Arzneimitteltests mit Demenzpatienten: Verschoben, nicht aufgehoben

Dürfen an nicht einwilligungsfähigen Demenzpatienten Tests durchgeführt werden? Der Bundestag hat eine Abstimmung kurzfristig abgeblasen.

Eine Ergotherapeutin unterhält sich mit einer an Demenz erkrankten Patientin

Kein Versuchskaninchen: Demenzpatientin in einer Wohnanlage Foto: dpa

HAMBURG taz | Soll der Gesetzgeber ermöglichen, dass Menschen mit Demenz künftig in Deutschland für Arzneimitteltests zur Verfügung stehen, die ihnen keinerlei therapeutischen Nutzen bringen können? Die Frage ist ethisch brisant. Wie es aussieht, erhalten Politik, Verbände und engagierte Bürger nun mehr Zeit, um sich zu informieren: über Inhalte und Ziele der Demenzforschung und die Interessenlagen der beteiligten Wissenschaftler und Pharmafirmen.

Eigentlich sollte der Bundestag schon Freitag entscheiden, ob das Arzneimittelgesetz (AMG) geändert werden soll. Der Entwurf der Bundesregierung sieht vor, fremdnützige Arzneiprüfungen mit demenziell veränderten Probanden dann zuzulassen, wenn die Betroffenen in gesunden Zeiten eine „Patientenverfügung“ verfasst haben, die einer Teilnahme an Studien im Fall später auftretender Demenz pauschal zustimmt.

Doch die Abstimmung im Bundestag wurde kurzfristig abgeblasen, offizielle Begründung der parlamentarischen Geschäftsführer: Man brauche mehr Bedenkzeit.

Wahr ist aber auch: Die Mehrheit für das rechtliche Neuland erschien den Strategen im Bundestag offenbar nicht gesichert. Das gilt auch für drei alternative Anträge: Zwei dieser Papiere, eingebracht von Karl Lauterbach (SPD), Maria Mi­chalk (CDU) und Georg Nüßlein (CSU) sowie von den Sozialdemokratinnen Hilde Mattheis und Sabine Dittmar, befürworten ebenfalls gruppennützige Studien mit Nichteinwilligungsfähigen, sofern sie dies vorab verfügt haben. Der dritte Antrag lehnt dies klar ab; federführend sind hier Uwe Schummer (CDU), Ulla Schmidt (SPD), Kathrin Vogler (Linke) und Kordula Schulz-Asche (Grüne).

Vorgesehen ist nun, nach der Sommerpause, im September erneut zu beraten; womöglich dauert es aber auch länger und es werden erneut Fachleute angehört. Die erste Anhörung am 9. Mai, bei der übrigens keiner der Geladenen mögliche Interessenkonflikte wie geschäftliche Kontakte zu Pharmafirmen offenlegen musste, war durchaus kontrovers verlaufen.

Nicht mit der Verfassung vereinbar

Der Streit der Experten geht weiter, wobei kritische Stimmen derzeit wohl überwiegen. So veröffentlichten Mitglieder der Ethik-Kommission des Landes Berlin am 4. Juli eine rechtliche Stellungnahme, in der sie den Regelungsvorschlag zu Probandenverfügungen als „verfassungswidrig“ bewerten.

Auch der Pharmakologe Gerd Glaeske lehnt die geplante AMG-Reform ab. In einem Kommentar für die Zeitschrift Dr. med. Mabuse appelliert der Bremer Professor: „Wehret den Anfängen!“ Werde gruppennützige Forschung mit nicht mehr einwilligungsfähigen Demenzkranken legitimiert, werde dies womöglich den Weg bahnen, später auch gruppennützige Forschung an Menschen mit geistiger Behinderung zu erlauben. Dieser „gesundheits- und forschungspolitische Irrweg“ müsse verhindert werden.

Ganz anders Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane-Zentrums. Im Deutschlandradio Kultur bewertete der studierte Mathematiker und Biometriker die geplante AMG-Novelle als angemessen. Professor Antes findet es notwendig, Zulassungsstudien für neue Wirkstoffe auch in Deutschland mit dementen Probanden durchzuführen. Die Kritik daran sei „sehr stark ideologiebehaftet“. Hierzulande gebe es eine „sehr engmaschige Überwachung“ der Forschung, vor allem durch Ethikkommissionen.

Es gibt nun mindestens zwei Monate Zeit, Fakten und Experten sorgfältig zu checken.

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