Alle verbindende Angriffslust

Theater Studentinnen aus Teheran, die Upper Class aus Kairo: Das Festival Internationale Neue Dramatik an der Berliner Schaubühne

Der Blick ins Weite stützt das Eigene: Das kann man sehr gut an der Schaubühne Berlin und ihrem Festival Internationale Neue Dramatik (Find) beobachten. Denn mit den Gastspielen, die sie für zehn Tage im April an ihr Haus holen, werden einerseits Regisseure und Autoren aus Syrien, Serbien, Iran und Kairo vorgestellt. Andererseits unterstreicht das Theater mit der Auswahl seinen Anspruch, politisch wach zu sein und in die Welt zu hören. Denn Teil des Festivals sind auch hauseigene Produktionen, etwa von Milo Rau und Falk Richter, die sich in den politischen Diskurs einschalten.

Was einige Stücke verbindet, ist ihre Angriffslust. Das gilt zum Beispiel für „The Last Supper“ von Ahmed El Attar, einem Regisseur, der in Kairo seine eigene Company gegründet hat. „The Last Supper“ ist schnelles Boulevardtheater über die Oberflächlichkeit einer Upper Class, die sich zwar in ihren Statussymbolen modernisiert hat, aber was Ordnungsmuster und Ängste angeht noch immer alten Machtstrukturen anhängt. Ihr Servicepersonal behandeln sie wie Dreck. Genüsslich zelebriert die Inszenierung, wie die Männer sich aufblasen und nach Beifall gieren, während die Frauen säuerlich am Rand in ihren Handtaschen kramen. Das guckt sich schnell weg.

Falk Richter hat zuletzt mit seiner Inszenierung „Fear“ Aufsehen erregt, die sich mit der Sprache der AfD und anderer rechter Populisten auseinandersetzt. Politische Rhetorik auf den Prüfstand zu stellen ist auch ein Thema von Sanja Mitrović, die in Serbien geboren ist und in Brüssel arbeitet. Ihr Stück „Speak“, das sie selbst mit Jorre Vandenbussche performt, ist gebaut wie ein Wettkampf zwischen Rednern, die berühmte Ansprachen der Geschichte zitieren, etwa von Martin Luther King, Robert Mugabe, Saddam Hussein, Václav Havel, Margaret Thatcher. Sie bringen das Publikum sehr schnell in eine Zwickmühle, soll es doch stets über die bessere Performance entscheiden, ohne den Kontext zu kennen – die Herkunft der Zitate wird erst hinterher offengelegt.

Strategische Irreführung

So wetteifern Mitrovićund Vandenbussche um die Gunst des Zuschauers mit Emotionalität, Ergriffenheit, Gesten der Aufrichtigkeit und der Demut und Appellen an die Opferbereitschaft. Das ist ebenso spannend wie irreführend und verwirrend. Denn einerseits lernt man, dass die Leidenschaftlichkeit einer Rede nichts über ihren Wahrheitsgehalt aussagt, auch den schönsten Worten also zu misstrauen ist. Andererseits aber, dass ohne die Macht der Worte keine Bewegung und keine Veränderung möglich ist.

Trauer ist ein verbindendes Element zwischen den Stücken von Anis Hamdoun und Amir Reza Koohestani. Aber während der junge Hamdoun, der aus Syrien geflohen ist und jetzt in Osnabrück arbeitet (siehe taz vom 8. April) seine zarte Erzählung über die ermordeten Freunde in Homs von der Schwelle zu einem möglicherweise anderen Leben aus erzählt, baut der iranische Regisseur Amir Reza Koohestani seine Geschichten aus Sätzen, die sich wiederholen und wiederholen, bis das Leben selbst in ein enges Gefängnis gesperrt zu sein scheint.

Amir Reza Koohestani inszeniert in Europa mit persischen Schauspielern in Farsi, mit Koproduzenten in Genf, Frankfurt und Brüssel. „Hearing“, das er jetzt an der Schaubühne zeigte, war 2015 auch in Teheran zu sehen. Seine Mittel sind visuell spartanisch; je eine Schauspielerin, in Jeans und mit Kopftuch, steht dem Publikum gegenüber und beantwortet Fragen eines Verhörs. Ein Mann soll im Frauentrakt eines Studentenwohnheims gesehen worden sein. Die Verhörende selbst ist eine Studentin, der die Schlüssel anvertraut wurden und die jetzt ihren Rausschmiss fürchtet. Wie sie dabei Neda und Shamaneh gegeneinander auszuspielen versucht und Geständnisse erpressen will, lässt aber kein Mitgefühl für sie übrig.

Ob es überhaupt einen Vorfall gab oder die Geschichte nur ein Gerücht ist, womöglich auch eine Intrige gegen die Aufseherin, entzieht sich der Klärung immer mehr, je länger die Verhöre andauern. Am Ende wiederholen sich Fragen und Antworten als Gespräch mit einer Toten, die den Selbstmord einer erzwungenen Rückkehr in den Iran vorgezogen hat. Dass Neda aus dem Wohnheim ausbrechen konnte, nach Schweden emigrierte und als Fahrradkurier Momente von Freiheit erlebte, schrumpft zu einer kleinen Episode im großen Apparat der Repressionen zusammen. Mit einer Head-Kamera laufen die Schauspielerinnen hintereinander her, wenn sie die Bühne verlassen. Das vermeintliche Außen wird so nur zu einem weiteren Zirkel in ihrem Gefängnis.

Koohestanis Publikum ist fast immer auf Übertitelung in Deutsch und Englisch angewiesen. Das Gefühl, dass dabei auch etwas verloren geht, ist nicht verkehrt. Das Festival Find erzählt nicht zuletzt von den Verlusten in einer globalisierten Welt der Kunst, in der viele nicht freiwillig unterwegs sind.

Katrin Bettina Müller