Pina-Bausch-Ausstellung in Bonn: Verführung und Erniedrigung

Eine fulminante Schau zeichnet das Werk der Ausnahme-Choreographin Pina Bausch nach. Doch wie lässt sich Tanz ins Museum transportieren?

Tänzer*innen werfen mit Wasser um sich

Pina Bauschs getanzter „Vollmond“ von 2006 Foto: Bundeskunsthalle/Laurent Philippe

„Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen“, hat Pina Bausch einmal gesagt, „sondern, was sie bewegt.“ Und nun das: Im Zentrum der ersten und allein dadurch schon revolutionären Schau zum Werk der Tänzerin in der Bonner Bundeskunsthalle steht die Rekonstruktion ihres Probenraums, steht die „Lichtburg“, ein im Stil der 50er Jahre nachgebauter Kinosaal. Hier tanzen Laien (unter Anleitung von Tänzern der Wuppertaler Kompanie) Frühling, Sommer und Herbst aus dem Stück „Nelken“ nach, um mit letzter Konzentration den Winter halt auch noch irgendwie hinzurütteln.

Bis gerade haben die Besucher die akribischen Notizen, Programmhefte und Probenpläne studiert, die Polaroids zur Anleitung der Tanztruppe. Jetzt umgibt samtiges Grün die „Tänzer“. Hohe Spiegel. Kleiderstangen mit Kostümen. Gnädiges Vanille-Licht. Ausdruckstanz mit der Bonner Boheme fühlt sich irgendwie nicht sinnlich an.

Und doch. Die Aufgabe, die sich die beiden Kuratoren (der Sohn der Tänzerin und Vorsitzende der Pina Bausch Foundation, Salomon Bausch, und die Choreografin Miriam Leysner) gestellt haben, ist keine leichte: Kann man Tanztheater überhaupt in Fotografien, Installationen, mit Musik von Tom Waits, durch Notizen, in der Interaktion und durch einen innenarchitektonischen Versuch nacherzählen? Man muss sagen: Die Aufgabe wurde auf eine Weise gelöst, wie es besser kaum geht. Etwas neu sehen, etwas zum allerersten Mal selbst tun – was könnte Leben und Arbeit von Pina Bausch im tiefsten Kern mehr treffen?

„Wenn man etwas, das normalerweise draußen ist, nach innen in ein Theater holt“, so Pina Bausch in ihrer Rede „Was mich bewegt“ zum Kyoto-Preis 2007, „dann öffnet das den Blick. Plötzlich sieht man Dinge, die man zu kennen glaubt, ganz neu – wie zum ersten Mal.“ Und: „Es geht darum, für das Leben eine Sprache zu finden.“ Beides gelingt der Schau in Bonn.

Schwanenfedern rupfen

Die Tochter einer Gastwirtsfamilie, 1940 in Solingen geboren und 2009 in Wuppertal verstorben, lernt ab 1955 an der Folkwangschule unter Kurt Jooss, beendet dann ihre tänzerische Ausbildung in New York. Ihr Weg führt sie zurück nach Essen, bevor sie in den frühen 1970er Jahren unter dem Intendanten Arno Wüstenhöfer als Choreografin in Wuppertal anfängt.

Parallel zur Entwicklung des Regietheaters, der Studentenbewegung und des politischen wie künstlerischen Feminismus wächst auch der Anspruch an den modernen Tanz, die Wirklichkeit neu und anders abzubilden. Klassisch trainierte Körper zwingt Bausch in fremde Posen. Der Anspruch des klassischen Balletts, dem Bewegungsfluss auf der Bühne jene poetische Leichtigkeit zu verleihen, die ein schwitzender, schmerzender Körper aus der Nähe besehen nun mal nicht hat, wird erweitert um eine existenzielle Daseinskomponente – um Lärm, Geruch, Zerstörung. Unter Bauschs Anleitung wird Bühnentanz zur kreatürlichen Gesamterfahrung. Aus Ballett macht sie „Tanztheater“. Fragen, die Pina Bausch ihren Tänzern vorlegt, inspirieren sie zu Choreografien um Angst, Verführung, Liebe, Erniedrigung und die Frage, wie nah genau zu nah ist.

„Pina Bausch und das Tanztheater“, bis 24.Juli, Bundeskunsthalle Bonn, Begleitbuch (Nimbus Verlag) 29,80 Euro

Das Elend der körperlichen Vollverausgabung, vom klassischen Ballett mit Tüll und Schwanenfedern behängt, wird gerupft und ungeschönt auf die Bühne gehoben – und dort zum theatralischen Darstellungsmittel gemacht. Bausch überzeichnet körperliche Anstrengung bis zum existenziellen Schmerz, der den Zuschauer in Demut zurücklässt.

In Bonn – und ab September in Berlin – wird die Visionärin gekonnt heruntergebrochen auf Normaloniveau. Ihr Archiv soll zugänglich werden. „Das Werk von Pina Bausch können wir hier nicht zeigen“, sagt Salomon Bausch. „Die Stücke finden auf der Bühne statt. Wer ihr Werk erleben will, muss ins Theater nach Wuppertal gehen.“ Ein Begleitband mit Interviewnotizen, zusammengestellt von Kunstautor Stefan Koldehoff, ergänzt die Schau, die vermittelt, was auf der Bühne nicht erfahrbar ist: wie man in der Mittagspause einen Winter tanzt.

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