LGBT-Szene in Kuba: Auf High Heels durch den Innenhof

Das Kulturzentrum „El Mejunje“ gehört den Dragqueens von Santa Clara. Es gilt als Motor für die sexuelle Selbstbestimmung der LGBT Kubas.

Eine Dragqueen auf der Bühne

Die Bühne gehört ihnen: Dragqueens im „El Mejunje“ Foto: Knut Henkel

SANTA CLARA taz | An der unverputzten Backsteinwand in der Bar im hinteren Teil des El Mejunje hängen die Porträts der prominenten Dragqueens von Santa Clara. Bunte Perücke, dicker Lidstrich, viel Rouge und ein strahlendes Lächeln sind das Markenzeichen der zehn Damen, unter deren Fotos Román Silverio auf einer Bank sitzt.

Der Direktor des El Mejunje schreibt ein paar Zeilen auf einen Block, er ist dabei, die Show für den morgigen Abend vorzubereiten, und genießt die Ruhe, bevor die Türsteher die ersten Gäste einlassen. Es ist Samstagabend. Wie jede Woche steht Disco auf dem Programm, und da sind die Dragqueens meist mit von der Partie. Samstags trifft sich die schwule und transsexuelle Szene der 350.000-Einwohner-Stadt zu Disco- und Techno-Beats. „Die Dragqueens sind eines unser Aushängeschilder. Doch in erster Linie steht das El Mejunje für Vielfalt und Toleranz“, sagt der studierte Lehrer und Theaterdirektor.

Silverio hatte 1990 die Idee, das etwas andere Kulturzentrum Kubas zu gründen. In Santa Clara gab es damals nichts für die jüngere Generation in der Studentenstadt im Zentrum Kubas. Es fanden sich schnell weitere Fürsprecher für das innovative Projekt. Das Grundstück hatte Ramón Silverio früh im Blick. Die Ruine des alten Hotels, von der wenig mehr als die Grundmauern stehen, befindet sich einen Steinwurf vom Zentrum der Stadt mit dem Parque Vidal entfernt.

„Mit ein bisschen Farbe, etwas Stahl, Holz und viel Eigeninitiative haben wir begonnen“, sagt der 67-Jährige, der selber regelmäßig auf der Bühne des El Mejunje zu sehen ist. Er macht Theater, Comedy mit beißend kritischen Untertönen. Die Silverio-Show hat dafür auch außerhalb Kubas ihre Fans. Corny Littmann, Chef des Hamburger Schmidt-Theaters, gehört zu den Freunden Silverios und hat dem El Mejunje die neuen Toiletten gespendet. Die nagelneue Audioanlage hat ein Elektronikunternehmen aus Frankreich gestiftet.

Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.

Die teilweise verputzen, teilweise rohen Backsteinwände im Innenhof des ehemaligen Hotels sind mit Widmungen, Tags und Sprüchen bedeckt. Graffiti prägen auch die Fassade des in der Calle Marta Abreu gelegenen Zentrums, wo jeden Tag etwas geboten wird. Montags Live-Jazz, dienstags Rock, mittwochs House, donnerstags Balladen der Nueva Trova und am Wochenende Kindertheater, Tanzcafé für die Senioren, Konzerte und später in der Nacht Disco – Tanzvergnügen für alle.

Vorbild für die ganze Insel

Dann stöckeln Dragqueens wie die zurzeit sehr angesagte Zulema Anderson mit bunten Haaren auf High Heels durch den Innenhof. Cowboys posieren mit keckem Hüftschwung, und Muchachas im strengen Abendkleid oder im Minirock geben sich streng und unnahbar. Santa Claras Szene ist bunt und innovativ. Man trägt Kostüme, die man in Havanna lange suchen muss. Und Studenten aus Bolivien, Angola oder Mexiko haben ebenfalls kulturelle Elemente aus ihren Ländern einfließen lassen.

