Bosnien-Herzegowina

Investoren und Touristen aus den Golfstaaten zieht es vermehrt in den Balkanstaat. Das bringt Geld – und Gefahren mit sich

In Sarajevos Fußgängerzone Ferhadija tummeln sich zunehmend BesucherInnen aus den Golfstaaten Foto: Altodd Heisler/NYT/Redux/laif

Die Araber kommen

Investoren wie Ismail Ahmed bauen rings um Sarajevo riesige Ferienressorts – und Einheimische hoffen auf goldene Zeiten. Doch mit dem Geld breitet sich auch eine strenge Interpretation des Islam im Land aus

Aus Sarajevo Erich Rathfelder

„Jannah“ heißt das arabische Wort für Paradies. „Jannah“, rief der Großinvestor Ismail Ahmed aus, als er im vergangenen Herbst auf das schon im Oktober von Schnee bedeckte Massiv des Treskavica und die umliegenden Bergdörfer mit ihren Moscheen sah. So sehr genoss der Inhaber der Firma Buroj Property Development aus Dubai den herrlichen Blick auf das 1.000 Meter über dem Meer liegende Hochplateau von Dejčići, das 15 Kilometer südwestlich von Sarajevo liegt.

Azra Maldošić war damals dabei. Die Dolmetscherin sieht für sich goldene Zeiten anbrechen. „Denn jetzt kommen die Araber in unser Land.“ Denn mit dem Klimawandel stiegen die Temperaturen in den Golfstaaten während des Sommers selbst für Araber ins Unerträgliche an. Syrien und der Libanon mit ihren traditionellen Sommerfrischen seien angesichts des Krieges und des Flüchtlingsdramas für die Bewohner der Golfstaaten unsicher geworden.

Während die Superreichen aus den Golfstaaten den Sommer in Chalets in Kitzbühel oder der Schweiz verbringen, suchten die Mittelschichten nach preiswerteren Alternativen. Bosnien mit seiner von Seen und Flüssen durchzogenen Gebirgslandschaft, mit den fast unberührten Wäldern und den grünen Wiesen erscheint den Arabern wie ein Paradies. Jetzt sind viele Firmen aus den Golfstaaten hier aktiv; „und die brauchen Leute wie mich“, sagt Maldošić.

Ahmeds Firma hat das ganze Hochplateau bei Dejčići gekauft und will 2,2 Milliarden Euro in das Projekt stecken. Das ist eine für Bosnien fast unvorstellbare Dimension, die auch in Zen­tral­europa Aufsehen erregen würde. Hier sollen 2.000 Villen, 60 Hotels, 186 Mehrfamilienhäuser, ein Krankenhaus, Einkaufszentren, ein künstlicher See und viele Restaurants entstehen. „Mindestens 40.000 Menschen werden hier gleichzeitig Ferien machen können“, sagt Ahmed.

Als sich die 27-jährige Azra Maldošić vor zehn Jahren entschloss, nicht nur Englisch, sondern auch Arabisch zu studieren, stieß sie bei ihrer Familie und ihren Freunden auf Unverständnis. Ihre Mutter vermutete sogar, sie sei nun religiös geworden und drifte in den radikalen Islam ab. „Doch das ist Quatsch“, sagt Maldošić lächelnd und fährt sich durch ihren dunklen Lockenschopf. Wenn sie sich in Sarajevo mit Freunden in einem der zahlreichen Musikcafés trifft, ist sie modern und westlich angezogen. „Nicht übertrieben, im Sommer aber auch schon mal im Mini.“

Die alleinlebende Maldošić konnte im Vorjahr endlich eine Eigentumswohnung im Stadtteil Grbavica anzahlen und die elterliche Wohnung verlassen. Doch bei der Arbeit nimmt sie jetzt Rücksicht auf die arabischen Gepflogenheiten. „Ich habe nicht nur das in Bosnien traditionelle Kopftuch, die Marama, ich bedecke bei den Geschäftstreffen in Ilidža den Kopf mit einem Hidzab, wie die Frauen aus den Emiraten es tun“, erzählt sie. Ohne islamische Kopfbedeckung wäre es schwierig, von arabischen Geschäftsleuten angeheuert zu werden.

