Schmierstoff mit Schnappbewegungen

Tanz Kat Válastur ist bekannt für ihre prägnanten Tanzsprachen. Das neue Stück der Berliner Choreografin trieft vor Öl – „OILinity“ im HAU 2

Der Tanz in einer Art skulpturaler Molekularverbindung: „OILinity“ im HAU 2 Foto: Dorothea Tuch

von Astrid Kaminski

Irgendwie weiß man’s ja, dass Erdöl das Schmiermittel für alles ist. Schon mal gehört. Aber auch wieder vergessen. Hat man ja als Radfahrer nicht so viel mit zu tun. Außer im Asphalt. Außer in Cremes, Laptops, Medikamenten, Kleidungsstücken … Außer im Sprit, der den Transport für fast alles ermöglicht, außer im Jet, der für Tapetenwechsel am Wochenende sorgt. Überhaupt Tapeten! Auch wieder im Kommen. Besonders schick die Vinyltapete, besonders praktisch der mit PVC abgeblendete abwaschbare Dschungeldekor. Keine Frage, wir bleiben linientreue Erdölfetischisten.

„OILinity“ hat die Choreographin Kat Válastur daher ihr neues Stück betitelt. Am Donnerstag hatte es Premiere im HAU 2. Zwei Stellwände mit Ornamenttapete in einer Mischung aus Dschungel- und Militaryprint begrenzen die hintere Bühne. Hier können ihre im gleichen Design gekleideten drei Tänzer*innen in Tarnstellung gehen. Dazu geben aus steifem schwarzem Stoff geformte, eher unförmige Objekte dem Raum eine entschlossen minimalistische Struktur, ohne selbst etwas zu sein.

Mit Bedeutung aufgeladen werden sie jedoch durch den glänzenden weißen Firnis des Tanzteppichs, der dem Setting die klinische Atmosphäre einer Galerie verleiht. Der zeitgenössische Tanz spielt gerne mit diesem aus der bildenden Kunst implantierten Gottesdienst-am-Objekt-Charakter. Válastur experimentiert damit doppelt, indem sie den schwarzen Stoff, den ihre Tänzer*innen heftig beschwören, später beherzt wie Novalis’ Lehrling zu Sais lüften lassen wird, also als reine Hüllen abwirft, nur um zur zweiten Objektschicht durchzudringen. Offen lässt sie, auf welche Schicht sie sich mit den im Abendzettel wie in einem Galerieplan eingetragenen Objekttiteln („Spinning Melancholy“, „Ironic Fountain“, „Warvase“) bezieht. Und was eine Warvase eigentlich ist. Irgendetwas, wo die um Öl geführten Kriege reinpassen?

Válastur hat eine Nähe zu den Codes der bildenden Kunst, ihre Werkreihe „The Marginal Sculptures of Newtopia“, deren Abschluss „OILinity“ ist, hat sie als Stipendiatin am Institut für Raumexperimente unter der Leitung von Ólafur Elíasson entwickelt. Vor allem aber ist Válastur Meisterin im Entwickeln einer genauso abstrakten wie charakteristischen Tanzsprache. Für ihre Odyssee-Serie fand sie stroboskoplichtgefilterte, fragmentierte Moves, die sich wie im Zeitraffer um ihre Subjekte legten und sie dadurch zu Pixeln, Bildzellen werden ließen. In „Ah! Oh! A Contemporary Ritual“ war es eine comicartig überzeichnete Tanzsprache, die eine postapokalyptische Funktionsentfremdung von automatisierten Handlungen spiegelte.

In „OILinity“ nun wird die Choreografin so konkret wie nie zuvor, indem sie die Bewegungen eng mit dem äußerst plastischen Sound von Filippos Kavakas, der wohl nicht zufällig auch für die Objekte verantwortlich ist, verschmelzen lässt.

Es rauscht, es knackt, zähe Masse blubbert, ein Reiben wie von tektonischen Platten aneinander, Torsionen: ein Sound zwischen mikroskopisch-organisch und Industrial. Die durchweg präzisen Tänzer*innen Nitsan Margaliot, Enrico Ticconi und Marysia Zimpel tunen sich in diese Geräuschmassen mit hühnerartigen Nachsetzbewegungen ein, bilden erst eine Art skulpturale Molekularverbindung, später immer mehr einen Schwingungskörper. Es entsteht eine Textur, die sich in ihrer Mischung aus mechanisierten Impulsen und Schnapp-, Quell-, Rückstoß- und Kontraktionsbewegungen perfekt in den organisch-industriellen Soundscape einpasst.

Vielleicht zu perfekt, denn, zusammen mit dem konkreten Titel, stellt sich dadurch auch schnell ein eindimensionales Sehen ein, das sich irgendwo zwischen imaginierter Erdölentstehung und -verarbeitung einklinkt, obwohl nichts von dem konkret gezeigt wird. Was sowieso schwierig wäre angesichts der Millionen von Jahren, die zwischen dem einen und dem anderen liegen. Was man ja eigentlich weiß. Wenn letztlich der Schleier gelüftet wird und die zweite Objektschicht freigelegt, überrascht der Effekt nicht, aber er ist trotzdem gut: eine kultische Symbolansammlung, die auf nichts anderes verweist als auf Öl. Diese Wahrheit ist so plump wie das Leben.

„OILinity“ im HAU 2, Hallesches Ufer 32, Sa., 19 Uhr