In der Stadt gibt es neben einem deutlich breiteren Warenangebot als an anderen Orten in Kuba ein quirliges Ambiente, besonders an den Wochenenden. Nahe dem El Mejunje, auf dem Parque Vidal, endet hin und wieder auch der Abend von Matías Veitia Cabrisas. Er leitet die Galerie des Kulturzentrums.

„Die Zahl der internationalen Besucher hat zugenommen,“ sagt er,„und das liegt weniger an den Touristen die das Ernesto-Che-Guevara-Mausoleum aufsuchen, sondern am toleranten weltoffenen Klima hier.“ Der 55-Jährige hat einst in Moskau Kunst studiert und ist stolz, dass nicht Havanna, sondern Santa Clara als Hauptstadt des queeren Kuba gilt.

Die Che-Stadt ist längst ein Vorbild für andere in Kuba. Kulturpolitiker wie Präsidentenberater Abel Prieto beziehen sich längst öffentlich positiv auf die Arbeit von Ramón Silverio, ebenso die Präsidententochter Mariela Castro. Sie ist Direktorin des nationalen Instituts für Sexualerziehung (Cenesex). Unter ihrer Schirmherrschaft fand 2010 in Santa Clara Kubas erster landesweiter Dragqueen Contest statt. Seither verloren derartige Events ihr Untergrund­image. Homosexuelles und transsexuelles Leben fand bis in die 1990er vornehmlich im Verborgenen statt.

„Kulturelles Leben gab es bis 1990 kaum“

Erst der mit dem Berliner Bären ausgezeichnete Film „Fresa y Chocolate“ machte Mitte der 1990er Jahre auf die Situation von Homosexuellen, deren Diskriminierung und Stigmatisierung auf Kuba aufmerksam. Seitdem hat sich vieles geändert. „Heute gibt es in Kuba Freiräume, die es früher nicht gab. Ein Club wie El Mejunje ist Motor für die sexuelle Selbstbestimmung – mit Strahlkraft für die ganze Insel“, sagt Uniel Velásquez. Der 27-Jährige ist Türsteher und Aktivist der kubanischen LGBT-Bewegung.

Der populäre Club darf auf dem Tourkalender kubanischer Musiker nicht fehlen, wobei die Teilhabe am kulturellen Leben hier auch erschwinglich ist. „Bei Eintrittspreisen von 2 bis 5 Peso (umgerechnet 5 bis 18 Euro-Cent) kann jede und jeder an Konzerten und Theateraufführungen teilhaben“, so Ramón Silverio. Der 67-Jährige, der mit seinem mobilen Theater seit dreißig Jahren auch in den Dörfern der benachbarten Bergregion Sierra Ecambray unterwegs ist, legt darauf viel Wert. Die Stadt Santa Clara unterstützt das Kulturzentrum, der Rest wird über den Getränkeverkauf eingenommen. Ein kubanischer Nationalcocktail, der „Mojito“, kostet rund 50 kubanische Peso, umgerechnet knapp 2 Euro.

Direktor Silverio würde das Theaterprogramm gerne ausbauen. Doch darüber entscheiden andere, und das kann dauern, sagt der charismatische Mann, der Mitglied der Kommunistischen Partei ist. Rechte Hand von Silverio ist María Jorge, die nicht nur das Programm koordiniert, sondern auch abends an der Kasse sitzt und gemeinsam mit Türsteher Uniel Velásquez Ansprechpartner für fast alles ist.

Auch für das alternative Theaterfestival „Pequeño Formato“, das alljährlich in Santa Clara stattfindet. „Kulturelles Leben gab es bis 1990 kaum mehr. Erst mit dem Mejunje kam der Umbruch“, sagt die quirlige Frau und nimmt am Kassenhäuschen von einem homosexuellen Paar fünf Peso Eintritt für die heutige Disco entgegen. Parallel dazu tönen die ersten fetten Technobeats aus den Lautsprechern.

Ein Zeichen für Ramón Silverio zu gehen. Er hat schließlich morgen seine Show und muss noch mit Dragqueen Zulema Anderson zwei, drei Passagen proben. Dafür haben sie sich außerhalb des El Mejunje verabredet.

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