Jan van Aken über karrieregeile Politiker: „Irgendwas läuft richtig schief“

Der Hamburger Abgeordnete Jan van Aken will nicht wieder für den Bundestag kandidieren. Da säßen zu viele, die für nichts brennen.

Jan van Aken

Hat ein Problem mit ehrgeizigen Politikerkarrieren: Jan van Aken. Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr van Aken, warum hören Sie nach acht Jahren auf im Bundestag?

Jan van Aken: Gründe dafür gibt es viele. Ich finde, irgendwas läuft richtig schief im Bundestag. Da sitzen viele Leute, bei denen ich mich frage, was machen die da. Durch eine Begrenzung auf acht Jahre könnte man die Arbeit im Bundestag vielleicht verbessern.

Aber verbessert es die Qualität, wenn gerade die Leute gehen, die sehen, dass da was schief läuft?

Dass der Bundestag über weite Strecken so zahnlos ist, hängt auch damit zusammen, dass er für viele ein Karriereziel ist. Die wollen den Job nicht verlieren. Mit einer Beschränkung würde man verhindern, dass der Bundestag ein Karriereziel wird. Da sitzen so viele, die wollen nichts, die brennen für nichts. Egal bei welcher Partei. Für viele geht es nur noch darum, ihre Arbeit nicht zu verlieren.

55, arbeitete für verschiedene Nichtregierungsorganisationen, unter anderem für Greenpeace. 2004–2006 war er Biowaffen-Inspekteur für die Vereinten Nationen. 2009 zog er über die Hamburger Landesliste der Linkspartei in den Bundestag ein. Von 2012 bis 2014 war er stellvertretender Vorsitzender der Linkspartei. Als einer von deren acht Spitzenkandidaten wurde er 2013 ein zweites Mal in den Bundestag gewählt.

Dann ist es ja besonders fatal, wenn nur die Langweiler bleiben …

Die Hamburger Linke ist doch ein gutes Beispiel: Der renommierte Völkerrechtler Norman Paech hat einen guten Job gemacht und nach vier Jahren aufgehört. Dann kommt Jan van Aken, der bleibt acht Jahre – und wenn ich gehe, kommt ja auch wieder jemand Neues. Eigentlich vervielfältigen sich so doch die Guten.

Trotzdem geht Expertise verloren.

Entweder gibt es jemanden im Bundestag, der das genauso weitermacht, die oder den kann ich anleiten. Oder jemand macht anders weiter. Ich bin ja nicht weg, ich bin dann nur woanders.

Dieses Dasein muss irgendwie finanziert werden.

Ich könnte mir gut vorstellen, für eine NGO im ähnlichen Bereich zu arbeiten, gerne auch Waffenexport-Kampagnen in Deutschland. Da zeichnet sich aber noch nichts ab.

Hat Sie der Bundestag verändert?

Ja, auch wenn ich mich dagegen gewehrt habe. Ich merke das an Kleinigkeiten: Dass ich jetzt zum Beispiel viel häufiger den Fahrdienst in Berlin nutze als noch vor sieben Jahren. Anfangs habe ich das ganz selten gemacht. Bei Regen bin ich jetzt manchmal einfach zu faul, mich aufs Rad zu setzen oder U-Bahn zu fahren. Außerdem rede ich länger. Dabei bin ich als Naturwissenschaftler eigentlich ein Freund der kurzen Rede.

Wie löst man das Problem, dass eine Partei Leute mit einer gewissen Bekanntheit braucht?

Das ist schwierig. Es fragen mich auch Leute, ob ich will, dass Gregor Gysi nach zwei Legislaturen geht. Ich finde, da muss man konsequent sein. Aber es gibt ja die Möglichkeit, acht Jahre im Bundestag zu sein, dann auch mal acht Jahre Parteivorsitzender und dann Wirtschaftsminister in Berlin. So würde er als prominentes Gesicht für die Partei erhalten bleiben.

Macht das einen Unterschied?

Ja, Bundestag ist eine ganz heiß gedrehte Öffentlichkeit, während sie als Parteivorsitzender viel grundsätzlicher und strategischer arbeiten. Ich war ja auch mal stellvertretender Parteivorsitzender und ich war zwei Jahre stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Nur von der Arbeit her oder auch gemessen am Einfluss?

Auch von der Einflussnahme her. Das, was man in Deutschland als Politik mitbekommt, kommt fast immer von den Bundestagsfraktionen. Als ich anfing, 2009, ging es um Kundus in Afghanistan. Da gab es ein Statement vom Auswärtigen Amt. Plötzlich standen da sieben Kameras, 30 JournalistInnen und dann drucken die auch noch, was du sagst. Das ist ein Job mit Gestaltungsfreiheit, und dann auch noch sehr gut bezahlt.

Was heißt das in Zahlen?

Man kriegt im Moment rund 9.100 Euro Diäten, die muss man voll versteuern. Dazu gibt es eine Bahncard 100 und was da noch dazugehört. Bei der Linken geben wir dann noch einen relativ hohen Mandatsträgerbeitrag, den man für die Partei spendet.

Wie viel Einfluss hat man als Bundestagsabgeordneter?

