Das Feuer ist der Anfang vom Ende

Ausstellung Mörsersplitter, Papier und Tusche. Die Marshallinseln, Schauplatz von Atomtests und vom Klimawandel bedroht, inspirieren die junge chinesische Künstlerin Yi Dai

Yi Dai, Installationsansicht im House of Egorn Foto: House of Egorn

Yi Dai geht eiskalt vor. Yi Dai bringt ihre schwarze Tusche auf dem Papier zum Fließen, indem sie einen Eiswürfel inmitten der Farbe legt, der schmilzt und die Farbe wegspült. Übrig bleibt eine weiße Fläche, die von einem Ring schwarzer Tusche umgeben ist, die nach außen hin verläuft. Die Assoziation mit der Struktur eines Atolls ist aufseiten des Betrachters naheliegend und vonseiten Yi Dais gewollt.

Die 1989 in Changsha, China, geborene Künstlerin beschäftigt sich mit den Marshallinseln im Pazifischen Ozean. Sie bestehen aus zwei fast parallel verlaufenden Atollketten, den Sonnenaufgangsinseln mit 14 Atollen und zwei Inseln im Osten und den Sonnenuntergangsinseln mit 15 Atollen und drei Inseln im Westen. Vor etwas über zehn Jahren verbrachte Yi Dai während ihrer US-amerikanischen Collegezeit dort ein Austauschjahr. In ihrer Ausstellung „Misfits, Offcuts and Castaways“ arbeitet sie diese Erfahrung auf.

Dass diese Inseln nicht nur ihr, sondern auch dem Rest der Welt durchaus präsent sind, liegt zum einen an ihrer Zukunft, zum anderen an ihrer Vergangenheit. Also am schmelzenden Eis in Arktis und Antarktis und am technologischen Feuer der Atomwaffen. Denn bis in die 1960er Jahre führten die USA auf dem Bikini-Atoll und Eniwetok Wasserstoffbombentests durch.

Das berühmte Aufblühen des Atompilzes ist in den Loop einer der drei Videoinstallationen hineingeschnitten. Auffälliger sind freilich die Überreste der Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg, deren Splitter zusammen mit zerschossenen Panzern und anderem Kriegsmüll noch immer an den Stränden der Inseln zu finden sind. Yi Dai hat einige Endstücke von Mörsergranaten mitgenommen und hängt sie als eine Art Vorhang zwischen den Eingangsbereich und den Galerieraum des House of Egorn am Schöneberger Ufer, in dem sie ausstellt. Eine Seite der verrosteten, propellerartig geformten Endstücke hat sie durch Farbauftrag in zartem Hellblau, Beige oder Rosa verschönert.

Neben den vom Eis zum Atoll geformten Tuschezeichnungen, die als Kacheln einer Wandarbeit die gesamten Atollgruppen wiedergeben, weswegen auch Längen- und Breitengrade angebracht sind, fallen vor allem die 63 kleinen Holztafeln auf, die auf Augenhöhe den ganzen Raum umlaufend angebracht sind, und die drei großen Paneele, die aus rund dreitausend nicht ganz streichholzschachtelgroßen Blättchen aus Japanpapier zusammenmontiert sind, die Yi Dai in farbige Tinte getaucht hat. Zwischen den abstrakten Tuschverläufen sind immer wieder in gleicher Größe Landschaftsfotografien von den Marshallinseln zu entdecken. Am Boden liegen als Haufen weitere siebentausend Blättchen.

Man darf sich vorstellen, sie repräsentieren den immer weiter ansteigenden Wasserspiegel, in dem die Landschaft der Vulkaninselgruppe in absehbarer Zeit untergehen wird, so wie jetzt nur ihr fotografisches Bild in der Fülle der Tuschblätter. Welche Erinnerungen werden bleiben? An welche Erinnerungsstücke werden sich die Menschen festhalten?

Yi Dai hat in ihre kleinen Holztafeln mit einem glühenden Metallstab die Höhenlinien jeder einzelnen Inseln eingraviert und erinnert damit an das Feuer, das der Anfang vom Untergang war. Denn es sind unsere weltweiten Feuer (ob von Öl, Kohle oder Gas gespeist), womit wir die Klimakatastrophe verursachen.

Die Schau von Yi Dai, die zuletzt das Mona Hatoum Stipendium für die Londoner Kunstakademie Central Saint Martins erhielt, ist eine Entdeckung aus dem Off des Gallery Weekends. Mit einer reduzierten Ästhetik bei hohem arbeitstechnischen Aufwand gelingt es ihr, die Politik und die Themen unserer Zeit wie Kolonialismus, Krieg oder Klimawandel intelligent, weil ohne exotischen Schlenker, im Raum der Kunst zu verhandeln. Brigitte Werneburg

Bis 16. Juli, House of Egorn, Schöneberger Ufer 51, Mi.–Sa. 11–18 Uhr