Hieronymus-Bosch-Ausstellung in Madrid: Antanzen, damals wie heute

Der Prado zeigt zum 500. Todestag Hieronymus Boschs eine Werkschau. Einige der Bilder stammen womöglich nicht vom Meister – egal.

Bosch-Gemälde mit verschiedenen Szenen um einen Heuwagen

Nonnen und Händler, Diebe und Liebende, eine sinnenfreudige mittelalterliche Gesellschaft: „Der Heuwagen“ (Ausschnitt) Foto: Museo Nacional del Prado

„Er muss ein glücklicher Mensch gewesen sein“, behauptet die Kollegin aus Frankfurt beim Betrachten des „Heuwagens“ von Hieronymus Bosch im Prado. „Er hat die Sau rausgelassen und daran auch noch sehr gut verdient.“ Der Maler aus dem holländischen ’s-Hertogenbosch war schon zu seiner Zeit ein Star, gefragt bei Kirchenvätern und Hochadel. Er starb 1516.

Das Triptychon „Der Heuwagen“ ist typisch für Boschs Stil: Es zeigt auf der linken Tafel das reine Paradies in hellen Farben, schlanke, fast seelenhafte Menschen, einen gütigen Gott und weiße Engel. Die mittlere Tafel berichtet vom Alltagsleben des mittelalterlichen Personals: Könige und Pfaffen, Nonnen und Händler, Bettler, Diebe, Liebende, Zahnzieher, Lautenspieler. Sie scharen sich alle um den Heuwagen.

Das Heu als vermeintliches Gold, dem alle nachlaufen. Keiner nimmt wahr, dass der Zug von einem Streitwagen geradewegs in Richtung Hölle geführt wird. Dort, auf der rechten Bildtafel, warten schon die Monster: Groteske Tiergestalten fallen die Menschen an, Teufel mit Schwänzen zimmern am Höllenofen, im Hintergrund rote Feuersbrunst, Krieg und Zerstörung.

In Madrid ist am Dienstag die große Hieronymus-Bosch-Ausstellung zum 500. Todestag des Malers eröffnet worden. Ein Ereignis, für das die Öffnungszeiten des Prados verlängert wurden. „Es ist die größte und umfangreichste Ausstellung, die es jemals über Bosch gegeben hat und höchstwahrscheinlich geben wird“, versicherte der Vorsitzende des Prado-Kuratoriums, José Pedro Pérez-Llorca.

Drei Viertel des Werkes

17 Gemälde und 19 Zeichnungen wurden bereits kurz zuvor in Boschs Heimatstadt, dem holländischen ’s-Hertogenbosch, gezeigt. Von den rund 60 ausgestellten Werken im Prado stammen 40 Gemälde, Altarbilder und Zeichnungen vom flämischen Meister selber. Auch wenn seine Urheberschaft bei drei Werken nach aktuellen Untersuchungen des „Bosch Research und Conservation Project“ angezweifelt werden.

Bei den übrigen Werken handelt es sich um Arbeiten aus seiner Werkstatt und anderer bekannter Künstler seiner Zeit wie Alart du Hameel oder Adriaen van Wesel. Die Visionen Boschs werden so in einen historischen Kontext gestellt. „Wir zeigen 75 Prozent von Boschs gesamter Produktion. Das gab es noch nie“, sagt Kuratorin Pilar Silva.

In der Hölle wird bei Bosch weitergezecht und -gevögelt, auch wenn die Folter droht

Kein anderes Museum verfügt über so viele Bosch-Werke wie der Prado. Mit sechs Gemälden besitzt er die weltweit größte Sammlung seiner Werke, unter anderem „Die Anbetung der Könige“, „Die Sieben Todsünden“, „Der Garten der Lüste“ – das wichtigste Triptychon des Künstlers.

Hinzu kommen zahlreiche Leihgaben, die nicht in Holland zu sehen waren. Das Lissabonner Museu Nacional de Arte Antiga stellt dem Prado „Die Versuchung des Heiligen Antonius“ zur Verfügung, die Londoner National Gallery „Die Dornenkrönung Christi“. Auch der Pariser Louvre, das MOMA und die National Gallery of Art in Washington und das kunsthistorische Museum Wien schickten Werke nach Madrid.

Dass „Die sieben Todsünden“ und „Die Versuchung des heiligen Antonius“ nicht vom Meister selbst stammen sollen, überzeugt den Prado nicht. Das Bosch Research und Conservation Project hatte in jahrelanger Arbeit neun Hauptwerke Boschs restauriert, 24 Gemälde und 20 Zeichnungen Bosch zugeschrieben, andere, darunter zwei Prado-Bilder, abgewertet. Prado-Kuratorin Pilar Silva hält eigene wissenschaftliche Untersuchungen, vor allem mittels X-Radiografie dagegen. Klar ist: Der Prado ist höchst verärgert über die Untersuchungsergebnisse.

