Klage gegen Syrien-Rückkehrer: Einmal Dschihad und zurück

Weil er Mitglied der IS-Terrorgruppe war, steht der Bremer Syrien-Rückkehrer Harry S. in Hamburg vor Gericht. Er gesteht die Tat, sagt sich aber vom IS los.

Im Propagandavideo der Terrormiliz lief er mit der IS-Fahne durchs Bild: der Bremer Harry S. Screenshot: YouTube

BREMEN TAZ | Bärtige Typen, Sturmgewehre, Pick-up-Trucks: Mittlerweile kennt man die Propagandavideos der Islamisten von der Terrormiliz IS, die immer mal wieder in Ausschnitten in den Nachrichten zu sehen sind. 2015 tauchen in einem dieser Videos zwei Bremer auf. Einer von ihnen ist Harry S.. In Tarnklamotten läuft er mit einer schwarzen IS-Fahne durchs Bild, in der Hand eine Kalaschnikow. Das Video ist auf Deutsch, zwei bekannte Islamisten beschimpfen darin Angela Merkel und drohen mit Anschlägen. Vor laufender Kamera erschießen sie zwei Gefangene.


Harry S. steht nun am heutigen Mittwoch vor Gericht. Verhandelt wird vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg, das aus Effizienzgründen für solche Fälle aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Bremen zuständig ist. Der Generalbundesanwalt wirft dem 27-jährigen S. die „Mitgliedschaft an der ausländischen terroristischen Vereinigung ‚Islamischer Staat Irak und Großsyrien‘ (ISIG)“ vor sowie Verstöße gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Waffengesetz. Darauf stünden bis zu zehn Jahre Haft.

Nur sieben Verhandlungstage plus drei Zusatztermine sind angesetzt, vorsorglich, und bisher nur drei Zeugen geladen: „Mehr Termine, als ich erwartet habe“, sagte Udo Würtz, der Anwalt von Harry S., der taz. Denn sein Mandant hat umfassend ausgesagt. Glaubt man ihm, dann ist er nun ein Aussteiger, der sich vom Terrorismus losgesagt hat und nun helfen will, dass andere nicht darauf hereinfallen.

All das sagt Harry S. nun auch öffentlich, vor ein paar Tagen gab er einige Interviews, unter anderem bei Radio Bremen: „Unschuldige Menschen kommen da um ihr Leben“, sagte Harry S. über den Krieg in Syrien. Und: „Diese Ideologie und dieser Traum vom Kalifat und vom perfekten Leben stimmt nicht. Das ist einfach totaler Schwachsinn.“ Nicht islamisch und nicht menschlich sei das.

„Harry sagt, er hat keine Angst“

In der Augen der Islamisten ist er mit solchen Aussagen wohl ein Verräter. Ob er Rache fürchtet? Angst zu machen sei das Geschäft von Terroristen, sagt dazu sein Anwalt. Aber „Harry sagt, er hat keine Angst, er ist im Irak und Syrien mehrere Tode gestorben.“

Im April 2015 machte er sich zusammen mit dem Islamisten Adnan S. aus Bremen nach Syrien auf, um sich dem IS anzuschließen. Dort wird er für den Kampf in einer Spezialeinheit ausgebildet. Ein harter Drill, Strammstehen in der Hitze, wer schlapp macht, wird ausgepeitscht. So berichtet es Harry S. Und dass er schnell gefragt wurde, ob er bereit sei, einen Selbstmordanschlag in Deutschland zu begehen, was er abgelehnt habe.

Der Generalbundesanwalt wirft Harry S. die Mitgliedschaft bei der Terrorgruppe „Islamischer Staat Irak und Großsyrien“ (IS) vor. S. hat ein umfassendes Geständnis abgelegt.

Anfang April 2015 schloss er sich in Syrien dem IS an. sollte er in einer Spezialeinheit. Er bekam eine Ausbildung in Kampftechniken und an der Kalaschnikow. Anfang Juni 2015 brach er die Ausbildung ab.

In einem IS-Propagandavideo tritt S. im Juni 2015 als Fahnenträger auf, in dem die Ermordung zweier Gefangener zu sehen ist und dazu aufgerufen wird, Ungläubige in Deutschland zu töten. Nach dem Videodreh hatte Harry S. genug vom IS.

Später identifiziert er offenbar auch einen der mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge in Paris vom November, Abdelhamid Abaaoud. Eine Zeitlang habe er mit ihm in Syrien in einem Haus gewohnt. Irgendwann fuhr S. mit anderen IS-Anhängern nach Palmyra, um das deutschsprachige Propagandavideo zu drehen. Insgesamt sollen dabei sieben Gefangene umgebracht worden sein. Harry S. hatte genug. Er floh zurück nach Deutschland und wurde am 20. Juli 2015 bei seiner Ankunft am Bremer Flughafen festgenommen. Seitdem ist er in Untersuchungshaft.

Sein Weg in den Dschihad ähnelt dem anderer junger Islamisten: Aufgewachsen ist Harry S. in Osterholz-Tenever, einem der ärmsten Stadtteile Bremens, abgehängt, mit Hochhaussiedlungen und hoher Arbeitslosigkeit. Seine Eltern stammen aus Ghana, der Vater kehrt irgendwann dahin zurück. Seine Mutter ist streng katholisch. Auch Harry S. ist gläubig, geht in einen katholischen Kindergarten, später in die katholische Privatschule St. Johannis in der Bremer Innenstadt.

Im Gefängnis radikalisiert

Später zieht seine Familie nach London. Harry S. interessiert sich für den Islam und konvertiert, zum starken Missfallen seiner Mutter. Dann gerät S. auf die schiefe Bahn. Mit einem alten Schulfreund überfällt er einen Supermarkt. 2016 wird er zudem vor dem Landgericht Verden wegen eines Überfalls auf ein Ehepaar in Oyten zu vier Jahren Haft verurteilt, eine Tat, die er selbst bestreitet.

Radikalisiert hatte sich Harry S., als er nach der Verurteilung 2011 wegen des Supermarkt-Überfalls seine Bewährungsauflagen nicht erfüllte und in den Knast musste. Mit ihm sitzt RenéMarc S. in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen – ein bekannter Bremer Islamist, der unter anderem für die Verbreitung von Al-Qaida-Propaganda verurteilt wurde. „Charismatisch“ sei der, so erzählt es Harry S., und theologisch sehr geschult. Er ließ sich beeindrucken.

Nach seiner Haftentlassung verkehrt er regelmäßig im Bremer „Kultur- und Familienverein“. 2014 wurde der Verein vom Bremer Innensenator Ulrich Mäurer verboten. Immer wieder gingen aus dem Umfeld des Vereins Menschen nach Syrien, um sich dem IS anzuschließen. Nach aktuellen Zahlen haben das seit 2014 schon wieder 26 Menschen aus Bremen gemacht. Zwölf sollen zurückgekehrt, fünf mittlerweile tot sein. Harry S. schaffte es lebendig zurück.

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