Verwendung von leichter Sprache: Wer bestimmt, was „leicht“ ist?

„Leichte Sprache“ ist die Rollstuhlrampe für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Sie soll ins Gesetz. Auch die taz bemüht sich, leichter zu werden.

Eine Müslischale mit vielen kleinen Plastikstückchen, auf die Buchstaben gedruckt wurden

Leichte Sprache, gar nicht so leicht: Ohne Qualitätsstandards gerät schnell etwas durcheinander Foto: photocase/misterQM

Mirko Müller ist Prüfer für Leichte Sprache. Eigentlich stellt der 47-Jährige Lampenfassungen her in einer Berliner Werkstatt für Menschen mit Behinderungen – doch jede Woche geht Müller zusätzlich für zwei Stunden ins Büro der Arbeiterwohlfahrt. Dort prüfen er und seine KollegInnen Texte, die in sogenannte Leichte Sprache übersetzt worden sind. Müller erklärt: „Im Original sind oft Sätze zu lang oder voller Fremdwörter. Was wir nicht verständlich finden, müssen wir kürzen oder umschreiben.“

„Leichte Sprache“ ist die Rollstuhlrampe für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Barrierefreie Kommunikation wurde mit dem „Behindertengleichstellungsgesetz“ von 2002 für alle Bundesbehörden verpflichtend. In einem Entwurf zur Novellierung des Gesetzes, die voraussichtlich im Herbst 2016 in Kraft tritt, wird die „Leichte Sprache“ nun erstmals explizit als Teil der barrierefreien Kommunikation benannt.

Aber wer bestimmt, was „leicht“ ist? Was genau Leichte Sprache ausmacht, definiert das Gesetz nicht. Das Netzwerk Leichte Sprache, das seit 2006 existiert, versucht deshalb, für alle Übersetzungsbüros einheitliche Standards durchzusetzen. Das heißt konkret: Jeder Satz darf nur eine Aussage enthalten. Schwierige oder lange Wörter sind zu vermeiden oder zu erläutern. Statt Passivkonstruktionen und Substantivierungen sind die Aktivform und Verben gefragt. Absätze und Bebilderungen erleichtern das Lesen.

Letztlich aber können nur diejenigen, die die Texte später lesen sollen, bestimmen, ob sie verständlich sind. Und so ist die wichtigste Regel des Netzwerks: Ein Leichter Text ist erst dann ein einer, wenn eine Prüferin oder ein Prüfer mit Lernschwierigkeiten ihn freigegeben hat. Aus diesem Grund hat Mirko Müller seinen Nebenjob.

Lukratives Geschäft für Übersetzer

Christine Borucker vom Netzwerk Leichte Sprache sieht darin einen wichtigen Aspekt von Teilhabe, der über die barrierefreie Kommunikation hinausgeht: „Anstatt nur etwas für die Menschen mit Behinderung zu tun, werden sie mit einbezogen. Das Prüfen Leichter Sprache ist eine Tätigkeit, in der nur sie Spezialisten sind.“

Bloß: Pflicht ist das nicht. Menschen mit Lernschwierigkeiten haben keinen rechtlichen Anspruch darauf, dass man sie beim Übersetzen dazuholt. Christine Borucker ist deshalb besorgt, dass immer mehr Übersetzungsbüros Leichte Sprache anbieten werden, ohne Menschen mit Lernschwierigkeiten miteinzubeziehen: „Leichte Sprache wird immer mehr nachgefragt. Sie entwickelt sich zum lukrativen Geschäft für Übersetzer. Ohne klare Qualitätsstandards entsteht da leicht Wildwuchs.“

Das Netzwerk Leichte Sprache versucht dieser Entwicklung mit einem Gütesiegel zuvorzukommen. Die rote Sprechblase mit dem Haken bestätigt, dass ein Text den Qualitätskriterien entspricht – und dass PrüferInnen ihn abgenommen haben. Inzwischen macht jedoch ein halbes Dutzend Prüfsiegel die Runde. Ob dahinter ein inklusives Konzept steht oder nicht, ist für die BestellerInnen nur schwer nachvollziehbar.

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In leichter Sprache klingt dieser Text übrigens so:

Mirko Müller ist Prüfer für Leichte Sprache.

Er wohnt in Berlin.

Er arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung.

Dort stellt er Fassungen für Lampen her.

