Grundsatzprogramm der AfD: Auf dem Weg nach vorgestern

Was für ein Deutschland stellt sich die AfD vor? Laut Programmentwurf rabiaten Wirtschaftsliberalismus – weg von einer offenen Gesellschaft.

Ein Bilderrahmen mit einem Ausschnitt von einem Hochzeitspaar hängt an einer Holzwand.

Die Autoren des Programms träumen von patriarchalischen Verhältnissen, von einer Zeit, in der noch die „traditionellen Wertvorstellungen“ galten Foto: boing / photocase.de

BERLIN taz | Es soll „allen Strömungen“ in der AfD gerecht werden: das neue Grundsatzprogramm, das die rechtspopulistische Alternative für Deutschland sich auf ihrem Parteitag Ende April in Stuttgart geben will. Tatsächlich bietet der jetzt offiziell veröffentlichte Entwurf mehr als die gewohnten Parolen gegen Flüchtlinge, die EU und den Euro.

Die Autoren wollen nicht nur „unsere abendländische und christliche Kultur“ ebenso „auf Dauer bewahren“ wie „die historisch-kulturelle Identität unserer Nation und ein souveränes Deutschland als Nationalstaat“. Sie träumen zudem, wie der Text zeigt, von jenen patriarchalischen Verhältnissen, als noch die „traditionellen Wertvorstellungen und spezifischen Geschlechterrollen in den Familien“ galten.

Auffällig ist, dass der jetzt offiziell veröffentlichte Programmentwurf, der auch vom AfD-Bundesvorstand mitgetragen wird, gegenüber einer Vorläuferversion vom Februar an mehreren Stellen deutlich entschärft worden ist. So fehlt etwa die Wiedereinführung des Schuldprinzips bei Scheidungen. Die wäre der AfD-Chefin Frauke Petry wie auch ihrem derzeitigen Lebensgefährten, dem AfD-Funktionär Marcus Pretzell, wohl teuer zu stehen gekommen.

Ebenso fallengelassen wurde die antimuslimische wie antijüdische Forderung nach einem generellen Verbot von Jungen-Beschneidungen ohne medizinische Indikation.

„Geräteunabhängiger Zwangsbeitrag“

In anderen Fällen sind eindeutige durch vage Formulierungen ersetzt worden. Nun fordert die AfD nicht mehr, die öffentlich-rechtlichen Medien zu privatisieren und einen steuerfinanzierten Staatsfunk „mit zwei Rundfunksendern und zwei Fernsehsendern“ einzurichten. Aber: Sie lehnt weiterhin „den geräteunabhängigen Zwangsbeitrag“ ab, ebenso wie „zusätzliche Finanzierung durch Werbeeinnahmen“. Wie sich die Öffentlich-Rechtlichen, deren Programme „deutlich verringert werden“ müssten, stattdessen finanzieren sollen, bleibt offen.

Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist ebenfalls nicht mehr zu finden. Die passte wohl kaum zu jener „Partei der kleinen Leute“, von der Parteivize Alexander Gauland gern spricht. Statt der zuvor geforderten Privatisierung der Arbeitslosen- und Unfallversicherung heißt es nur noch, die AfD stehe „für grundlegende Reformen zum Wohle Deutschlands“. Das betreffe „auch die Sozialversicherungen“.

Ordoliberale Mottenkiste

Von der von Petry ausgerufenen „Partei des sozialen Friedens“ ist wenig zu entdecken. Der Entwurf ist vielmehr von rabiatem Wirtschaftsliberalismus durchdrungen. Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes? Gibt es für die AfD nicht. Absolutes Alleinstellungsmerkmal: Im Gegensatz zu den Grundsatzprogrammen von SPD, Grünen, Linkspartei, CDU, CSU und selbst der FDP taucht der Begriff „Sozialstaat“ in dem AfD-Entwurf kein einziges Mal auf.

Das Gleiche gilt für die Wörter „Mitbestimmung“ und „Gewerkschaften“: Arbeitnehmerrechte sind für die Partei irrelevant, sie singt lieber das Loblied auf das freie Unternehmertum, dem der Staat „keine bürokratischen Knüppel zwischen die Beine“ zu werfen hat. Kernbotschaft: „Die AfD will ein investitions- und innovationsförderndes wirtschaftliches Umfeld.“

Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsleben seien „auf das notwendige Minimum zu begrenzen“. Nur der gesetzliche Mindestlohn soll offenbar bleiben: Er schütze Niedriglohnempfänger „vor dem durch die derzeitige Massenmigration zu erwartenden Lohndruck“.