Bis 11. September, Museo del Prado, Madrid, Katalog (Belser) 24,99 Euro

Kein Wunder, ist Bosch doch auch im normalen Museumsbetrieb der Popstar unter den alten Meistern. Himmel und Hölle, dazwischen der ganz normale, alltägliche Wahnsinn. Das hat Hieronymus Bosch nicht nur im Triptychon „Der Heuwagen“ detailliert gemalt. „Vom Paradies in die Hölle“ heißt Sektion vier der Ausstellung. Dort wird neben dem „Heuwagen“ und dem „Narrenschiff“ auch „Der Garten der Lüste“ gezeigt.

Pure Schaulust. Nicht nur heute, wo stets eine Menschentraube das Gemälde verstellt, sondern sicher auch für Boschs Zeitgenossen, deren Realität nicht von laufenden Bildern überschwemmt war. Erdbeeren, Brombeeren, Trauben, saftig und überreif. Verführung, Leidenschaft, Sodomie, Homosexualität, Onanie. Menschen, die sich in allen möglichen Konstellationen und Orten lieben. Selbstvergessen, unschuldig.

Spiel mit der Angstlust

All das kippt auf der dritten Tafel des Triptychons in Exzesse der Trunksucht, Völlerei und Geilheit. Bedroht von einem Gruselszenario aus Monsterleibern mit Tierköpfen, Teufeln, merkwürdigen Drachen, Rüsselwesen, Insekten, Kröten. Sie finden bis heute Anklang im Unbewussten. Warum sonst wäre „Der Garten der Lüste“ beliebtes, immer wieder zitiertes Werbemotiv.

Hell und heiter, dunkel und bedrohlich. Unschuldig und verloren. Alles liegt offen. Man kann Boschs Himmel-und-Hölle-Bilder christlich naiv als Verdammung der Lüste deuten oder von der Widersprüchlichkeit des Lebens, seiner permanenten Bedrohung und den existenziellen Ängsten, wie Bosch sie malt, fasziniert sein.

Bosch spielt mit der Angstlust. Aber vor allem hat er mit seinen höllischen Horrorszenarien die Monster christlicher Moral und Glaubensvorstellung geoutet. Mit so großer Fantasie, dass man darüber lachen kann. Ein Wunder, dass er der Inquisition, die damals in Europa, vor allem in Spanien tobte, entging. Vielleicht weil Spaniens König Philipp II. zu den größten Bewunderern von El Bosco gehörte. Und weil der Maler das Getriebensein von Leidenschaften zwar zeigt, aber die nackten Entgleisung doch dorthin verbannt, wo sie die christliche Glaubenswelt verortet: in die Hölle. Selbst dort aber wird bei Bosch weitergezecht und -gevögelt, auch wenn die Folter droht.

So bestätigte Bosch zwar das enge christliche Weltbild seiner Zeit, untergrub es aber zugleich mit seinen kreativen Irritationen. Symbolisten, Surrealisten, Dadaisten liebten ihn. Die Klassiker und Romantiker hingegen konnten weder mit seiner Widersprüchlichkeit noch mit seiner Direktheit etwas anfangen.

Bosch als Marke

Über das Leben des Malers ist wenig bekannt: Jeroen Anthoniszoon van Aken wurde um 1450 geboren, wuchs in Den Bosch am Tuchmarkt auf und arbeitete in der Malerwerkstatt seiner Familie. Den Namen seiner Heimatstadt machte er zu seinem Künstlernamen. 1481 heiratete er die reiche Aleyt van den Meervenne. Bosch war ein Handwerker, der sein Können weitergab. Die Ausstellung im Prado zeigt auch Werke seiner Schüler und Nachahmer, die der Marke Bosch treu blieben. Auf dem Bild „Der Gaukler“ ist ein Hütchenspieler zu sehen, der das Publikum in Bann zieht, währenddessen ein Betrüger von hinten nach dem Geldsack eines Zuschauers greift. Antanzen und austricksen, im Mittelalter wie heute.

Neben detaillierten Alltagsstudien, gut zu sehen auf der Zeichnung „Der Bettler“, hat Bosch vor allem biblische Szenen und den Leidensweg Christi im Auftrag von Klöstern und Kirchen gemalt. Charakteristisch auch dort die ausdrucksstarken Gesichter etwa der Gaffer bei „Ecce Homo.“

Schließt man das Triptychon „Der Heuwagen“, ist ein Hausierer abgebildet. Ein einsamer Pilger mit löchrigem Strumpf, all sein Hab und Gut auf dem Rücken. Er zieht vorbei an den Schrecken der Welt mit ihren Dieben, Verführern und Galgen. Eingeschüchtert, ängstlich.

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