Zukunft? Haha, nächster Witz, bitte

Theater Vor dem Intendantenwechsel und großen Kehraus lädt die Volksbühne zur „Schwarzen Serie“. Es geht um Jugend, Tod und so. Am Karfreitag wurde gekreuzigt, die Polizei war auch da, zur Premiere von „Exodus“

Sie reden vom Schmerz und sind quicklebendig Foto: Thomas Aurin

von René Hamann

Ja, das Animalische. Was machen Männer in Wut? Fertige, abgeschlagene, dann wieder mit den handelsüblichen Drogen aufgeputschte Männer der Unterschicht? Männer irgendwo im russischen Nichts, in der Wüste des Spätkapitalismus, in der Taiga des Postkommunismus, irgendwo zwischen dringenden Selbstbehauptungsgesten und Crystal Meth?

Richtig, sie rennen wild her­um, sie schlagen und prügeln sich, sie lassen sich kreuzigen und springen wie Affen die Käfigwände auf der Bühne hoch. Sie lassen sich über und über tätowieren und schreien und feiern ihre Kaputtheit. Sie reden vom Schmerz und sind quicklebendig. Eine Frau ist schon aus ästhetischen Gründen auch dabei. Die springt nicht den Käfig hoch, sondern steht nur etwas unschlüssig daneben. Aber im Grunde ist sie eine von ihnen: kaputt wie alle. Liebhaberin, Kumpanin und die einzige mit dem echten Akzent.

Kaputtheit feiern

Den ernsten Hintergrund dieser am Karfreitag Premiere feiernden Inszenierung (Regie: Sebastian Klink) bildet der Kurzroman „Exodus“ des russischen Halbstarken Pjotr Silaew. Sein Alias lautet „DJ Stalingrad“ – die deutsche Fassung besorgte Thomas Martin. Silaew selbst wird tatsächlich noch immer von der russischen Staatspolizei mit internationalem Haftbefehl gesucht. Angeblich hat auch das russische Konsulat in der Volksbühne angerufen. Falls er im Publikum gesichtet werden sollte, sollte das bitte gemeldet werden. Ein Vierertrupp deutscher Polizisten kam vor der Vorstellung kurz vorbei, um die Lage zu checken.

Klingt nach Pussy Riot, nach der russischen Hardcore-Variante von Punk, klingt nach Dissidenz und Gewalt. Klingt nach gutem, echten Material, stark und authentisch. Klingt nach einem Höhepunkt der „Schwarzen Serie“ in der Volksbühne, einer Art serieller Abschlussübung in Jugend und Tod, bevor mit dem Intendanzwechsel der große Kehraus kommt, der endgültige Sell-out.

Und so war es denn auch. Im Wesentlichen. Männlichkeitsinszenierung mit Quotenfrau. Lose aneinandergereihte Szenen, die irgendwie zwischen Extremkaputtheit, Punk und faschistischen Armageddon-Fantasien pendelten. Lose Zusammenhänge, die immerhin ein bestimmtes Bild vermittelten, ein Bild von Russland als der pervertierten, kaputten Version von dem, was man hier noch Marktwirtschaft nennt. Geld? Kann niemand mit umgehen, hat keiner gelernt. Zukunft? Haha, nächster Witz, bitte. Solidarität? Ja, haben wir, in unserer kleinen Gang, die irgendwann zur echten Band wird. Und immer muss jemand eine Fluppe im Mundwinkel stecken haben, und wenn nicht, kommt schnell die Requisiteurin, um sie anzureichen.

Die Pausenmusik dazwischen – erinnert dieser theatral unterdessen übliche Musikeinsatz nur mich an die großen Samstagabendfernsehshows, wo man früher die Musikeinlagen gern zum Klogang und Bierholen nutzte? – war tatsächlich Metal, die ganz harte Sorte. Death Metal, fast Grindcore, würde ich sagen. Und nicht mal schlecht.

Aber all das wäre unter Umständen nicht weiter erwähnenswert. Die Inszenierung bietet nicht mehr viel mehr als den üblichen Standard: ein bisschen Video, Bandeinsatz, kleine Einsprengsel von Metawitzen inklusive Publikumsumgruppierung.

Dazwischen hat jedeR mal seinen oder ihren Monolog, während die anderen schweigend in Position verharren. Und irgendwann stehen da drei Kreuze, schließlich ist Karfreitag. „Exodus“ spielt auf die Bibel an und steht für den Auszug der Israe­liten aus Ägypten. Buch Mose, Altes Testament. Nicht Neues.

Der Autor wird tatsächlich noch immer von der russischen Staatspolizei gesucht

Aber die Schauspieler!

Wenn da eben nicht die Schauspieler wären: Alexander Scheer, mit Idiotenbrillengestell, spielt den Hauptprotagonisten bis in die typischste Körperhaltung hin­ein mit vollem Einsatz, und er spielt ihn brillant. Jede Geste, jede Mimik, jede Intonierung sitzt (ein gutes Blixa-Bargeld-Double, der Stimme nach, wäre er übrigens auch).

Nach und nach lassen sich auch die anderen von der Spielfreude anstecken: Patrick Güldenberg und sogar der tapsige Rouven Stöhr bringen etwas Charakter in ihre eng geschnittenen Rollen. Auch Margarita Breitkreiz und der zum Schluss als einarmiger Deutscher auftretende Axel Wandtke kommen mit.

Die „Schwarze Serie“ hat somit ihr Bergfest hinter sich. Es soll darin um Leben und Tod gehen. Bislang war das wenig überzeugend: „Troja“ bildete eine Nachwuchsvariante der Rocky Horror Picture Show, Gorkis „Sommergäste“ wurden ziemlich niedergeschrien, und „Krieg“ war ein müder Witz, der über eine quälende Stunde gestreckt wurde. Und von „Exodus“ schließlich geht nicht viel mehr als der Gedanke aus, dass Punk immer noch nicht tot ist, sondern im kaputten Russland als Zombie sein Unwesen treibt. Drei Stücke kommen da noch. Wir sind nicht mehr ganz so gespannt.