„Ein abgefederter Ausstieg“

EUROPA Wirtschaftswissenschaftler und Politiker haben einen Aufruf für einen „Lexit“ unterschrieben – ein linkes Ende des Euro. Unterzeichner Andreas Nölke sagt, warum

Juli 2011: Demonstration gegen die griechische Regierung Foto: Dimitri Messinis/ap

Interview Martin Reeh

taz: Herr Nölke, die EU-Kommission will Spanien und Portugal wegen ihrer Überschreitung der Defizitgrenze bestrafen. Würden Sie den beiden Ländern raten aus dem Euro auszuscheiden?

Andreas Nölke: Ich finde Ratschläge aus dem Ausland wenig sinnvoll. Aber wenn ich in den beiden Ländern politische Verantwortung hätte, würde ich darüber nachdenken, Verhandlungen für ein solidarisches, abgefedertes Austreten aus dem Euro anzustreben.

Warum?

Im Euro haben sich Länder zusammengeschlossen, die viel zu unterschiedlich sind. Für Spanien und Portugal ist es schwierig, gegenüber Deutschland wettbewerbsfähig zu bleiben.

Was ist das größere Problem – die deutsche Hegemonie in Europa oder Fehlkonstruktionen im Vertragswerk?

Eindeutig Letzteres. So unterschiedliche Ökonomien in einer einheitlichen Währungsunion zusammenzuspannen, führt zu starken wirtschaftlichen Ungleichgewichten. Die Politik zur Rettung des Euro, die sehr stark von Deutschland bestimmt wurde, hat das nur noch schlimmer gemacht.

Die SPD fordert mehr Investi­tio­nen im Süden Europas. Weshalb reicht Ihnen das nicht?

Es gibt nicht nur einen aktuellen Mangel an Investitionen im Süden, sondern einen fünf bis zehn Jahre andauernden Deindustrialisierungsprozess. Der ist auch die Folge davon, dass man sich in Deutschland wesentlich stärker bei den Arbeitskosten zurückgehalten hat als in vielen Staaten des Südens. Deutschland kann das aufgrund seiner in einzelnen Sektoren einheitlichen Gewerkschaften. Der Süden kann das in dieser Form nicht. Selbst wenn wir ein großes Investitionsprogramm hätten, würde es nicht ausreichen, um die Wettbewerbsprobleme in den Süd-Ökonomien einschließlich Frankreichs und Italiens zu beheben.

Schürt Sigmar Gabriel Illusionen?

Ich denke schon. Große Teile der deutschen Politik verkennen, wie schwierig die Situation im Euro für die südeuropäischen Staaten ist. Rein theoretisch wäre es auch aus meiner Sicht möglich, den Euro zu retten. Aber dann müssten die Löhne in Deutschland fünf bis zehn Jahre lang weit überproportional steigen. Wir bräuchten eine Lohnkoordination innerhalb der Eurozone und zusätzlich massive Transfers, um im Süden eine Reindustrialisierung zu finanzieren. Ich sehe keinerlei politische Bereitschaft dafür.

Ihr Euro-Ausstieg ist ein Plan B, weil der Plan A – eine stärkere Wirtschafts- und Sozialunion – unrealistisch ist?

Ja. Bei Plan A würden nicht nur die deutschen Arbeitgeber, sondern auch die deutschen Gewerkschaften und die deutschen Betriebsräte nicht mitmachen, weil er zu Arbeitsplatzverlusten in Deutschland führt.

Andreas Nölke

Foto: privat

ist seit 2007 ­Professor für Politik­wissen­schaft an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Derzeit wollen nicht einmal Syriza, Podemos oder die Linkspartei den Euro-Ausstieg.

Ja, weder die portugiesische Linke noch die spanischen, noch der größte Teil der griechischen Linken betreibt so etwas. Das hat vor allem politisch-symbolische Gründe. In diesen Ländern ist die Mitgliedschaft in der EU positiv besetzt, weil sie zeitgleich mit der Überwindung der Diktaturen in diesen Staaten verlief. Wenn es einen Ausstieg aus dem Euro gibt, erwarte ich ihn eher aus Frankreich oder insbesondere Italien.