Arabische Welt in Ilidža

In der Cafeteria des Hotels Hollywood sitzen bei Tee und Softdrinks mehrere Gruppen von Arabern und Bosniern eng zusammen und wälzen Papiere. Im Zentrum des am westlichen Ende Sarajevos liegenden Stadtteil Ilidža ist eine neue Welt entstanden. Um die Heilquellen Ilidžas wurden einstmals in der Habsburgerzeit Kurhotels, weitläufige Parks und eine Allee angelegt. Die führt zu der kilometerweit entfernten Quelle des Bosna-Flusses, dessen Wasser hier aus dem Bergmassiv des Igman entspringt und sogleich einen ansehnlichen Fluss bildet.

Doch dieses Ambiente inte­ressiert die arabischen Immobilienmakler, die hier ihre Büros um das vor 15 Jahren gebaute Hotel Hollywood herum eröffnet haben, nur am Rande. Sie bemühen sich nicht einmal, ihre Angebote in lateinischen Lettern anzupreisen. Die aus Kuwait stammende Firma Gulf.doo investiert in Pazarić, einem 20 Kilometer westlich von Sarajevo gelegenen Ort, ebenfalls in ein touristisches Großprojekt und ist dabei, auf einem Hochplateau ein Feriendorf mit 1.000 Wohneinheiten aufzubauen.

In dem Büro verhandeln Gruppen von arabisch gekleideten Familien mit den jungen Angestellten. Hier werden die Verträge mit den arabischen Kunden der Firma ausgehandelt. Die ebenfalls die Marama tragende freundliche Empfangsdame ist eine Bosnierin. Für sie selbst und Bosnien insgesamt sind die Investitionen aus den Golfstaaten ein Segen. „Jetzt wird in Bosnien investiert. Unsere Firma stellt Arbeitskräfte aus Bosnien ein, die Baumaterialien sind von lokalen Produzenten, das gibt Arbeit und wirtschaftlichen Aufschwung.“ Sie ist begeistert. „Bald wird es vielen hier besser gehen.“

So wie sie denken jetzt die meisten Menschen in Ilidža und Umgebung. Bei den Besitzern von Ausflugslokalen, Autovermietern und den Geschäftsinhabern um den Hauptplatz herrscht Goldgräberstimmung. Schon in den vergangenen Jahren haben die Investitionen aus dem Nahen Osten einige Veränderungen bewirkt. Die Gründung von zwei privaten und untereinander konkurrierenden türkischen Universitäten hat den türkischen Einfluss in Ilidža gestärkt, Studentinnen aus der Türkei hatten sich hier eingeschrieben, als in der Türkei noch das Tragen des Kopftuchs verboten war, jetzt aber gibt es auch andere Studenten.

Die Hotels in Sarajevo profitieren von dem schon bestehenden arabischen und türkischen Tourismus. Das in Novo Sarajevo gelegene, im Krieg zerstörte und nun wiederaufgebaute Hotel Bristol ist wie die Einkaufszentren in der Titostraße ganz auf arabisch-türkische Gepflogenheiten eingerichtet, Alkohol und Tabak sind verpönt, die Hotelrestaurants bieten die nahöstliche Küche an.

„In der historischen Altstadt, der Baščaršija, konkurrieren jetzt Döner und Cevapcici,“ witzelt der 68-jährige Sulejman, Rentner und ehemaliger Besitzer des legendären Restaurants Ragusa. Als nach dem Krieg 1995 wieder Lebensmittel ins Land kamen, war sein Restaurant vor allem bei den Mitgliedern der ausländischen Hilfsorganisationen beliebt. Sulejman war der gute Geist des Hauses, sprach und trank mit allen Gästen, machte Stimmung. Als jedoch sein Sohn bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, veränderte er sein Leben radikal. Der lebenslustige Trinker wurde zum gläubigen Muslim.

