Vorschläge zur Gauck-Nachfolge: Eine Chance, vier kluge Köpfe

Das Staatsoberhaupt könnte wieder RepräsentantIn des progressiven Teils der Bevölkerung sein.

Eine Fahne vor blauem Himmel

Für wen weht bald diese Fahne auf Schloss Bellevue? Foto: dpa

Es ist mehr als eine charmante Idee: ein Bundespräsident oder eine Bundespräsidentin, der oder die aufrecht und integer für ein weltoffenes, friedliches und soziales Deutschland eintritt. Die Mehrheit der Bundesversammlung hat die Chance, ein Zeichen zu setzen: gegen Hass und Intoleranz, gegen Nationalismus und Rassismus, ­gegen soziale Kälte. Sie muss sie nur nutzen.

Was spricht dagegen, mehr als vier Jahrzehnte nach dem Abtritt des Bürgeranwalts Gustav Heinemann endlich wieder ein Staatsoberhaupt zu wählen, das unabhängig vom Parteibuch und über Parteigrenzen hinweg als RepräsentantIn des progressiven Teils der bundesdeutschen Bevölkerung wahrgenommen wird? Die Mehrheitsverhältnisse sind es jedenfalls nicht.

Falls ein Kandidat oder eine Kandidatin die Unterstützung von SPD, Grünen und Linkspartei erhalten würde, dürfte er oder sie spätestens im dritten Wahlgang mit relativer Mehrheit gewählt sein. Gemeinsam mit Piraten und Südschleswigschem Wählerverband reichte es für den „progressiven Block“ sogar zur absoluten Mehrheit.

Die absehbaren Verschiebungen nach den Landtagswahlen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern werden an dieser Grundkonstellation nichts ändern. Es hängt alleine vom politischen Willen ab. (Pascal Beucker)

Susanne Baer: Verfassungsrichterin kann Recht und Reden

Susanne Baer Foto: imago/Stockhoff

VerfassungsrichterInnen können alles, vor allem können sie BundespräsidentIn. Roman Herzog hat das in den 90ern bewiesen. Jutta Limbach und Andreas Voßkuhle waren auch schon im Gespräch. Susanne Baer ist seit 2011 Verfassungsrichterin. Vorgeschlagen wurde sie damals von SPD und Grünen.

Als Bundespräsidentin wäre Baer nicht nur die erste Frau, sondern auch die erste offen homosexuelle Amtsinhaberin. Sie ist verpartnert, es gäbe also weiterhin eine First Lady. Ende 2014 entdeckte Baer im Grundgesetz eine Pflicht zum Ausgleich von Ungleichheit. Als Bundespräsidentin könnte sie die Vermögensteuer fordern. Sie ist in der Lage, zu allem kluge Reden zu halten. Schließlich ist sie Rechtsprofessorin, Rechtssoziologin und Rechtsfeministin. (Christian Rath)

Friedrich Schorlemmer: Sozialdemokrat kann Bürgerrechte

Friedrich Schorlemmer Foto: imago/Viadata

Sicher, es spricht einiges gegen Friedrich Schorlemmer. Er ist keine Frau. Und muss es denn schon wieder ein Theologe sein? Ansonsten jedoch wäre der 72-jährige Sozialdemokrat geradezu prädestiniert, zur Bundespräsidentenwahl anzutreten. Nicht nur, dass er als klug und integer gilt: vor allem dürfte er mit seiner ausgleichenden Art wohl der einzige waschechte DDR-Bürgerrechtler sein, an dem sogar die Linkspartei Gefallen findet. Erst im vergangenen Jahr veröffentlichte der Friedenspfarrer ein Buch gemeinsam mit Gregor Gysi.

Dass Schorlemmer zudem ein guter Redner ist, bewies er zuletzt als Trauerredner beim Staatsakt zu Ehren von Hans-Dietrich Genscher. Der Vorsitzende des Willy-Brandt-Kreises wäre also ein optimaler SPD-Kandidat. (Pascal Beucker)

Navid Kermani: Schriftsteller kann Kultur, Politik, Islam

Navid Kermani Foto: imago/epd

Pathos kann er: das hat er mit seinen Reden zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (2015) und zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes (2014) im Deutschen Bundestag gezeigt. Mit seinen Ausführungen über die sprachliche Schönheit der deutschen Verfassung rührte er sogar manche Abgeordnete zu Tränen.

Mehrmals mahnte er eine andere Flüchtlingspolitik an, die den viel beschworenen Werten Europas gerecht wird. Der Kölner Intellektuelle bewegt sich elegant „zwischen Kafka und Koran“, zwischen Politik und Kultur und spricht auch ein bürgerlich-konservatives Publikum an. Und natürlich wäre allein schon seine Nominierung Signal dafür, dass der Islam inzwischen selbstverständlich zu Deutschland gehört. (Daniel Bax)

Antje Vollmer: Grüne kann Kirche, Politik, Medien

Antje Vollmer Foto: imago/Müller-Stauffenberg

Antje Vollmer, 73, bringt mit, was im Präsidialamt biografisch gern gesehen ist: Kirche, Politik, Medien. Die evangelische Pastorin war von 1994 bis 2005 Vizepräsidentin des Bundestags. Seit ihrem Ausscheiden aus der Politik arbeitet die Grüne als freie Autorin von Büchern zu Zeitgeschichte und Humanismus.

Hinzu kommt eine pazifistische Grundhaltung, deren Fundamentalität allerdings nicht in jedem Fall gut ankommt. So war ihr einstiger Vorschlag, mit der RAF zu sprechen, um den Terror zu beenden, heftig umstritten. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 lehnte sie alle militärischen Lösungen gegen Terrorismus ab. Kritisch wurde in der Ukrainekrise ihr Zuspruch für den russischen Präsidenten Putin gesehen. (Simone Schmollack)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.