Sie fordern einen „Lexit“, also einen linken Ausstieg aus dem Euro. Den wird es nicht geben. In der Praxis müssen die Linken, die für den Ausstieg sind, wie beim Brexit ein De-facto-Bündnis mit Rechtspopulisten schließen, die aus ganz anderen Gründen aus dem Euro wollen. Leisten Sie dem Rechtspopulismus Vorschub?

Es ist andersherum. Wenn nicht wir auf der Linken Pläne für einen solidarischen Ausstieg aus dem Euro entwickeln, werden die Rechtspopulisten immer stärker werden, weil die Pro­ble­me des Euro so offensichtlich sind. Wir drehen den Rechtspopulisten tendenziell den Saft ab.

Im internationalen Aufruf heißt es auch: „Anders als häufig behauptet ist die EU kein neutrales Spielfeld.“ Warum ist für Sie auch die EU ein Problem?

Viele von uns Unterzeichnern kommen aus einer Tradition der EU-Kritik, die vor der ganzen Euro-Diskussion begonnen hat. Unser Problem ist die wirtschaftsliberale Ausrichtung der EU – ein Prozess, der bereits in den Römischen Verträgen angelegt war, in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat und nicht nur von den Mitgliedstaaten, sondern auch von der Kommission und dem EuGH betrieben wird.

Weshalb kämpfen Sie nicht einfach für andere Mehrheiten im Europaparlament?

So einfach ist das nicht. Die positive Integration, also regulatorische Eingriffe, brauchen in vielen Fällen Einstimmigkeit. Nehmen wir ein typisches, wichtiges linkes Anliegen wie die Steuerharmonisierung in Europa, also die Vermeidung von Steuerwettbewerb durch Staaten wie Irland. Das werden wir innerhalb der jetzigen EU niemals durchsetzen können. Auf der anderen Seite sind Schritte der negativen Integration, also der Abschaffung von Wettbewerbshindernissen, viel einfacher, weil die Kommission im Zusammenspiel mit dem Europäischen Gerichtshof viele dieser Hindernisse nach und nach aus dem Weg räumen kann. Deswegen hat die Europäische Union eine Schlagseite, die unabhängig von den politischen Kräfteverhältnissen in eine wirtschaftsliberale Richtung und daher weg von linken Vorstellungen weist.

Noch mal zum Euro. Warum fordern Sie einen Ausstieg mit Abfederung?

Gleich zwei Aufrufe zum linken Ausstieg aus dem Euro kursieren seit Kurzem: ein internationaler (lexit-network.org/aufruf) und ein deutscher (eurexit.de/aufruf). Den internationalen haben unter anderem der Autor Tariq Ali, Wolfgang Streeck (Max-Planck-Institut für Gesellschaftswissenschaften) und der linke italienische Abgeordnete Alfredo D’Attorre unterschrieben, den deutschen unter anderem Oskar Lafontaine. Unter beiden Aufrufen finden sich die Unterschriften von Lafontaines früherem Staatssekretär und Ex-Unctad-Chefvolkswirt Heiner Flassbeck, dem Attac-Gründer Peter Wahl und Andreas Nölke.

Es wäre ja eine Katastrophe, Staaten einfach so aus dem Euro rauszudrängen, wie das Wolfgang Schäuble im Fall Griechenlands vorhatte. Er wollte ein Exempel statuieren: ein Land rauszudrängen, um damit den anderen Eurozonenländern vorzuführen, was passiert, wenn man aussteigen will.

Wie sähe die Abfederung aus?

Mindestens drei Bedingungen sollten für einen Ausstieg erfüllt sein. Die erste ist ein größeres Unterstützungsprogramm, um die dann entstehenden wirtschaftlichen Turbulenzen zu überwinden. Zweitens ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine Teil-Schuldenstreichung notwendig. Und drittens eine Interventionspflicht der Europäischen Zentralbank, so wie das jetzt schon im Wechselkurs­mechanismus mit Dänemark verankert ist. Also eine Stützung der Währung, damit sie nicht ins Bodenlose fallen und damit eine Hyperinflation bewirken kann.

Ein solcher Ausstieg müsste auch von Deutschland unterstützt werden. Welches Interesse sollte es daran haben?

Ich kann nachvollziehen, dass große Teile der deutschen Eliten am Euro festhalten, weil Deutschland am stärksten davon profitiert. Es ist aber keine solidarische, proeuropäische Haltung.