Sulejman ist verankert in der Tradition des bosnischen Islam. Er schätzt die kritischen Professoren an der islamischen Fakultät, ist Anhänger des populären Predigers und Imam Sulejman Bugari, eines Gegners der islamistischen Interpretation des Islam. Wie Bugari sieht er im Wahhabismus aus Saudi-Arabien eine Gefahr für die Muslime in Bosnien und Herzegowina und für ganz Europa.

„Die Firmen aus den Golfstaaten brauchen Leute wie mich“

Dolmetscherin Azra Maldošić

Er könne verstehen, dass viele Bosniaken verunsichert sind, sagt Sulejman. Weil der Westen erst sehr spät, erst nach dem Genozid in Srebrenica 1995, den serbischen und kroatischen Nationalisten Einhalt gebot, blickten viele junge Leute nach dem Osten, in die Türkei und in die arabischen Länder. Deshalb ist er froh, dass die bosnische Islamische Gemeinschaft beschlossen hat, im ganzen Land alle von der Islamischen Gemeinschaft unabhängigen islamistischen Gruppen wieder in die Gemeinschaft zurückzuführen und die wahhabitische Interpretation des Islam zurückzuweisen. Für Sulejman ist der Platz Bosnien und Herzegowinas trotz der arabischen Investitionen in Europ. „Wir sind Europäer“, betont er. Und er freut sich, dass die Regierung Bosnien und Herzegowinas im Februar endlich den Antrag auf Mitgliedschaft in der EU gestellt hat.

Veränderte Atmosphäre

Das gilt gleichermaßen für den Expartisanen und weit über 80 Jahre alten, immer noch aktiven Verleger, Unternehmer und Filmproduzenten Mustafa Kapicic. Für ihn gibt es keine andere Zukunft des Landes als in Europa. In dem mitten in der Altstadt Sarajevos gelegenen Büro seines Verlags Kult-B treffen sich Intellektuelle und Künstler, hierher kommen Freidenker und Agnostiker, Historiker und Politiker. Hier wird auch darüber diskutiert, welchen Einfluss die Araber in Bosnien haben werden. „Wo Geld fließt, gibt es auch Korruption. Die gesellschaftliche Atmosphäre hat sich schon verändert“, beklagt er. Langsam habe sich trotz der kritischen Haltung vieler Vertreter des bosnischen Islam an den Rändern der Gesellschaft ein intoleranter, antidemokratischer „neuer Islam“ in Bosnien ausgebreitet, der von Saudi-Arabien beeinflusst sei.

Als die Partisanen 1945 Jugoslawien vom Faschismus befreiten, wurde sogleich die Gleichstellung von Frauen und Männern durchgesetzt, die Verschleierung muslimischer Frauen wie in der damaligen Türkei verboten. „Mädchen konnten ab dann in die Schule gehen“, sagt Kapicic. Staat und Religion waren im Tito-Staat strikt getrennt. „Doch jetzt sind diese historischen Fortschritte in Gefahr. Jetzt demonstrieren junge Frauen für das Recht, religiöse Kopfbedeckungen vor Gericht zu tragen.“

Angesichts des Zusammenspiels von arabischen Investoren und der Führung der muslimischen Nationalpartei SDA würde der „neue Islam“ den Spielraum haben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, befürchtet Kapicic. Ein kürzlich von ihm verlegtes Buch, in dem der ehemalige Präsident und Repräsentant der Muslime Bosniens während des Krieges 1992 bis 1995, Alija Izetbegović, als Weichensteller für den Islamismus in Bosnien gedeutet wird, hat zu harschen Reaktionen geführt. Es fielen sogar Schüsse, als er sich in seinem Haus in den Bergen aufhielt. „Der Terror erreicht jetzt auch uns“, sagt Kapicic.

Islamistische Terroristen hatten um die Jahreswende zwei Soldaten ermordet. Einer der vermutlich 150 aus Bosnien stammenden Kämpfer des Islamischen Staates in Syrien drohte vor wenigen Wochen in den sozialen Medien, das Oberhaupt des traditionellen bosnischen Islam, den Reisu-l-ulema, umzubringen. Leute wie Mustafa Kapicic lassen sich jedoch nicht einschüchtern.