Whirlpool der Wohltaten

Heute kommt mit „Stolz und Vorurteil“ wieder mal ein Stoff der Schriftstellerin Jane Austen ins Kino. Warum? Weil es unsere moderne Sehnsucht nach privatisierten Gefühlen und Entschleunigung stillt

von SIMONE ROSSKAMP

Sicher, sie ist nicht so bekannt wie andere Ikonen, wie Jim Morrison, James Dean oder Marilyn Monroe. Dabei ist auch sie jung verstorben, allerdings schon vor fast 200 Jahren und ganz ohne Selbstmord oder Mithilfe von Drogen. Auch findet sich ihr Konterfei vergleichsweise selten auf T-Shirts oder Tassen. Und dennoch: Das Werk der Jane Austen ist Pop.

Seit den Neunzigerjahren vergeht kaum ein Kinojahr, kaum eine Buchmesse ohne sie. Und ein Ende der mediale Zweit-, Dritt- oder Viertverwertung ihrer Romane ist noch lange nicht abzusehen. Vom verkannten Literaturtalent vergangener Tage hat es Jane Austen zum Kassenmagneten unserer Zeit gebracht, vom trockenen Schulstoff direkt auf die schillernde Kinoleinwand. Und wer ihr beim Sprung von der literarischen Hoch- zur cineastischen Populärkultur geholfen hat, wird dadurch meist selbst zu einem Star der Unterhaltungsindustrie, auch wenn das „Jane-Austen“-Etikett lange haften bleibt: Emma Thompson, Gwyneth Paltrow oder Keira Knightley können davon sicher ein Lied singen.

Droge in geringer Dosis

Die Nachfrage nach Jane Austen und ihren Geschichten ist offenbar ungebrochen – aber warum? Schließlich hat uns die Frau nur sechs Romane aus eigener Feder hinterlassen, von einigen weiteren Fragmenten mal abgesehen. Darüber hinaus existiert eine schier unüberschaubare Zahl an Romanen, die ohne Jane Austen nie entstanden wären. Was ihre Epigonen motiviert, dürfte neben persönlicher Verehrung vor allem die Tatsache sein, dass die „Droge Austen“ nur in geringen Dosen erhältlich ist.

Ganz gleich, ob wir es nun Zitat, Kopie oder Plagiat nennen: In der Postmoderne sind alle Plots erzählt, reduziert sich Genialität unweigerlich auf Kongenialität. Die Reflexivität ist daher das Stilmittel der postmodernen Kultur, und in ihrer Konsequenz führt diese Konstellation zum Spin-Off, der eigenen Geschichte nach fremdem Vorbild.

In dieser Disziplin hat es eine Autorin namens Joan Aiken zu höchster Austen-Enkelschaft gebracht. Deren Tonfall imitierend, führt Aiken die Schicksale von Randfiguren fort, teils auch solcher, die in der Vorlage nur beiläufig erwähnt sind.

So hält es Aiken auch mit ihrem Buch „Elizas Tochter“. Eliza, das Mündel des moralischen Colonel Brandon in „Verstand und Gefühl“, bekommt ein ungewünschtes Kind. Dieses lässt Aiken dann auf die Charaktere von Austen treffen, die Schwestern Marianne und Elinor. Am blasphemischen Umgang mit den Originalfiguren dürften sich nur Kenner stören.

Treffen mit T. C. Boyle

Was alle Spin-Offs gemeinsam haben, ist ihr Widerspruch zu einem literarischen Prinzip, das die Autorin selbst aufgestellt hat: Romantische Geschichten enden genau dann, wenn die Paare vor den Traualtar treten.

Während die Kopie wohl ökonomisch motiviert sein dürfte, ist es das Zitat eher künstlerisch: Auch T. C. Boyle hat Austens Welt für sich entdeckt: „I Dated Jane Austen“ heißt seine Erzählung. Doch bevor Jane und T. C. zum romantischen Teil des Abends kommen können, wird das literarische Date vereitelt – von einer Austen-Figur. Die Fiktion in der Fiktion, das Ende einer großen Schriftsteller-Liebe. Dass wir uns auch heute noch mit dem Austen-Kosmos identifizieren können, liegt sicher auch an seiner Anschlussfähigkeit an andere Settings, Zeiten, Milieus oder Kulturen.

Auch hier greift als Muster das Spin-Off. Die ursprünglichen Geschichten dienen als erzählerischer Code für einen modernen Plot, der überall auf der Welt überall verstanden wird – von Hollywood bis Bollywood. „Bride and Brejudice“ (2004) etwa verlegt die Story von „Stolz und Vorurteil“ kurzerhand nach Indien und verwandelt sie in ein sinnliches Hindi-Spektakel.

Ein Beispiel aus Hollywood ist der Film „Clueless“ (1995), in dem Alicia Silverstone eine Shopping-Variante von Austens liebenswert-erfolgloser Kupplerin Emma spielt. „Bridget Jones“ ist sicher das populärste Beispiel der letzten Jahre: Die pummelige Britin trifft im ersten Teil („Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“ (2001) ihren ganz persönlichen Darcy, den Superhelden aus „Stolz und Vorurteil“. Und auch der zweite Teil, „Bridget Jones – Am Rande des Wahnsinns“ (2004), arbeitet mit Parallelen zu einem Austen-Roman, der „Überredung“.

