Verfassungsrechtler über die AfD: „Unvereinbar mit dem Grundgesetz“

Die AfD verstößt in ihrem Grundsatzprogramm gegen die Menschenwürde, sagt Jurist Joachim Wieland. Dabei arbeite die Partei absichtlich mit unklaren Begriffen.

Frauke Petry und Jörg Meuthen, Sprecher des Bundesvorstands der AfD, und ihr Stellvertreter Alexander Gauland bei einer Pressekonferenz auf der Dachterrasse der AfD-Parteizentrale in Berlin

Was? Nein, nein, das war gar nicht so gemeint Foto: dpa

taz: Herr Wieland, einen Monat nach dem Parteitag in Stuttgart hat die AfD kürzlich ihr Grundsatzprogramm veröffentlicht. Sie haben im Vorfeld geäußert, in den verschiedenen Entwürfen seien Zielsetzungen enthalten, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Gilt das auch für das beschlossene Programm?

Joachim Wieland: Ja, das ist weiter der Fall, auch wenn sich die AfD an vielen kritischen Stellen um vorsichtigere Formulierungen bemüht hat, damit ihr ein Hintertürchen bleibt.

Was ist aus Ihrer Sicht der deutlichste Verstoß?

Aus juristischer Sicht muss man unterscheiden, was die AfD als Forderung zur Änderung der Verfassung fordern und auch umsetzen könnte, wenn sie im Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit hinter sich bringen würde, und was gegen den Menschenrechtskern des Grundgesetzes verstößt, der änderungsfest ist. Da sehe ich vor allen Dingen die Diskriminierung des Islams als Religion und die Religionsausübung. Wenn man sich Ersteres anschaut, also das, was nach dem jetzt geltenden Grundgesetz nicht mit dem Programm vereinbar ist, findet man natürlich mehr. Das ist aber ein schwieriger Maßstab, auch andere Parteien setzen sich für Verfassungsänderungen ein.

Die AfD bekennt sich in ihrem Programm „uneingeschränkt zur Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit“ und fordert dann, der Religionsausübung seien durch „unsere Werte“ Schranken zu setzen.

Das ist ein Widerspruch in sich. Man versucht, sich durch die Formulierung „wir akzeptieren die Religionsfreiheit“ abzusichern, in den Einzelheiten aber macht man genau das nicht. Die Religionsfreiheit ist im Grundgesetz uneingeschränkt gewährleistet, auch die Freiheit, diese Religion auszuüben. Dazu gehören auch die Freiheit, religiöse Gebäude zu bauen, und der Muezzinruf – solange die allgemeinen Gesetze eingehalten werden. Das Baurecht gilt für Minarette und Kirchtürme, das Emissionsschutzgesetz für den Muezzinruf und die Kirchenglocken gleichermaßen. Die Religionsfreiheit hängt nicht davon ab, dass man eine Überzeugung hat, die den Werten der AfD entspricht. Das ist eindeutig unvereinbar mit dem Grundgesetz.

Nun ist die Formulierung ja: Die AfD lehnt das Minarett und den Muezzinruf ab. Ist eine Ablehnung schon verfassungsfeindlich?

Wenn es im Grundsatzprogramm steht, ist es wohl das politische Ziel der AfD. Und dieses Ziel ist nicht mit der Verfassung vereinbar.

Gilt das auch für den Passus, dass die AfD verfassungsfeindlichen Vereinen den Bau und Betrieb von Moscheen untersagen will?

Ja, auch das ist von der Religionsausübungsfreiheit geschützt. Natürlich kann der Staat eingreifen, wenn unter dem Deckmantel der Religion Straftaten begangen werden. Aber diesseits der Grenze von Straftaten muss er die Religionsausübungsfreiheit akzeptieren und darf die Inhalte nicht bewerten. Das genau ist ja die Errungenschaft der Religionsfreiheit. Der Wert der Grundrechte zeigt sich gerade bei solchen Minderheiten, deren Auffassung nicht mit der Mehrheit übereinstimmt.

Beim Kopftuchverbot geht die AfD sehr weit. Sie will nicht nur Lehrerinnen das Tragen untersagen, sondern auch Schülerinnen.

Auch das scheint mir nicht mit der Religionsausübungsfreiheit vereinbar zu sein, Schülerinnen fallen schließlich unter die Schulpflicht.

