Die Gitarre, das Seil und er

SINGER-SONGWRITER Warm, herzhaft, angenehm angestaubt: Der US-Künstler M. Ward spielt ein gelungenes Konzert im Kreuzberger Privatclub

Frühlingserwachen, Montagabend, Pärchenzeit. „You can find me on Tinder, and on Facebook./ If you want me, if you like my stuff, you can find me“, sagt Hanna Leess, die an diesem milden Abend den Support gibt. Sie ist genau am richtigen Ort: eine US-Künstlerin, die irgendwo von der Ostküste kommt und jetzt allein auf der Bühne des neuen Privatclubs steht, nur mit Mikrofonständer und Gitarre. Treffen kann man sie ohnehin öfter, denn inzwischen wohnt sie in Berlin.

Singer-Songwriter heißt es meist, wenn Alleinunterhalter mit Akustikgitarre und sensiblen Liedern gemeint sind. Da es Abertausende von ihnen gibt, wie bei fast jeder Kunst, kommt es auf das Können an: Sie brauchen schon eine besondere Stimme oder besonders fili­granes Gitarrenspiel, am besten beides. Hanna Leess bringt an diesem Abend beides mit, und einen kleinen Hit hat sie sogar auch. „My God Knows How To Cry“, heißt der.

M. Ward, eigentlicher Vorname Matthew, kurz Matt, und genauso wenig aus New York wie Leess, obwohl der Privatclub an diesem Abend so eine gute New Yorker Atmosphäre verbreitete, man denke an Greenwich Village, kleine schummrige Clubs mit Comedy und Folkmusik. Denn das war ursprünglich der Begriff für diesen Sound – also M. Ward hat natürlich auch beides auf Lager. Was er, kaum ist er als Hauptact auf der Bühne, auch gleich hinreichend demonstriert. Er springt sachte herum und malträtiert seine Akustikgitarre. Ab Song Nummer 2 beugt er sich über das Mikrofon und lässt seine Stimme erklingen, die so warm klingt, als ob sie aus einem Dreißiger-Jahre-Radiogerät käme (so heißt denn auch sein erstes erfolgreicheres Album „Transistor Radio“ von 2005).

Neofolk und Retroblues

Im Wesentlichen wirkt M. Wards Musik etwas retro, angenehm angestaubt, aber entspannt und mit Hang zur süffisanten Traurigkeit. Alternative Country nennt Wikipedia das, man könnte es aber auch Neoblues oder Retrofolk nennen, es ist eigentlich egal. M. Ward, die meisten kennen ihn vom Duo She & Him, das er zusammen mit Schauspielerin und Indie-It-Girl Zooey Deschanel bildet, ist ein Entertainer, der böse gucken kann, zum Dank die zur Faust gefalteten Hände schwingt und herzlich gern liebliche Lieder spielt. Die handeln oft von früher, von alten Geschichten der Liebe und dem Kummer. Von dem Typen, der einem die Freundin ausgespannt hat, und von dem Seil, das der Hubschrauber herunterlassen soll, um einen aus diesem Loch zu retten. Nur auf die Texte kommt es dabei gar nicht so an.

Denn im Grunde klingen M.-Ward-Songs alle recht ähnlich. Sie variieren das alte Thema: „My heart is always on the line/ I’ve travelled all kinds of places/ The song is always the same/ Got lonesome fuel for fire.“ Auch die Songs vom neuen Album ,„More Rain“, die er im Privatclub vorstellt, klingen so: warm, herzhaft, melodiös. Live tritt er bei zwei Songs auf ein Loop-Pedal und pustet bei zwei anderen in eine Mundharmonika. Ansonsten heißt es eben: seine Gitarre und er.

Klingt, als hätte man nichts verpasst? Das Gegenteil war der Fall. M. Ward hatte sein Berliner Publikum an diesem Frühlingsabend im Handumdrehen in der Tasche. Man hätte noch ewig seinem südkalifornischen Blues zuhören mögen. Und dabei versonnen in ein Weißweinglas schauen und an irgendetwas Schönes von früher denken. Dass M. Ward nur eine Zugabe spielen mochte: geschenkt. Es war ein großartiger Abend.

René Hamann