Kommentar Lage in Venezuela: Schwarzhandel als sozialer Kitt

Die Medien suggerieren, dass die Proteste in Venezuela bald ausufern werden. Aber die Regierug hat die Lage im Griff – und das hat Gründe.

eine Frau von Polizisten umringt

Das Betreten des Nationalen Wahlrates CNE ist offenbar untersagt Foto: ap

Venezuela gleicht einem Pulverfass, das stündlich zu explodieren droht. Angesichts der dramatischen Wirtschafts- und Versorgungslage wird seit Wochen in Meldungen und Medien dieses Bild verbreitet. Dennoch blieb es bisher erstaunlich ruhig. Auch bei den Demonstrationen am Mittwoch blieb der schon allseits erwartete Knall erneut aus, abgesehen von einigen Tränengasgranaten und Festnahmen. Doch wie lange noch?

Abermals zeigte sich, dass die Opposition nicht die kritische Masse auf der Straße erreicht, mit der sie die Regierung in Bedrängnis bringen kann. Und die Regierung bewies einmal mehr, dass sie die Lage auf der Straße im Griff hat. Beide Seiten sind sich ihrer Situation bewusst. Deshalb setzt die Opposition so vehement auf das in der Verfassung verankerte Abwahlreferendum, mit dem sie Präsident Nicolás Maduro noch in diesem Jahr aus dem Amt holen und Neuwahlen erreichen will.

Maduro muss dieses Referendum tatsächlich fürchten. Würde am kommenden Sonntag abgestimmt, wäre er allen Umfragen zufolge am Montag seinen Job los. Deshalb unternimmt die Regierung alles, um die Durchführung so lange wie möglich hinauszuzögern. Schafft sie dies bis Januar 2017, müsste Maduro bei einer Niederlage zwar gehen. Neuwahlen wären dann aber nicht fällig, der Vize übernähme für die Restlaufzeit der Amtsperiode.

Doch der Machterhalt wird für die Regierung immer schwieriger. Dass die Misere des Landes durch einen „Wirtschaftskrieg der Bourgeoisie“ verursacht sei, glauben immer weniger. Und die tausendste Ankündigung, jetzt aber wirklich gegen Schwarzhandel und Schmuggel von staatlich subventionierten Waren vorzugehen, entlarvt die alltägliche Erfahrung als reines Blabla. Zumal Maduro auch gar nicht konsequent gegen den Schwarzhandel und den Schmuggel vorgehen kann.

Von den 15 Millionen erwerbsfähigen VenezolanerInnen betätigen sich rund drei Millionen als Teil- oder VollzeitschwarzhändlerInnen und -schmugglerInnen. Viele verdienen sich dabei ein weitaus höheres Einkommen, als sie in einem geregelten Arbeitsverhältnis erreichen könnten. Sollte die Regierung diesen Menschen tatsächlich ihre Einkommensgrundlage entziehen oder die Versorgungskrise auch diesen Sektor erfassen, wäre die kritische Masse auf der Straße erreicht. Solange dies nicht geschieht, bleibt Venezuela die soziale Explosion erspart.

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Kommt aus Karlsruhe. Studierte Politische Wissenschaft in Hamburg und Berlin und arbeitete zwölf Jahre als Redakteur und Geschäftsführer der Lateinamerika Nachrichten in Berlin. Seit 2005 lebt er in Buenos Aires. Er ist Autor des Reisehandbuchs “Argentinien”, 2024, Reise Know-How Verlag.

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