Studie von Foodwatch: TTIP hebelt EU-Vorsorgeprinzip aus

Verbraucherschützer fürchten, die Abkommen mit den USA und Kanada attackieren Umwelt- und Verbraucherschutz. Die Industrie sagt: „Panikmache“.

Anti-TTIP- und Ceta-Plakate bei einer Demonstration in Brüssel

Nicht nur Foodwatch findet TTIP und Ceta kritikwürdig Foto: dpa

BERLIN taz | Die Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA setzen einen wichtigen Grundgedanken der europäischen Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzpolitik außer Kraft: Ceta und TTIP hebelten das in der EU geltende Vorsorgeprinzip aus, heißt es in einem Gutachten im Auftrag der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Dass EU-Kommission und Bundesregierung stets das Gegenteil behaupteten, sei „eine bewusste systematische Täuschung der Öffentlichkeit“, ärgerte sich Foodwatch-Chef Thilo Bode.

Auf den bereits ausverhandelten fast 1.600 Seiten des Ceta-Vertrags komme das Vorsorgeprinzip „höchstens in den Fußnoten vor“, sagte Bode. Er habe in vielen Dokumenten erkannt, „dass die Kommission auf der ganzen Linie nachgegeben hat“, sagte Peter-Tobias Stoll, Juraprofessor von der Universität Göttingen. Er hat das Gutachten mit Kollegen aus Den Haag und Brüssel verfasst.

Das Vorsorgeprinzip legt fest, dass in der EU Stoffe und Verfahren nur dann zugelassen werden, wenn wissenschaftlich bewiesen ist, dass sie ungefährlich sind. In den USA und Kanada gilt das Wissenschaftsprinzip: Die Schädlichkeit eines Stoffes muss nachgewiesen sein, bevor er der Regulierung unterworfen wird. Das gilt als industriefreundlicher. Konzernen drohen jedoch empfindlich hohe Strafen, wenn Kunden durch Produkte Schaden nehmen.

Wenn Ceta oder TTIP in Kraft träten, wäre es „in Zukunft weitaus schwieriger, Pestizide nicht auf dem EU-Markt zu erlauben“, sagte Stoll. Auch Vorsichtsmaßnahmen für andere Stoffe und Zulassungsverfahren müsse die Kommission künftig rechtfertigen. Wenn sie einen Stoff aus Vorsichtsgründen verbiete, riskiere sie Strafzölle.

Neuzulassung von Pestiziden: Verhindern unmöglich

Abkommen Beispiel Glyphosat: Derzeit tobt in der EU ein heftiger Streit über das weit verbreitete Pflanzenschutzmittel, dessen Zulassung Ende dieses Monats ausläuft. Unter dem Regime der Abkommen – über TTIP wird noch verhandelt – „werde es künftig unmöglich, eine Neuzulassung zu verhindern“, meint Stoll.

Beispiel Kosmetika: In der EU sind derzeit über 1.300 chemische Zusätze sowie mehr als 80 Pestizidwirkstoffe verboten, die in den USA zugelassen sind. Foodwatch warnte, dass solche Chemikalien aus Übersee mit den Abkommen künftig ohne Prüfung auf den hiesigen Markt gelangen könnten.

Thilo Bode, Foodwatch-Chef

„Eine bewusste systematische Täuschung der Öffentlichkeit“

Von „Panikmache“ sprach der Verband der Chemischen Industrie. Ceta und TTIP ließen die „Regulierungsautonomie“ bestehen, hieß es in einer Mitteilung. Auch mit den Abkommen könne die Gegenseite Vorsorgemaßnahmen nicht anzweifeln – falls diese nicht gegen die Vorschriften der Welthandelsorganisation WTO verstoßen.

„Die Studie spricht eine deutliche Sprache“, sagte Renate Künast (Grüne), Chefin des Bundestagsausschusses für Verbraucherschutz. „Ob Pestizide, Hormonfleisch oder Gentechnik: CETA und TTIP sind eine Gefahr für das Vorsorgeprinzip, die tragende Säule des europäischen Verbraucherschutzes.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.