Bis zum letzten Tropfen

– Freitag, 11. Mai 1725 –Morgens ging ich erneut ins Land hinein und fand ein paar Wurzeln, deren Haut ähnelte in etwa der von Kartoffeln, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie essbar sind. Freudig ging ich auf Suche nach größeren Entdeckungen, aber fand nichts weiter. Ich setzte mich sehr niedergeschlagen, fast tot vor Durst, und ging danach zurück zum Zelt. Auf der anderen Seite der Insel gibt es einen sandigen Strand in Höhe des größten Felsens. Abends kochte ich etwas Reis, zum ersten Mal; ich stand irgendwie neben mir.

von Felix Zimmermann

– Samstag, 5. Mai 1725 –Auf Befehl der Kommandanten & Kapitäne der Holländischen Flotte wurde ich, Leendert Hasenbosch, zu meinem großen Kummer an den Ufern dieser verlassenen Inseln ausgesetzt, aber ich hoffe, der allmächtige Gott wird mein Beschützer sein. Sie gaben mir ein Fass Wasser, zwei Eimer, eine alte Bratpfanne, und ich baute mir ein Zelt am Strand, nahe eines Felsens, wo ich ein paar meiner Kleider hatte.

– Samstag, 25. August 1725 –Ich war so ausgetrocknet und krank noch dazu, dass ich mein allerletztes Wasser getrunken habe, nicht mehr als ein Pint. Danach suchte ich nach Eiern, in der Hoffnung, sie würden meinen extremen Durst lindern.

Ascension Island, das war schon immer ein guter Ort, um jemanden schwer zu bestrafen oder gleich ganz beiseitezuschaffen. Zwar heißt „Ascension“ übersetzt Christi Himmelfahrt, tatsächlich dürfte es für jemanden, der dorthin ausgesetzt wird, aber eher der direkte Weg in die Hölle sein. So wie für Leendert Hasenbosch vor knapp 200 Jahren. Er fand dort sein einsames Ende.

– Donnerstag, 23. August 1725 –Keine Hoffnung, Wasser zu finden, und ich nahm etwas von dem Blut der Schildkröte, die ich gestern getötet habe. Sie hatte sich über Nacht niedergelassen. Und mit meinem eigenen Wasser zusammen kochte ich Tee darin. Es war etwas besser als rohes Blut allein. Um vier Uhr nachmittags sammelte ich das allerletzte Wasser, das ich in dieser Welt hatte, in meinem Teekessel, um es zu meinem Zelt zu bringen: Ich bin gezwungen, jetzt hier zu leben, in der Nähe der Schildkröten, habe nichts weiter zum Überleben. Aber ich wurde so brutal vom Fieber geschwächt, nachdem ich das Schildkrötenblut getrunken hatte, das ich keine drei Schritte laufen konnte. Ich kann es nicht sagen, aber ich war fast froh darüber, hoffend, dies wäre das Ende meiner Tage und meiner Misere. Mit großer Anstrengung erreichte ich mein Zelt bei Dunkelheit.

1725 wurde Hasenbosch, ein bis dahin unbescholtener Soldat der Niederländischen Ostindien-Kompanie, die den Handel mit Gewürzen und anderen Gütern bestimmte, auf diesem Inselchen ausgesetzt. Er, der zuletzt als Buchhalter eines Schiffs diente, sollte büßen für sündiges Sexualverhalten, Sodomie genannt, damals also wohl Sex mit Männern.

– Mittwoch, 8. Oktober 1725 –Trank meinen eigenen Urin und esse rohes Fleisch.

Einige Monate nach seinem Tod fanden britische Seeleute sein Zelt, einige Gegenstände, darunter sein auf Holländisch geschriebenes Tagebuch. Es berichtet vom einsamen Kampf eines Mannes, der Hunger litt und durstig war – so sehr, dass er sein eigenes Wasser trank und das Blut von Seeschildkröten. Bis er starb.

– Sonntag, 6. Mai 1725 –Ich ging auf diesen Hügel, um zu sehen, ob ich auf der anderen Seite der Insel irgend etwas entdecken könnte, das geräumiger als Unterkunft wäre, und ob es dort irgend etwas Grünes gibt; aber zu meinem großen Bedauern fand ich nichts, das auch nur einer Erwähnung wert ist. Ich hoffte ernsthaft, mir würde irgendein Unfall passieren, um diesen miserablen Tagen ein Ende zu setzen.

– Samstag, 13., bis Montag, 15. Juli 1725 –Habe nach Wasser gesucht, aber keines gefunden.

Die norwegische Fotografin Marianne Bjørnmyr hat in ihrer Arbeit „An Authentic Relation“ Hasenboschs Geschichte nachgespürt. Es war ihr, so schildert sie es, daran gelegen, Sprache als eine der ältesten Methoden, Ereignisse zu schildern, und die Fotografie als ein sehr heutiges Instrument der Dokumentation zusammenzubringen. Hasenboschs Tagebuch, ihre Fotos: Eine Auswahl davon zeigen wir hier.

– Samstag, 1., bis Dienstag, 4. Juni 1725 –Es wäre sinnlos zu schreiben, wie oft meine Augen das Meer nach Schiffen absuchen. Jedes Atom im Himmel halte ich für ein Segel. Schaue, bis meine Augen geblendet sind, und sofort verschwindet das Objekt. Als sie mich an der Küste aussetzten, sagte mir der Kapitän, es wäre die Zeit des Jahres, in der Schiffe vorbeifahren, was mich noch fleißiger Ausschau halten lässt.

Um nach Ascension Island zu gelangen, war Bjørnmyr angewiesen auf eine Maschine der Royal Air Force, anders gelangt man dort nicht hin. Zwei Wochen blieb sie, dann wurde sie wieder abgeholt.

Ausstellung: „An Authentic Relation“ von Marianne Bjørnmyr ist Teil der Ausstellung „Shifting Focus“, zu sehen vom 15. bis 24. Juli im Berliner Kunstquartier Bethanien. shiftingfocusberlin.com