Album von Dean Blunt alias Babyfather: Mehr Privatsphäre, aber dalli

Dean Blunt erfindet sich mit seinem Album „BBF hosted by DJ Escrow“ neu: Als Babyfather gibt er einen Dancefloor-Derwisch als Kunstfigur.

Zwei Schwarze sitzen im Auto und blasen Luftballons auf, auf die die englische Flagge gedruckt ist

There ain‘t black in the Union Jack? Dean Blunt, am Steuer sitzend, bringt den Ballon zum Platzen Foto: Richard Blackwood

Dean Blunt ist ein Blender, eine Zitatfabrik in der Form einer Ich-AG, dessen Spuren ein Universum namens Dean Blunt eröffnen, dessen Zentrum leer ist. Auch sein neues Album wird daran nichts ändern – zum Glück! „BBF hosted by DJ Escrow“ heißt es.

DJ Escrow ist ein Mitglied des Kultur-Lumpenproletariats, ein Möchtegern-Piratenradio-DJ, der sich in seinem Heimstudio einschließt, um dort seine Ansagen zu üben oder seine Zukunftspläne so auszubreiten, als wäre er ein Charakter in einer DJ-Castingshow. Im Hintergrund seiner Monologe hört man das Schaben von Plattennadeln in der Auslaufrille oder eine klimpernde Akustikgitarre, über die DJ Escrow einen Loop seiner Stimme laufen lässt: „This makes me proud to be British“.

Es ist einer dieser unbehaglichen Dean-Blunt-Witze, bei denen man nie sicher sein kann, ob die Pointe nicht zu Lasten derjenigen geht, die darüber lachen. Sicher, die Sehnsucht nach einem fiktivem Land voller grüner Hügel ist ein fester Bestandteil des britischen Nationalismus. Aber reicht es nicht, die nationalstolzen Floskeln einfach ad nauseam zu wiederholen anstatt sich mit elaborierten Argumenten von links der Wiederkehr des Immergleichen widmen zu müssen?

Solche Gags haben Dean Blunt den Ruf eines Pranksters eingebracht, der lediglich mit seinem Publikum spielt. Ganz abwegig ist das nicht. Aber Blunt mutet jedem Publikum die Verwirrung zu, die es nötig hat. Er ist ein Erlöser, kein Hofnarr. Auf seinen Konzerten in Galerien und Theatern bringen die Subbässe noch die engste Röhrenjeans zum Flattern. Letzten Sommer trat er nachts auf dem Moers-Festival auf. Er saß am Flügel und spielte eine Lounge-Coverversion der Trennungshymne „Prayer to God“, im Original von der US-Noiserockband Shellac. Seine Band begleitete ihn dabei mit Barjazz, bevor sie auf Zuruf in derben Improvisationslärm ausbrach.

Im Januar zeigte er in einer Kunstinstallation in London ein Agenturbild, auf dem ein weißer Angestellter seine schwarze Kollegin schmierig angrinst. Dazu kam ein hoher Ton aus einem Käfig, auf den der Union Jack gezeichnet war. Damit treibt Blunt die Ausschlussmechanismen des Kunstbetriebs auf die Spitze. Der Ton hat die Frequenz 17,4 khz: Ist man älter als 25 Jahre, kann man ihn nicht mehr hören. In Großbritannien wird er deshalb eingesetzt, um kaufkraftarme Jugendliche aus Pubs und Mc-Donald’s-Filialen zu vertreiben. Ältere, im Berufsleben stehende Gäste nehmen ihn dagegen nicht mehr wahr.

Popkultureller Vaterlandsverrat

Auch auf „BBF hosted by DJ Escrow“ spielt Dean Blunt seine Rolle als Einmann-Medienmiliz in einem liebgewonnenen Teil des Alltags, der mittlerweile verklärten Piratenradiokultur des Londoner Ostens, wo er einst aufgewachsen ist. Blunt zappt sich wie ein DJ durch Musikgenres, immer begleitet von DJ Escrow, der kein besonders begnadeter Ansager ist.

In hochgepitchtem und unrhythmisch aus ihm heraussprudelnden Englisch mit karibischem Akzent philosophiert er darüber, wie ihm die „Babymother“ seiner Kinder das Leben schwermacht. Dass er mal ein „Sick MC“ wie der Grime-Rapper Wiley werden wird. Blunts Album ist die Antithese zur Intensität der Live-Battles zwischen DJ und MC, die im Programm der Piratensender laufen. Seine Beats schlurfen, sein Rapstil lebt von den Pausen zwischen den Zeilen anstatt von stakkatohaft abgefeuerten Reimsalven. Vor allem übt sich Dean Blunt im popkulturellen Vaterlandsverrat.

„BBF hosted by DJ Escrow“ ist ein Piratenradiosender, auf dem kein einziges genuin britisches Musikgenre läuft. Stattdessen zitiert sich Blunt munter durch US-HipHop und die Soundsystem-Kultur der Karibik. Auf „Shook“ legt er ein Zitat von Hustensaft-Rapper French Montana über einen klassischen Boom-Bap-Beat. Auf „N.A.Z.“ mischt er Zeilen von Neil Young und dem Rapper Nas aus dem Goldenen Zeitalter von US-HipHop über einem Rhythmus, der Ende Achtziger in einem Tonstudio in Kingston entstanden sein könnte.

Babyfather: „BBF hosted by DJ Escrow“ (Hyperdub/Cargo)

Aus allen Zutaten entsteht dann die Kunstfigur Dean Blunt: ein überinformierter Bescheidwisser, der lieber ein Slacker wäre, und deshalb das Selbstmarketing, das auch im elektronischen Underground mittlerweile Alltag ist, zuspitzt. „Can’t they give a n***a privacy?“, fragt er seine Haters auf „Meditation“, bevor er sich zum Trinker stilisiert, der sich mit Schnaps übergießt.

Blunts Zitatwelt ist introvertiert und verstiegen, weil er sich vor Tratsch fürchtet. „Prolific Daemons“ etwa spielt auf einen der letzten Tweets an, den der Modedesigner Alexander McQueen kurz vor seinem Selbstmord verfasst hat. Viele verstanden dies als Ankündigung von McQueens Freitod, dabei waren die „Dämonen“ eine Referenz auf dessen kommende Kollektion. Dean Blunt übersetzt dies in digitalen, antagonistischen, kompromisslosen Lärm. Darüber gibt DJ Escrow wieder Platitüden über Partys zum Besten, während der White Noise allmählich weggeblendet wird.

DJ Escrow hat das letzte Wort. Am Ende gewinnt meistens doch das Geplapper. Man muss es einfach hassen.

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