Kein Prozess wegen Loveparade: Katastrophe bleibt straffrei

Das Duisburger Landgericht hat die Anklage gegen zehn Beschuldigte nicht zugelassen. Der Opferanwalt spricht von einer „Bankrotterklärung der Justiz“.

Ein Mann stellt eine Grabkerze zwischen andere Gedenkstücke

Gregor Hecker war als Besucher auf der Loveparade 2006 Foto: dpa

BERLIN taz | Ulf-Thomas Bender war anzusehen, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. „Diese Tragöde lässt niemanden kalt“, sagte der Duisburger Landgerichtspräsident über die Loveparade-Katastrophe vor fast sechs Jahren. „Wir alle hegen die berechtigte und nachvollziehbare Erwartung, dass die Ursachen für diese Katastrophe aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“, versicherte Bender. Doch dazu wird es wohl nie kommen.

Am Dienstagmittag erläuterte Bender, warum die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg die Eröffnung eines Strafprozesses in Sachen Loveparade abgelehnt hat. „Die Vorwürfe der Anklage können mit den vorgelegten Beweisen nicht bewiesen werden, eine Verurteilung der Angeklagten ist deshalb nicht zu erwarten“, begründete er die Entscheidung.

Bei der Loveparade am 24. Juli 2010 waren 21 Menschen bei einer Massenpanik auf der viel zu engen Zugangsrampe zum eingezäunten Partygelände ums Leben gekommen. 652 Technofans wurden verletzt, etliche schwer. Tausende sind bis heute traumatisiert. Sechs BesucherInnen des Festivals haben in der Folgezeit Suizid begangen.

Knapp vier Jahre suchte die Staatsanwaltschaft Duisburg nach juristisch Verantwortlichen für die Katastrophe. Die Hauptakte umfasst 44.000 Seiten. Zehn Beschuldigte klagte sie im Februar 2014 der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung an: sechs Bedienstete der Duisburger Stadtverwaltung und vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent. Als zentrales Beweismittel diente ein Gutachten des britischen Katastrophenforschers Keith Still.

Tunnelblick im Gutachten

Und genau das ist jetzt der Anklage zum Verhängnis geworden. Nach mehr als zweijähriger Prüfung ist das Landgericht nun in seinem 460 Seiten starken Beschluss zu der Auffassung gekommen, dass dieses Gutachten nicht verwertbar ist. Es leide „an schwerwiegenden methodischen und inhaltlichen Mängeln, die dazu führen, dass die grundsätzlichen Fragen zu den Ursachen des Loveparade-Unglücks nicht beantwortet werden“. So habe Still nicht einmal selbst die verfügbaren Unterlagen gesichtet.

In ihrer Anklage geht die Staatsanwaltschaft unter Berufung auf den englischen Professor davon aus, dass allein Planungs- und Genehmigungsfehler für die Todesfälle und Verletzungen verantwortlich gewesen seien. „Das muss aber auch bewiesen werden“, sagte Gerichtspräsident Bender. Doch Still habe sämtliche anderen möglichen Unglücksursachen, beispielsweise später eingezogene Polizeiketten, nicht einmal berücksichtigt. „Die Kammer hat sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht“, sagte er.

Die Staatsanwaltschaft will nun mit einer Beschwerde erreichen, dass es doch noch einen Strafprozess gibt. Die ablehnende Entscheidung des Landgerichts sei „nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft“, teilte die Anklagebehörde am Dienstag mit.

Für viele Betroffene sei die Einstellung des Hauptverfahrens „eine weitere Enttäuschung“, bekundete Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link. Sie könne die Entscheidung „nur sehr schwer begreifen“, sagte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Noch deutlichere Worte fand Exbundesinnenminister Gerhart Baum. „Die Nichtzulassung der Anklage nach rund sechs Jahren Ermittlungen ist eine Bankrotterklärung der Justiz“, kommentierte der Rechtsanwalt, dessen Kanzlei zahlreiche überlebende Opfer und Hinterbliebene vertritt. Auch im Andenken an die Toten hätten sie einen Anspruch darauf, dass der Fall jetzt nicht zu den Akten gelegt wird.

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