Das Schächten, das rituelle Schlachten von Tieren durch Ausblutenlassen, will die AfD nun grundsätzlich verbieten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht fällt Schächten auch unter die Religionsausübungsfreiheit.

Lassen Sie uns über andere Bereiche sprechen. Die AfD will nicht therapierbare alkohol- und drogenabhängige sowie psychisch kranke Täter, von denen erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen, nicht mehr in psychiatrischen Krankenhäusern, sondern in Sicherungsverwahrung unterbringen.

Das verstößt gegen die Menschenwürde und damit gegen die Verfassung. Wenn der Staat jemandem die Freiheit nimmt, dann muss er für eine angemessene Behandlung sorgen. Er kann nicht einfach sagen: Die Krankheit des Betroffenen interessiert mich nicht.

64, Verfassungsrechtler, ist Professor an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer und Mitglied des Verfassungsgerichtshofs in Nordrhein-Westfalen.

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Die AfD will die EU zu einer „Wirtschafts- und Interessengemeinschaft souveräner, lose verbundener Einzelstaaten“ zurückführen. Ist das vereinbar mit dem Grundgesetz?

Das ist nach dem gegenwärtigen Stand des Grundgesetzes auch verfassungswidrig, weil sowohl in der Präambel als auch in Artikel 23 steht, dass Deutschland zur Verwirklichung eines vereinten Europas beitragen wird. Das ließe sich aber mit einer Zweidrittelmehrheit verändern. Das halte ich für zulässig, weil es hier nicht um den Menschenrechtskern geht.

Stichwort Asyl: Die AfD will in den Herkunftsregionen der Flüchtlinge Asylzentren einrichten, Anträge auf Schutz sollen nur noch dort gestellt und entschieden werden dürfen.

Mit dem jetzigen Grundgesetz ist das nicht vereinbar. Jeder, der es bis nach Deutschland schafft, hat einen Anspruch auf die Prüfung seines Asylbegehrens und entsprechenden Rechtsschutz. Das Bundesverfassungsgericht hat aber gesagt, das Grundrecht auf Asyl könnte auch völlig abgeschafft werden. Da gilt also wieder, was wir vorhin zu Europa gesagt haben: Wenn die AfD eine Zweidrittelmehrheit für eine solche Änderung hätte, dann könnte das Grundrecht auf Asyl entsprechend geändert werden.

Die AfD-Spitze betont gerne, das Grundgesetz sei für die Partei die rote Linie, die nicht überschritten werden dürfe. Wie bewerten Sie auf der Grundlage dessen, was wir besprochen haben, die AfD?

Aus meiner Sicht versucht die AfD, die Grenze, die die Verfassung zulässt, bis ins Äußerste auszutesten. Dabei arbeitet sie mit unklaren Begriffen, damit sie, wenn sie zur Rede gestellt wird, sagen kann: So war das gar nicht gemeint. In einigen Punkten sehe ich den Menschenrechtskern des Grundgesetzes verletzt. Das könnte die AfD, selbst wenn sie entsprechende Mehrheiten hätte, nicht umsetzen, ohne dass es zu einer eindeutigen Verfassungsverletzung käme. Man muss also sagen: Die AfD bewegt sich in vielem an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit und in manchem hat sie diese Grenze bereits überschritten.

Müsste das Konsequenzen haben – zum Beispiel mit der Überwachung durch den Verfassungsschutz?

Dabei gibt es einen großen Ermessensspielraum, weil die Beobachtung immer vor dem Hintergrund erfolgt, ob die Partei selber verfassungswidrig ist und deshalb verboten werden muss. Verboten werden kann bei uns eine politische Partei aus guten Gründen nur unter sehr strikten Voraussetzungen: Wenn sie sich aktiv kämpferisch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung wendet. Was das heute konkret bedeutet, werden wir bald erfahren, wenn das Bundesverfassungsgericht sein Urteil im NPD-Verbotsverfahren fällt. Ich würde aber zögern, der AfD das zu attestieren.

Herr Wieland, warum setzen Sie sich so pointiert mit der AfD auseinander?

Ich habe mich mein ganzes Berufsleben mit der Auslegung des Grundgesetzes beschäftigt. Ich finde, das Grundgesetz ist eine große Errungenschaft, die wir nach wechselvoller Geschichte erhalten haben, und ich sehe es als meine Aufgabe an, mich öffentlich zu äußern, wenn ich Grundwerte bedroht sehe.

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