollen innere Konflikte sein und „jüdische Logen“

Ryke Geerd Hamer beschuldigt Juden, Nichtjuden mit der Schulmedizin töten zu wollen. Er hat vor allem rechte Fans

Er verspricht seinen Patienten, Krankheiten heilen zu können. Alle Krankheiten. Durch eine angeblich „naturwissenschaftliche Medizin“. Ryke Geerd Hamer brüstet sich sogar damit, Krebs ganz ohne Chemotherapie und Bestrahlung erfolgreich behandeln zu können. Seit 37 Jahren verkündet er das unter dem Titel „Germanisch Neue Medizin“ (GNM).

Bei seinen Sympathisanten gilt der 80-Jährige deshalb als Genie – bei seinen Kritikern als Scharlatan. Seine Zulassung als Arzt hat Hamer in Deutschland bereits im Jahr 1986 verloren. Trotzdem hat er auch in Norddeutschland Anhänger – etwa in Osnabrück. Dort gibt es einen regelmäßigen GNM-Studienkreis. Auf der Webseite „Germanische Neue Medizin. Die Verantwortung liegt bei dir ...“ wird dafür geworben.

In der niedersächsischen Stadt ist Hamers Anhängerschaft schon lange aktiv. Vor über zehn Jahren hielt dort in einer Gaststätte Helmut Pilhar vor etwa 80 Besuchern einen Vortrag. Seit Jahren ist er ein enger Mitstreiter von Hamer; verbreitet dessen Weisheiten auf Seminaren und bei Vorträgen, bietet Webseminare und Onlinestudienkreise an.

Die Teilnahmegebühren schwanken bei dem aus Österreich stammenden Pilhar zwischen 10 und 300 Euro pro Person. Bei der damaligen Abendveranstaltung warnte er ganz im Sinne Hamers vor der „Schulmedizin“. Kranke bräuchten bloß ihre „inneren Konflikte lösen“ und schon verschwänden die heimtückischen Krankheiten, dozierte Pilhar. An die Wand projizierte er dabei unscharfe CT-Bilder, auf denen „Hamer’sche Herde“ im Gehirn zu sehen seien. Allein eine Konfliktbewältigung würde eine Selbstheilung mit nützlichen Mikroben auslösen.

Als 1995 Pilhars Tochter an einem Nierentumor erkrankte, floh die Familie zu Hamer. Erst als die Polizei einschritt, konnte das Mädchen gerettet werden und bekam eine Chemotherapie. Ihre Eltern zweifelten trotzdem öffentlich daran, dass die Therapie eine langfristige Heilung bewirke.

Hamer selbst lebt heute in der spanischen Stadt Alhaurin el Grande. Zuvor wurde er im September 2004 nach Frankreich ausgeliefert. Dort war er wegen seiner fragwürdigen medizinischen Praktiken bis Anfang 2006 in Haft und wurde verurteilt. Auf einem Flyer seiner Anhänger heißt es dazu, dass Hamer – der „Entdecker“ – als „Scharlatan, Wunderheiler, Sektenführen“ verunglimpft und wegen „Aufhetzung gegen die Schulmedizin“ verurteilt wurde.

Hamer, der evangelische Theologie und Humanmedizin studierte, entwickelte die Germanische Neue Medizin nach dem Tod seines Sohnes im Jahr 1978. Der starb an einer Schussverletzung. Hamer erkrankte später an Hodenkrebs. Er sah eine Verbindung zwischen seinem Verlust und seiner Krankheit – seine „Initialzündung“.

Er verfasste zum Thema sogar eine Habilitationsschrift, die aber an keiner Universität angenommen wurde. Er schiebt das dem Einfluss „jüdischer Logen“ zu. Diese würden Professoren, Richter und Journalisten beeinflussen, um eine „beispiellose Erkenntnisunterdrückungskampagne“ durchzusetzen. Die „dumme alte Schulmedizin“ sei auch „eigentlich eine jüdische Medizin“.

Dahinter stecke „der wahnsinnige Kampf der Talmud-Zionisten, alle Nichtjuden umbringen zu wollen“. Die Juden selbst würden jedoch die GNM anwenden und „zu 98 Prozent überleben“, erklärte er. Seine „deutschen nichtjüdischen Landsleute und alle Nichtjuden“ würden jedoch gezwungen, „weiter die idiotische jüdische Gutartig-Bösartig-Religionsmedizin zu erdulden, an der man zu 98 Prozent an Chemo und Morphin stirbt“.

Die antisemitische Annahme, die Schulmedizin sei eine „jüdische Medizin“ hat eine lange Tradition: Bereits in der „völkischen Bewegung“, aus dem Jahr 1871, warnten Akteure vor „Juden“, die „künstliche Heilmittel“ einsetzten und so neue „angezüchtete Krankheiten“ verursachten.

Es ist daher keine Überraschung, dass die Anhänger Hamers auch heute vor allem aus der rechtsextremen Szene stammen – mit teilweise schweren Folgen: Im April vergangenen Jahres musste sich das Ehepaar Baldur und Antje B. vor dem Landgericht Hannover wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ verantworten. Ihre Tochter Sieghild war gestorben, weil sie nicht mehr die ausreichende Menge des lebenswichtigen Insulins bekommen hatte. Die Vierjährige war Diabetikerin

Die Eltern, die Teil der heidnisch-völkischen „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft“ waren, sollen der Vierjährigen stattdessen Rohkost gegeben haben. Der Bruder der Mutter nannte sie im Prozess eine „fast sektenmäßige Anhängerin der Theorien Hamers“. Auch der Staatsanwalt vermutete eine Nähe zur GNM. Das Gericht verurteilte die Eltern wegen fahrlässiger Tötung zu je acht Monaten Haft auf Bewährung. „Dass man von Herrn Hamer nicht viel halten kann, steht außer Frage“, sagte Richter Wolfgang Rosenbusch in seinem Urteil. Andreas Speit