„Ich habe nur die Macht, zu ärgern“

Mainhardt Graf Nayhauß

„Schröder hat selbst zum Hörer gegriffen. Das passiert, wenn man morgens im Bett liegt. Man nimmt nichts ahnend ab, und plötzlich schimpft da der Kanzler: ‚Was haben Sie für einen Unsinn geschrieben?‘ “

Kaum ein Journalist kann behaupten, dass er schon mal durch einen Anruf des erbosten Bundeskanzlers geweckt wurde. Mainhardt Graf von Nayhauß, 79, erzählt solche Anekdoten beiläufig. Seit Jahrzehnten berichtet er über Entscheidungen, Gehabe und Schwächen der angeblich Mächtigen. Seine Arbeit polarisiert. Nayhauß, in Berlin geboren und Sohn eines preußischen Offiziers, schrieb für Spiegel, Stern oder Quick, seit 1981 steht er im Dienst der Bild-Zeitung. Seine Kolumne „Berlin vertraulich“ erschien über 4.000-mal, Anfang August kippten sie die Bild-Chefs aus dem Blatt. „Abschiednehmen ist schmerzlich“, schrieb Nayhauß im letzten Text. Doch davon ist der Journalist, in dessen Büro fünf Fernseher laufen, weit entfernt.

Interview MATTHIAS LOHRE
und ULRICH SCHULTE

taz: Herr Nayhauß, Sie haben das politische Geschäft mal als „wunderbares Theater“ bezeichnet. Wo stehen Sie bei diesem Bühnenstück?

Mainhardt Graf Nayhauß: Nun, ich stehe in der Kulisse und erlebe die Schauspieler aus nächster Nähe.

Nervt das manchmal? In den letzten Wochen schien bei den Akteuren die schlichte Machtgier durch.

Schon. Es war grotesk, wie sich da zwei Verlierer zu Siegern erklärten. Auch das Gerangel, wer darf ins Kanzleramt, obwohl es einen eindeutigen Vorsprung gibt – das war Affentheater.

Sie sind 79 Jahre alt. Warum haben Sie dem Affentheater nicht längst Adieu gesagt?

Zum Menschsein gehört das sich Beschäftigen. Hingehen, beobachten, nach Hause kommen und schreiben, für mich bedeutet das Erfüllung wie ein Maler sie beim Malen erlebt. Warum also sollte ich aufhören?

Weil die Bild -Zeitung Ihre Kolumne abgesetzt hat, zum Beispiel.

Ich bin mehr als ausgelastet. Es sind bisweilen fünf Kolumnen pro Woche, die ich schreibe. Eine in der Bunten, alle vierzehn Tage in der Super-Illu, zweimal die Woche in der Netzeitung. Und nicht zu vergessen die Top-10-Liste in der Bild. Das ist eine ganze Menge.

Kann der Mensch Nayhauß ohne Schreiben schlicht nicht mehr?

Das kann sein, für mich bedeutet Schreiben aber auch keine Fron. Ich arbeite seit über 30 Jahren von zu Hause aus. Ich kenne die Tretmühle Redaktion nicht, muss nicht auf Konferenzen Zeit unnütz verquatschen oder aufs Layout warten, um Bildunterschriften zu machen.

Die Währung von Politik ist Macht. Ist Macht zu haben wichtig für Sie?

Nein. Sie dürfen meine Position nicht überschätzen. Es steht in meiner Macht, Politiker zu ärgern. Es genügt schon, über einen empfindlichen Minister zu schreiben, er habe nach einer Sitzung tiefe Augenringe gehabt. Das habe ich bei Karl Schiller erlebt, dem Wirtschaftsminister der großen Koalition Ende der 60er, der hat es sehr übel genommen. Also Macht, um zu ärgern – ja. Macht, um einen Politiker zu beseitigen – nein.

Sie arbeiten seit 1981 für die Bild -Zeitung. Sich vor zwölf Millionen Lesern über Befindlichkeiten der Spitzenpolitiker auszulassen, ist durchaus Macht.

Das mag sein. Das erinnert mich an meine erste Bild-Kolumne im Jahr 1981. Der stellvertretende Chef, ein typischer Berliner, rief an. „Junge, dufte Kolumne, aber könn wa nicht drucken.“ Es ging um die Beerdigung des damaligen stellvertretenden Regierungssprechers, Conrad Ahlers (SPD). Und weder Willy Brandt noch Helmut Schmidt noch Herbert Wehner ließen sich blicken. Das fand ich unanständig und habe es geschildert. Du kannst nicht in einem Rundumschlag die ganze Führung einer Volkspartei abwatschen, meinte mein Chef. Da ist mir die Wirkung der Bild-Zeitung klar geworden.