Für die AfD gilt: „Je mehr Wettbewerb und je geringer die Staatsquote, desto besser für alle.“ Nur in Ausnahmen dürfe „der Staat unternehmerisch tätig sein.“ Deshalb will die Partei „prüfen, inwieweit vorhandene staatliche Einrichtungen durch private oder andere Organisationsformen ersetzt werden können“. Nicht tabu sind die Privatisierung des öffentlichen Wohnungseigentums und selbst der öffentlichen Daseinsvorsorge. Allerdings sollen darüber letztlich „Bürgerentscheide auf der jeweiligen staatlichen Ebene entscheiden“.

Weniger Staat, mehr Militär

„Ein schlanker, aber starker Staat“ ist das Ziel der AfD. Dazu gehört, „die Staatsaufgaben zu reduzieren“ und auf „die vier klassischen Gebiete“ zu konzentrieren: „innere und äußere Sicherheit, Justiz, Auswärtige Beziehungen und Finanzverwaltung“.

Die AfD will „den finanziellen Staatszugriff auf die Einkommen und Vermögen der Bürger“ zurückdrängen. Dazu gehört die Abschaffung der Erbschaftssteuer, der Stromsteuer und der derzeit zur Erhebung ausgesetzten Vermögenssteuer. Anders als in ihrem Februar-Entwurf fordert sie jedoch nicht mehr, auch die für die Kommunen überlebenswichtige Gewerbesteuer loszuwerden. Diese soll jetzt nur noch überprüft werden. Originell ist, dass die Partei eine „verbindliche Steuer- und Abgabenbremse im Grundgesetz“ fordert – „analog zur Schuldenbremse“. Die Obergrenze „sollte der heutigen Steuer- und Abgabenquote entsprechen“.

Die AfD will sowohl die Staatseinnahmen als auch die Staatsschulden reduzieren. Wo soll gespart werden? Dafür kommen eigentlich nur der Sozial- und der Bildungsbereich infrage. Der Entwurf verrät jedoch lediglich, wo die Partei mehr ausgeben will: bei der Polizei, der Justiz, dem Militär und den Nachrichtendiensten. Da gilt: „Die bisher praktizierte Finanzierung nach Kassenlage lehnt die AfD ab.“ Denn: „Sicherheit und Freiheit Deutschlands und seiner Verbündeten sind im Finanzhaushalt mehr als heute angemessen zu berücksichtigen.“

Besonders die Bundeswehr hat es der AfD angetan. Deutschland benötige „Streitkräfte, deren Führung, Stärke und Ausrüstung an den Herausforderungen künftiger Konflikte orientiert ist und höchsten internationalen Standards entspricht, die gründlich und an den modernen Einsatzerfordernissen orientiert ausgebildet werden“. Außerdem fordert die Partei die „Rückkehr zur Allgemeinen Wehrpflicht“ für „alle männlichen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 28 Jahren“, denen „eine gründliche, kriegs- und einsatzorientierte Ausbildung“ ermöglich werden müsse.

Auf das Blut kommt es an

Die im Februar-Papier noch erhobene Forderung nach einer allgemeinen Dienstpflicht gleicher Dauer für Frauen wurde hingegen wieder gestrichen. Sie hätte auch nicht so ganz zu dem Frauenbild gepasst, das die AfD vertritt. Denn vornehmste Aufgabe des weiblichen Geschlechts ist es ja nach ihrer Ansicht, Kinder zu gebären. Weshalb sich die Partei auch strikt gegen alle Versuche wendet, „Abtreibungen zu bagatellisieren, staatlicherseits zu fördern oder sie gar zu einem Menschenrecht zu erklären“. Die AfD nennt das „Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“.

Die Parole lautet: „Mehr Kinder statt Masseneinwanderung“. Allerdings sind nicht irgendwelche Kinder willkommen, sondern nur solche mit dem richtigen, deutschen, Blut.

Deshalb will die AfD die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom Jahr 2000, bei der das völkische Abstammungsprinzip (ius sanguinis) um das Geburtsortprinzip (ius soli) ergänzt wurde, rückgängig machen und „den früheren Status Quo“ wiederherstellen. Kinder „sollen nur dann die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erwerben, wenn mindestens ein Elternteil Deutscher ist“, fordert die sie.

Dazu passt übrigens, dass die AfD keineswegs generell etwas gegen Einwanderung hat – solange es sich nur nicht um Ausländer handelt: „Bereits ausgewanderte Deutsche sind mit speziell auf sie zugeschnittenen Initiativen zur Rückkehr zu motivieren.“

Gegen „Gender-Ideologie“

Doch es sind nicht nur die Migranten, die nach AfD-Ansicht „den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit“ gefährden. Auch „falsch verstandener Feminismus“ und „Gender-Ideologie“ bedrohen die heile deutsche AfD-Welt: „Die Gender-Ideologie marginalisiert naturgegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern und wirkt damit traditionellen Wertvorstellungen und spezifischen Geschlechterrollen in den Familien entgegen.“

Mehr noch: „Gender Mainstreaming und die generelle Betonung der Individualität untergraben die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit.“ Und es kommt noch schlimmer: „Das klassische Rollenverständnis von Mann und Frau soll durch staatlich geförderte Umerziehungsprogramme in Kindergärten und Schulen systematisch ‚korrigiert‘ werden.“

Demgegenüber bekennt sich die AfD „zur traditionellen Familie als Leitbild“. Die Partei ist zwar vehement für eine Geschlechterquotierung im Bett, lehnt diese aber „im Studium oder in der Arbeitswelt generell ab, da Quoten leistungsfeindlich und ungerecht sind und andere Benachteiligungen schaffen“.

