Energieexpertin zu Kohleausstieg: Kohlebagger gegen Windrad

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke fordert eine Obergrenze für Ökostrom. Die Energieexpertin Claudia Kemfert kontert.

Windräder neben Braunkohle-Tagebau

Kohlebagger gegen Windräder: Wer darf hier seinen Strom ins Netz geben? Foto: dpa

taz: Frau Kemfert, Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat eine Obergrenzen für erneuerbare Energien gefordert. Der Ökostrom dürfe nicht wegen fehlender Stromnetze „für die Tonne produziert werden“ sagte er am Donnerstag im ZDF. Was sagen Sie dazu?

Claudia Kemfert: Die Stromnetze sind oftmals überlastet, weil zu viel Kohlestrom im Netz ist. Kohlekraftwerke werden nicht in ausreichendem Maße heruntergefahren. Wir haben einen hohen Stromangebotsüberschuss. Statt erneuerbare Energien herunterzufahren sollten zu allererst alte und ineffiziente Kohlekraftwerke abgeschaltet werden.

Die Erforschung der Speichertechnologien sollte mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, fordert der Ministerpräsident weiter. Eine richtige Schlussfolgerung?

Wir werden mittelfristig mehr Speicher benötigen, daher ist es nicht falsch, diese heute zu erforschen. Einige sind auch schon marktreif. Im Markt behaupten werden sie sich aber erst, wenn der große Stromangebotsüberschuss durch Kohlekraftwerke vermindert wird und erneuerbare Energien zunehmen.

Jahrgang 1968, ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin.

Im Lausitzer Braunkohlerevier wird an diesem Pfingswochenende protestiert. Hunderte Braunkohlegegner haben am Freitagmittag den Tagebau Welzow-Süd des Energiekonzerns Vattenfall in der Lausitz besetzt. Das bestätigten sowohl der Konzern als auch die Polizei. Mehr als 2.000 Menschen werden für die Demonstration am Samstag erwartet. Unter dem Motto „Kohle stoppen – Klima schützen“ ruft das Bündnis "Ende Gelände" zu einer Aktion zivilen Ungehorsams auf. Der Protest soll das Wochenende über im Lausitzer Braunkohlerevier andauern. (dpa)

Welche weiteren Aufgaben ergeben sich aus einem gewünschten wachsenden Anteil an erneuerbaren Energien?

Das deutsche Stromsystem wird komplett transformiert. Wir kommen von einem konventionellen Stromsystem mit Kern- und Kohlekraftwerken. 45 Prozent des Stroms werden noch heute aus Kohle gewonnen. Wir haben einen Strom-Angebotsüberschuss und verkaufen diesen in unsere Nachbarländer. Der Strompreis an der Börse ist so niedrig wie nie. Wenn wir die ineffizienten Kohlekraftwerke abschalten, wird das vorherrschende Überangebot sich vermindern, somit auch die Stromnetze weniger belastet. Die erneuerbaren Energien müssen auch hier als Sündenbock herhalten, um einen überdimensionierten Stromnetzausbau zu rechtfertigen. Dabei wären dezentrale, intelligente Netze samt Lastmanagement und mittelfristig mehr Speicher viel wichtiger.

Die Braunkohle-Verstromung soll für eine zuverlässige Versorgung fortgeführt werden, so der Ministerpräsident. In Brandenburg liegt Deutschlands zweitgrößtes Braunkohlerevier. Wie bewerten Sie die Energiepolitik der rot-roten Landesregierung in Bezug auf den Kohleausstieg?

Es ist wichtig, den Kohleausstieg heute einzuleiten und diesen strukturiert zu begleiten. Kohlekraftwerke passen nicht in eine nachhaltige Energiewende, sie sind zu unflexibel in der Kombination mit volatilen erneuerbaren Energien und produzieren zu große Mengen Treibhausgase. Es wäre wünschenswert, dass die Landesregierung einen Kohleausstiegsplan erarbeitet und zusammen mit den Gewerkschaften und Unternehmen den Strukturwandel hin zu mehr Beschäftigte innerhalb der Energiewende erarbeitet. Statt krampfhaft die Vergangenheit zu konservieren sollte in die Zukunft geschaut werden und die wirtschaftlichen Chancen des Strukturwandels umgesetzt werden.

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