Tür an Tür leben mit Alice Schmidt

Notizbuch Der Frau von Arno Schmidt widmet der „Bargfelder Bote“ seine 400. Ausgabe

Alice Schmidt auf der Goethepreisverleihung Foto: Rehm/picture alliance

Wenn das schiefgegangen wäre! Was da losgewesen wäre zu Hause in Bargfeld! Nicht auszudenken.

Als dem Schriftsteller Arno Schmidt, der damals viele Gegner und viele enthusiastische Verehrer hatte, 1973 der Goethepreis verliehen werden sollte, konnte er nicht selbst zum Festakt fahren. Herzprobleme. An seiner Stelle fuhr Alice Schmidt, seine Ehefrau und, wie die Autorin Susanne Fischer jetzt schreibt, „Erstleserin, Übersetzungshelferin, Chronistin, Assistentin in Verlagsgeschäften, Sekretärin und letztlich auch […] Hausfrau.“ Sie fuhr nach Frankfurt, um Arno Schmidts Dankrede vorzutragen.

Wie aufgeregt Alice Schmidt war, kann man in der 400. Jubiläumsausgabe der dem Werk dieses Klassikers gewidmeten Zeitschrift Bargfelder Bote entnehmen. Susanne Fischers Aufsatz „Genie-Assistenz. Einiges über Alice Schmidt und ihre Arbeit“ wird abgeschlossen von dem ellenlangen, jede einzelne Sekunde dieses Auftritts auskostenden Tagebucheintrag, den Alice Schmidt in einem eigenen Heft angelegt hat: „[…] und nun der schwere Anfang, das erste Wort richtig sprechen, nicht zu laut, nicht zu piepsig, nicht als Fehllaut. […] Es gelang!“ Und als es getan war: „Da rauschte ein Klatschbeifall auf. Da neigte ich dankend mein Haupt zum Publikum, nach vorn, nach rechts nach links. Rückwärtsschritt vom kleinen Tritt herunter (am Anfang doch, als ich noch rechten Fuß ein wenig nach hinten setzten wollte merkte ich plötzlich eine Leere und wäre um ein Haar nach rückwärts gefallen. Oh Gott, das hätte was gegeben. Es hat wohl aber keiner auch nur eine Stockung in meinem Vortrag gemerkt.“ Die schließende Klammer fehlt übrigens genauso in dem Tagebuch wie so manches Komma.

Am 23. Juni dieses Jahres wäre Alice Schmidt hundert Jahre alt geworden. Es ist nicht nur literarisch, sondern auch geschlech­terhistorisch und paartheoretisch interessant, sich mit ihr zu beschäftigen. Das zeigt diese Ausgabe. Solche weiblichen Lebensläufe an der Seite so eines bedeutenden, schwierigen und schweigsamen Genie-Schriftstellers gibt es heute nicht mehr, zum Glück. Aber das enthebt einen ja nicht der Aufgabe, einmal genau nachzuschauen, wie sie funktionierten. Außerdem konnte Alice Schmidt sehr plastisch Tagebuch schreiben. drk

„Bargfelder Bote“,400. Aus­gabe. 6 Euro. Hrsg. von Friedhelm Rathjen, rejoyce@gmx.de