Aber Mirko Müller arbeitet auch bei der Arbeiter-Wohlfahrt.

Das ist ein Verein.

Der Verein setzt sich für Menschen mit Behinderung ein.

Mirko Müller und seine Kollegen prüfen dort Texte.

Die Texte sind in Leichter Sprache.

Mirko Müller erklärt:

In normalen Texten sind oft Sätze zu lang.

Oder voller Fremd-Wörter.

Was wir nicht verstehen, müssen wir kürzen.

Oder es um-schreiben.

Leichte Sprache hilft Menschen mit Lern-Schwierigkeiten.

Sie verstehen Texte in Leichter Sprache besser.

Deswegen soll Leichte Sprache bald im Gesetz stehen.

Das Gesetz heißt: Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz.

Das Gesetz gibt es seit 2002.

Alle Bundes-Behörden müssen sich daran halten.

Bundes-Behörden sind Ämter in Deutschland.

Zum Beispiel die Deutsche Renten-Versicherung.

Das Gesetz wird dieses Jahr verbessert.

Das ist neu:

Leichte Sprache soll im Gesetz stehen.

Das bedeutet:

Menschen mit Lern-Schwierigkeiten haben ein Recht auf Leichte Sprache.

Es gibt Regeln für Leichte Sprache.

Das Netzwerk Leichte Sprache hat die Regeln gemacht.

Das Netzwerk Leichte Sprache ist ein Verein.

Den Verein gibt es seit 2013.

Das Netzwerk Leichte Sprache hat ein Ziel:

Es soll überall die gleichen Regeln für Leichte Sprache geben.

Es gibt zum Beispiel diese Regeln:

In jedem Satz steht nur eine Aussage.

Schwierige Wörter werden erklärt.

Die Schrift ist groß.

Leichte Sprache ist eine Aufgabe von allen.

Leichte Sprache ist für Menschen mit Lern-Schwierigkeiten.

Also können auch nur Menschen mit Lern-Schwierigkeiten entscheiden:

Dieser Text ist leicht genug.

Deshalb hat das Netzwerk Leichte Sprache noch eine Regel.

Das ist die wichtigste Regel:

Ein Prüfer mit Lern-Schwierigkeiten muss den Text prüfen.

Deshalb hat Mirko Müller seinen Neben-Job.

Christine Borucker arbeitet für das Netzwerk Leichte Sprache.

Sie findet die Regel sehr wichtig.

Denn so können Menschen mit Lern-Schwierigkeiten mit-arbeiten.

Christine Borucker sagt:

Menschen mit Behinderung arbeiten bei jedem Text mit.

Nur sie können Leichte Sprache prüfen.

Sie sind die Spezialisten.

Aber nicht alle machen mit.

Es gibt ein Problem:

Es ist keine Pflicht,

dass Menschen mit Lern-Schwierigkeiten die Texte prüfen müssen.

Das bedeutet:

Ein Text kann auch ohne

die Mitarbeit von einem Prüfer übersetzt werden.

Deshalb macht sich Christine Borucker Sorgen.

Sie befürchtet:

Immer mehr Übersetzungs-Büros halten sich nicht an die Regeln.

Sie lassen Menschen mit Lern-Schwierigkeiten nicht mit-arbeiten.

Christine Borucker sagt:

Immer mehr Menschen bestellen Texte in Leichter Sprache.

Übersetzer können damit viel Geld verdienen.

Deshalb muss es klare Regeln geben.

Sonst machen alle,

was sie wollen.

Das Netzwerk Leichte Sprache will das verhindern.

Es hat ein Güte-Siegel erfunden.

Ein Güte-Siegel bedeutet:

Hier haben sich Menschen an bestimmte Regeln gehalten.

So sieht das Güte-Siegel vom Netzwerk Leichte Sprache aus:

Es bedeutet:

Dieser Text ist in Leichter Sprache.

Er ist nach den Regeln vom Netzwerk Leichte Sprache übersetzt.

Menschen mit Lern-Schwierigkeiten haben den Text geprüft.

Es gibt noch mehr Güte-Siegel.

Sie sind von verschiedenen Firmen und Vereinen.

Man kann nicht immer genau sagen,

was sie bedeuten.

Manchmal weiß man nicht:

Haben Menschen mit Lern-Schwierigkeiten mitgearbeitet?

Übersetzung: Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V.

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