Aufruf gegen Kinderarmut: Bündnis fordert Grundsicherung

Insbesondere Alleinerziehende leiden: Die Linken, Wohlfahrtsverbände und Wissenschaftler fordern Maßnahmen gegen Kinderarmut.

Ein Kind mit langen Haaren sitzt auf einem Zaun vor einem Plattenbau

Kinder von Hartz-IV-EmpfängerInnen leiden oftmals unter bescheidenen Perspektiven Foto: dpa

BERLIN taz | Jedes siebte Kind in Deutschland lebt am Rande des Existenzminimums. In Bremen und Berlin sind sogar ein Drittel der Heranwachsenden von Armut bedroht. Das geht aus Daten der Bundesagentur für Arbeit hervor, die Sabine Zimmermann analysierte, Bundestagsabgeordnete der Linken für Arbeitsmarktpolitik.

Deutschlandweit gab es im Dezember 2015 insgesamt 1,54 Millionen unter 15-Jährige, die von Hartz-IV-Leistungen abhängig waren. Damit stieg die Anzahl von Armut bedrohter Kinder um 30.000 gegenüber dem Vorjahr. Gleichzeitig verkündete die Arbeitsagentur vergangenen Dienstag, dass die Zahl der Arbeitslosen im letzten Jahr um 98.000 gesunken ist. Wie kann das sein?

Insbesondere alleinerziehende Mütter leiden unter Armut. Das Jobcenter verrechnet etwa Kindergeld mit dem Grundbedarf. Linken-Chefin Katja Kipping forderte deswegen eine „Grundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen“.

Über 20 Wohlfahrtsverbänden, Vertreter der Wissenschaft und der Kirchen sehen das ähnlich. Anlässlich des Kindertags am Mittwoch forderten auch sie in einem gemeinsamen Aufruf die Einführung einer „einheitlichen und eigenständigen Geldleistung für Jugendliche und Kinder“.

Alleinerziehende haben ein Armutsrisiko von 42 Prozent

Das Bündnis weist in dem Aufruf auf die Ungerechtigkeit hin, dass BezieherInnen „höherer Einkommen für ihre Kinder mit ihrem Kindersteuerfreibetrag eine höhere Unterstützung erhalten als solche normaler und niedriger Einkommen.“

Laut dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter beziehen 39 Prozent der alleinstehenden Eltern Hartz IV, und die Hälfte aller Kinder mit Jobcenter-Leistungen leben bei Single-Eltern. Auch der Armutsbericht 2016 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes sagt für Alleinerziehende ein Armutsrisiko von 42 Prozent voraus: „Die Armutsquote der Alleinerziehenden steigt, obwohl ihre Erwerbstätigenquote seit Jahren zunimmt.“

In Berlin und Bremen lebt jedes dritte Kind am Rande des ­Existenzminimums

Die „Tafel“ ist ebenfalls Unterzeichnerin des Aufrufs. Ihre EhrenamtlerInnen verteilen Essen an Menschen, die trotz vermeintlicher Existenzsicherung nur dank Essensspenden über die Runden kommen. Tafel-Vorsitzender Jochen Brühl sagt: „Kinderarmut ist seit rund zehn Jahren konstant auf sehr hohem Niveau. 24 Prozent unserer Tafel-Gäste sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Das sind aktuell mehr als 350.000 junge Menschen.“

Nahles will Geld für Alleinerziehende kürzen

Wie die geforderte Grundsicherung konkret aussehen soll? Das Bündnis will, dass der Staat alle kindbezogenen Geldleistungen oder steuerlichen Vergünstigungen in einer einheitlichen und ausreichenden Zahlung bündeln solle. Dadurch vereinfache sich das bürokratische Nebeneinander verschiedener Systeme und befreie „viele Jugendliche aus dem stigmatisierenden Bezug der Grundsicherungsleistungen“.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Andrea Nahles schlug kürzlich genau das Gegenteil vor. Nahles will Alleinerziehenden tageweise das Sozialgeld kürzen: an den Tagen, an dem das Kind bei ExpartnerInnen ist. Laut dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter würden darunter vor allem Kinder leiden: Alleinerziehende müssten sich fragen, ob sie es sich leisten können, das Kind zum Expartner zu geben.

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