Zurück zur Paukschule

In der Bildungspolitik setzt die AfD auf die Prinzipien der alten Paukschule. „Leitungsbereitschaft und Disziplin sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Wissensvermittlung“, heißt es im Entwurf. Ein entsprechendes Verhalten der Schüler könne aber „nur durchgesetzt werden, wenn den Lehrern die dazu geeigneten Maßnahmen zur Verfügung stehen und deren Durchsetzung nicht ständig hinterfragt wird“. Die Rückkehr zum Rohrstock?

Auf jeden Fall seien „Null-Bock-Mentalität“ und „Disziplinlosigkeit“ nicht zu tolerieren und „unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten angemessen zu ahnden“. Fordert die AfD deshalb, das Strafmündigkeitsalter auf 12 Jahre abzusenken?

Es versteht sich von selbst, dass die AfD eine Anhängerin des gegliederten Schulsystems ist. Nur das könne „die Begabungen und Stärken von Schülern erkennen und fördern“. Von Gesamt- oder Gemeinschaftsschulen hält sie hingegen nichts: „Die Einheitsschule führt zu Qualitätsverlust.“

Nicht gut findet die AfD auch, wenn gehandicapte Kinder den regulären Schulunterricht stören. „Die Forderung, behinderten Kindern Teilhabe am Bildungssystem zu garantieren, ist bereits umfassend und erfolgreich erfüllt“, findet die Partei. Eine „ideologisch motivierte Inklusion ‚um jeden Preis‘ “ verursache nur erhebliche Kosten und behindere Schüler in ihrem Lernerfolg. „Die AfD setzt sich deshalb für den Erhalt der Förder- und Sonderschulen ein.“

AKW ja, Klimaschutz nein

Erhalten bleiben soll ebenso die Atomkraft in Deutschland. „Die Ausstiegsbeschlüsse aus der Kernkraft von 2002 und 2011 waren sachlich nicht begründet und wirtschaftlich schädlich“, findet die Partei. Deswegen setzt sie sich für eine Laufzeitverlängerung der derzeit noch in Betrieb befindlichen deutschen Atomkraftwerke ein. Außerdem befürwortet sie, „die Forschung zur Kernenergie sowie Reaktor- und Kraftwerkstechnik wieder aufzunehmen bzw. fortzusetzen“.

Da die AfD generell die Energiewende ablehnt, ist sie auch dafür, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) „ersatzlos abzuschaffen“. Das EEG sei „staatliche Planwirtschaft und eine Abkehr von der Sozialen Marktwirtschaft“. Ebenso fordert die Partei, die Energiesparverordnung (EnEV) und das Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz (EEWärmeG) „ersatzlos zu kassieren“. Von Windkraftanlagen hält die AfD auch nicht viel, weil sie „das Bild unserer Kulturlandschaften“ zerstören würden.

Auch mit der Klimaschutzpolitik müsse Schluss sein. Die Partei bestreitet, „dass die menschengemachten CO2-Emissionen zu einer globalen Erwärmung mit schwerwiegenden Folgen für die Menschheit führen“. Deswegen bedürfe es auch keiner zwangsweisen Senkung der CO2-Emissionen, die nur „den Wirtschaftsstandort schwächen und den Lebensstandard senken“ würden.

Zumal der Weltklimarat und die deutsche Regierung „die positive Wirkung des CO2 auf das Pflanzenwachstum und damit auf die Welternährung“ unterschlügen. „Die Wahrnehmung des CO2 nur als Schadstoff werden wir beenden und alle Alleingänge Deutschlands zum Reduzieren der CO2-Emissionen unterlassen“, heißt es daher im Programmentwurf. Und: „Klimaschutz-Organisationen werden nicht mehr unterstützt.“

Die AfD scheint in einer anderen Republik zu leben, zumindest sehnt sie sich danach. Ihre Vorstellungen von der Verfasstheit der bundesdeutschen Gesellschaft erinnern an das postnazistische Spießer-Deutschland der Adenauer-Ära, nur ohne dessen sozialstaatlicher Elemente und der seinerzeit noch gebotenen außenpolitischen Zurückhaltung.

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