Ihnen wird nachgesagt, sie hätten als Erster über die überdimensionierte Klobrille im Kanzlerjet Helmut Kohls geschrieben. Stimmt das?

Nein, darüber hat der Spiegel als Erster geschrieben, in der Personalienspalte. Ich habe kein Wort über die Klobrille geschrieben, noch habe ich selbige vermessen. Das ist auch gar nicht möglich. Bei der Sache ging es bestimmten Personen darum, mich zu diskreditieren.

Welchen Personen?

Den Medienberatern des Kanzlers Kohl, die sich über etliche meiner Kolumnen ärgerten. Ich hatte zum Beispiel aufgedeckt, dass das Parlament über Details bei dem Kauf der Kanzlerairbusse nicht informiert worden war. Außerdem stand in dem Text, dass Hannelore Kohl bei den Farben der Sitzbezüge das letzte Wort hatte. Das empfand man als despektierlich.

Ärgerte Sie die Verdrehung?

Nein. Wenn ich andere ärgere, muss ich auch hinnehmen, dass die mich piesacken. Die Geschichte war ja gut erfunden. Allein die Vorstellung: Der kleine Nayhauß kniet mit einem Zollstock vor dem Klo, dann reißt der dicke Kanzler die Tür auf …

In ihren Kolumnen beschreiben Sie Politik durch Details, Persönliches, Klatsch. Wieviel Distanz braucht ein Journalist?

Er soll dicht dran sein. Es spricht auch nichts dagegen, dass er sich von dem Politiker nach Hause einladen lässt. Aber wenn die Gelegenheit kommt, berechtigt kritisch zu schreiben oder Hintergründiges, darf man es nicht zurückhalten.

Sie müssen mit vielen unsympathischen Menschen Rotwein trinken. Stört Sie das?

Wenn jemand etwas mitzuteilen hat, sortiere ich ihn in solche Kategorien nicht ein. Nur die Eitelkeit mancher Leute, die ist wirklich abstoßend. Stellen Sie sich mal bei einem gesellschaftlichen Ereignis, einer Gala, an den Eingang. Dorthin, wo die Fotografenhorde schreit. Jüngst kam es zu einem Stau, weil Heino und Hannelore ausführlichst fotografiert wurden. Die Leute dahinter gingen nicht etwa vorbei, nein, sie haben brav gewartet, um anschließend selbst ins Blitzlichtgewitter zu kommen. Das sind aber keine Politiker.

Man hat manchmal den Eindruck, dass sich Politiker – beeinflusst von hektischen Medien – kaum Zeit zum Nachdenken nehmen. Stimmt das?

Der Prozess des Nachdenkens ist in der Regel der Gleiche geblieben, da gibt es genug Kommissionen und Ausschüsse zum Durchpalavern. Aber durch Mechanismen der Medien müssen Sie Entscheidungen schneller treffen.

Wie meinen Sie das?

Das beste Beispiel ist Herr Kirchhof. Angela Merkel zog ihn als Trumpf aus dem Ärmel, erst war er der Hit. Schröder fing dann an, ihn als „den Professor aus Heidelberg“ lächerlich zu machen. An Merkels Stelle hätte ich dagegen gehalten. Hat Schröder vielleicht vergessen, dass Willy Brandt als ersten Wirtschafts- und Finanzminister einen Professor aus Hamburg geholt hat, Karl Schiller? Die Union hat nicht kapiert, dass man in einer Medienwelt polemisch zum Gegenangriff blasen muss. Die haben nur gejammert, dass sie die Flat Tax ja gar nicht eins zu eins übernehmen wollen.

Wie gehen Sie damit um, selbst Menschen zu verletzen?

Das muss man in Kauf nehmen. Es ist einem auch nicht so bewusst, wie groß die Verletzung ist. Noch mal zu Karl Schiller und seinen Augenringen: Ich hätte nie gedacht, dass ihn das so trifft. Dazu kommt, dass die wenigsten direkt anrufen. Kohl hat immer bei der Chefredaktion oder dem Verleger geklagt. Aber Schröder hat selbst zum Hörer gegriffen. Das passiert, wenn man morgens im Bett liegt. Man nimmt nichts ahnend ab, und plötzlich schimpft da der Kanzler: „Was haben Sie für einen Unsinn geschrieben, ich hätte die Nationalflagge nicht im Büro. Wo hängt sie bei Ihnen, neben dem Ehebett?“

Was haben Sie geantwortet?