Literatur und Film gehen ihre eigene romantische Beziehung ein, bis zu weit verzweigten Referenzen: „Bridget Jones“-Schauspieler Colin Firth war in der erfolgreichen BBC-Miniserie „Stolz und Vorurteil“ (1995) ebenfalls als Darcy zu sehen. Eine Rolle, auf die in Bridget Jones wiederum frech angespielt wird. Der Austen-Kosmos schließt sich – zur Zufriedenheit der Zuschauerinnen. Aber, noch mal: Warum?

„Austen hat eine Schwäche für Seeleute“, lässt die Autorin K. J. Fowler eine ihrer Figuren im Roman „Der Jane Austen Club“ sagen: „Ich frage mich, welchen Beruf sie heute bewundern würde“ – „Vielleicht Feuerwehrleute?“, erwidert ihr Gegenüber. „Das tut im Augenblick jeder …“ Die Gesellschaftsdame um 1800 versteckt heimlich einen Kalender des New York Fire Departments im Empire-Schränkchen? So abwegig ist das gar nicht. Jede Zeit, so der Kritiker Martin Amis, konzentriere sich bei der Austen- Verehrung auf einen eigenen Schwerpunkt: „Wir möchten in einer piekfeinen Vergangenheit schwelgen, wir wollen den distinguierten Akzent, die raschelnden Kostüme“, weil wir eine Sehnsucht fühlen, die sich vermeintlich nur in der Vergangenheit stillen lässt, in der abgrundtief romantischen und doch wohlgeordneten Welt der Jane Austen.

Deswegen protzen gerade aktuellere Verfilmungen mit langen Kamerafahrten, die alles mit allem zu verknüpfen scheinen; wunderbar zu beobachten auch in der Einstiegssequenz der neuen Adaption mit Keira Knightley. Der Kamerablick versucht Ganzheitlichkeit zu konstruieren.

Daher besonders auffällig in den Verfilmungen der letzten Jahre: Lange Kamerafahrten, die alles mit allem zu verknüpfen scheinen; wunderbar zu beobachten auch in der Einstiegssequenz der aktuellen Adaption mit Keira Knightley. Der Kamerablick versucht Ganzheitlichkeit dort zu imaginieren, wo außerhalb des Kinosaals längst jeder für sich alleine kämpft: Lange Spaziergänge statt Alltagshektik, reglementierte Konversation statt schneller SMS. Vielleicht hat sogar die vielfach konstatierte „Neue Spießigkeit“ ihr Utopia in der Welt der Jane Austen.

Die fünflagigen Rockschöße des 18. Jahrhunderts aber sind längst durch praktische Jeans ersetzt, und gerade den weiblichen Fans sollte sich die Frage aufdrängen: Haben wir nicht schon viel mehr Freiheit erreicht? Schließlich kann uns niemand mehr in ein Korsett zwingen oder dazu, den nervigen Pfarrer zu heiraten. Doch der entscheidende Punkt liegt woanders, dort, wo sich entscheidet, wie wir mit unserer prekären Freiheit umgehen.

Gegengift zur Freiheit

Einer Freiheit, die so groß ist, dass sie von allen Seiten her angreifbar ist, an jedem Ort und zu jeder Zeit. Für den Terror der Islamisten gilt wie für den der Globalisierer auch: Wo sich die Haustür hinter dir schließt, bleibt der Schrecken der Welt draußen. Und Türen schließen sich viele bei Jane Austen; zum Salon, wenn der falsche Verehrer abgewiesen wurde; zum privaten Raum, wenn es einen heimlichen Brief zu lesen gilt.

Ein „Draußen“ gibt es bei Jane Austen nur dort, wo die Natur Ruhe und Raum für persönliche Kontemplation verspricht – es ist kein Zufall, dass zu Jane Austens Lebzeiten der „Englische Garten“ als begehbares Landschaftsgemälde seinen Siegeszug begann. Ob Wildnis oder Garten: Jane Austen leugnet nicht die Gegensätze der Gesellschaft, sondern sucht sie im Mikrokosmos des eigenen Heims miteinander zu versöhnen. Eine ideale Voraussetzung also, um in unseren Zeiten der Globalisierung und des Cocooning noch immer ein breites Publikum zu finden. Man bleibt zu Hause und baut sich sein Nest, bekommt ein Kind, fängt an zu stricken, liest „Stolz und Vorurteil“.

Während des Ersten Weltkriegs suchte die britische Armee den Rat eines Oxford-Professors bei der Auswahl geeigneter Lazarett-Lektüre. Soldaten mit Gefechtsneurose hätte der Akademiker am liebsten Jane Austen verschrieben.

Seine Begründung gilt noch heute: „In der wohltuenden Stille dieser Seiten konnten die Opfer der Geschichte ihrer Nemesis entrinnen.“