Ich habe davor ja für Greenpeace International gearbeitet, habe die asiatischen Büros in der Landwirtschaft koordiniert. Mit Greenpeace schafft man Veränderungen im wirklichen Leben. Ich war skeptisch, wie das im Bundestag wird. Der Einfluss ist aber viel größer, als ich dachte. Das ist mir zum ersten Mal bei der Afghanistan-Debatte aufgefallen. Da hatten wir auch eine gute Strategie: Wir wollten, dass wieder über die Opfer, das Leid geredet wird. Das hat gut funktioniert. Ein halbes Jahr später redete dann auch Westerwelle über die afghanischen Opfer und das hat die ganze Debatte gedreht.

Hatten Sie sich vorher schon mit Waffenexporten befasst?

Nein, gar nicht.

Aber Sie waren Biowaffen-Inspekteur der UN.

Ja, im Irak, aber Biowaffen haben mit Waffen überhaupt gar nichts zu tun. Das sind Bakterien und Viren, das ist eine biologische Debatte.

Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, sich ausgerechnet mit Waffen zu beschäftigen?

Als ich gewählt war, kam die Frage, was mache ich jetzt mit dem Job. Ich habe das Team von Norman Paech übernommen und wir haben uns überlegt, dass wir arbeiten wollen wie eine kleine NGO. Wir haben dann geschaut, welche Themen unterbelichtet, aber total dringend sind.

Es gab ja mal eine Zeit, da wurden Waffenexporte auch in der Linken positiv gesehen und man sammelte sogar Geld.

Waffen für El Salvador. Das war meine Generation.

Haben Sie da mitgemacht?

Nein. Aber nur, weil ich kein Geld hatte.

Heute haben Sie Geld, würden Sie das anders sehen?

Ja, das würde ich tatsächlich. Diese Debatte haben wir in der Linken auch ganz heftig geführt, als es um die Kurden ging. Wir waren mit einem Team in Rojava, das war im Januar 2014. Dann kamen wir zurück und Mossul wurde vom IS überrannt. Direkt danach haben wir diskutiert: Stellt euch vor, die stürmen Kobane. Bei uns war die Stimmung zunächst für Waffenlieferungen. Am Ende haben wir uns aber dagegen entschieden, weil die IS-Taktik ist, wenn sie an einer Stelle auf Granit stoßen, dann gehen sie sofort ans andere Ende ihres Gebiets und nehmen eine halbe Provinz ein. Und so war es dann auch.

Die Orte verteidigen muss ich ja trotzdem, sonst sterben Menschen.

Dass sich die Leute mit der Waffe in der Hand verteidigen, ist völlig richtig. Ich bin kein radikaler Pazifist. Die Frage ist ja, was ist aus Deutschland zu tun, um die zu unterstützen? Da finde ich Waffenlieferungen falsch. Es mangelte in der Region an allem, aber nicht an Waffen.

In der Debatte hatte man aber den Eindruck.

Die Waffenlieferung, die von der Bundesregierung an die Peschmerga ging, hatte mit der Rettung der JesidInnen nichts zu tun. Die Arbeit hat doch die PKK gemacht.

Was wäre die Alternative gewesen?

Der viel bessere Weg wäre gewesen, dass die Türkei endlich die Grenzen zu den kurdischen Gebieten auf- und die zu den IS-Gebieten zumacht. Darauf hätte Deutschland seinen gesamten Einfluss in der Nato setzen müssen. Davor haben die sich aber gedrückt. Die Waffenlieferung war nur eine Ersatzhandlung.

Wenn es die Deutschen nicht machen, liefern dann nicht einfach andere?

Haben die auch gemacht. Ich stand auf dem Flugfeld in Erbil, da kam eine bulgarische Lieferung, die Engländer haben sie entladen, weil sie auch eine erwarteten. Mit Kobane und den JesidInnen hatte das nichts zu tun.

Stand die Waffenlobby bei Ihnen auf der Matte?

Gar nicht. Den Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann, der den Leopard zusammenschraubt, habe ich mal besucht. Das waren immer interessante Streitgespräche auf hohem Niveau. Der Geschäftsführer dort war nur leider so gut, dass er sich nie verplappert hat, interessante Infos gab es da also nicht zu holen.

Sie selbst haben dagegen nicht immer die Form gewahrt. So bezichtigten Sie etwa dem FDP-Abgeordneten Martin Lindner des Eierkraulens – sobald im Bundestag eine Frau rede.

Das war nicht so geplant. Aber ich habe versucht, nicht Politiker zu spielen, sondern Jan van Aken zu bleiben. Dann passiert sowas halt mal. Ich stehe deshalb zum Beispiel auch auf Angela Merkel. Die versucht nicht, Kanzlerin zu spielen, Merkel ist Merkel. Deswegen finden viele Leute die gut.

Darf man das sagen – als Linker?

Ja. Natürlich finde ich das, was sie politisch macht, falsch. Für mich war es immer eine der wichtigsten Aufgaben, möglichst dicht bei mir selbst zu bleiben. Das fängt damit an, dass man auf einer Wahlkampfveranstaltung auf eine Frage sagen kann, ich weiß das nicht. Ich habe das gemacht und mir dann sagen lassen müssen, dass das nicht geht. Aber mit diesem Politiker-Spiel fange ich gar nicht erst an. Nichtwissen ist was völlig Normales.

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