Lahm. „Aber ich bin doch keine Amtsperson.“ Ich hätte sagen müssen: „Jawoll, Herr Bundeskanzler, und jedes Mal wenn es klappt, stehen meine Frau und ich auf und singen die Nationalhymne.“

Mussten Sie für die Bild -Zeitung neu schreiben lernen?

Kurze Sätze. Dass Kleinigkeiten dem Leser den Eindruck vermitteln, man ist dicht dabei, habe ich schon beim Spiegel gelernt. Wichtig ist, dass es eine Story ist, also interessant, nah an Menschen geschrieben. Bei der Illustrierten Jasmin habe ich mitbekommen, dass man zu Hause bei Politikern viel über sie erfährt. Wie sie mit der Frau umgehen, welche Bücher sie lesen und so weiter.

Gibt es politische Vorgaben aus der Bild -Chefredaktion?

Nein, bei mir nicht. In meinen Verträgen steht, dass ohne meine Zustimmung nichts geändert werden darf.

Stehen Sie hinter der journalistischen Machart der Bild -Zeitung?

Das müssten Sie konkretisieren.

Die Bild -Zeitung spitzt Geschichten so zu, dass Falsches dabei herauskommt. Sie schreibt Leute kaputt. Ohne jetzt bis Wallraff zurückzugehen – es gibt eine Website, www.bildblog.de , die täglich Fehler aufdeckt.

Noch mal: An meinen Kolumnen, für die ich stehe, wurde nichts geändert. Ich will nichts beschönigen, aber da müssen Sie mit der Chefredaktion sprechen. Was mir allerdings handwerklich nicht gefällt, ist die Seite zwei, die einzige Politikseite. Die großen Fotos und Graphiken gehen zu Lasten der Texte. Das traf oft meine Kolumne, sie wurde dann aus Platzmangel immer häufiger verschoben.

Adorno sagte: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“ Können Sie sich, wenn Sie von Bild bezahlt werden, auf ihre Autorenrolle zurückziehen?

Es gibt Gesetze in Deutschland, und von denen wird Gebrauch gemacht. Wer sich von Bild ungerecht behandelt fühlt, kann eine Gegendarstellung erwirken.

Das ist blauäugig. Privatleute haben gegen die Springer-Justizabteilung doch keine Chance.

Sagen wir: We agree, that we disagree. Ich kann hier nicht für Bild sprechen, ich sitze nicht in der Redaktion. Ich spreche nur für Nayhauß.

Krieg, Insel, wiedervereinigt – Sie haben Berlin in vielen Epochen erlebt. Wie nehmen Sie die Stadt heute wahr?

Die Menschen sind ruppiger geworden. Neulich klingelte ein Bote, er wollte ein Paket abliefern. Ich sah das Datum und meinte: „Sie waren doch gestern schon da, warum haben Sie es nicht beim Pförtner abgegeben?“ Daraufhin entreißt er mir das Päckchen und meckert: „Kriejick nu ne Unterschrift oda nich?“

Aber das ist doch die normale Berliner Schnauze.

Die hat sich seit der Wende geändert. Früher hieß es „Berliner Schnauze mit Herz“. Das Herz vermisse ich mehr und mehr. In Westberlin empfand man ja noch ein Solidaritätsgefühl. Ich habe lange in Weinmeisterhöhe gelebt, östlich der Havel an der Stadtgrenze. Das war eine Enklave, die man den Russen im Tausch gegen ein anderes Stück Land abgehandelt hatte.

Und die Anwohner lebten in der Furcht, der Klassenfeind könne es sich wieder anders überlegen?

Richtig. Ich arbeitete damals beim Rias und gehörte der so genannten Zonen-Redaktion an. Als solche galten wir als gefährdet. Wir haben zum Beispiel Belegschaften in der Ostzone gewarnt, dass ihnen der Lohn gekürzt werde. Mein Chefredakteur hat mich mehrmals bedrängt, aus Weinmeisterhöhe wegzuziehen.

Unterscheiden Sie heute noch zwischen West- und Ostberlin?

Ja, das habe ich früh gelernt. Schon vor dem Krieg gab es diese Trennung. Das östlichste, wohin mich meine Mutter mitnahm, war Wertheim in der Leipziger Straße. Alles, was dahinter lag, war Proletariergebiet. Ein kluger Mensch hat mir mal erklärt, warum. Die bevorzugten Wohnviertel liegen in Großstädten im Westen, weil wir in Mitteleuropa hauptsächlich Westwinde wehen. Der Dreck weht in den Osten, deshalb lagen dort ärmliche Viertel.

Welche Schlagzeile würden Sie gerne in fünf Jahren schreiben?

Da muss ich überlegen.

„Deutschland erlebt zweites Wirtschaftswunder“?

Das nehme ich.